Dog Soldiers. Thomas GAST
Nach einer Weile zahlte und verabschiedete er sich von mir. Auf seinen Wink hin erschien ein großer und kräftiger Junge, beugte sich zu ihm hinab und nahm ihn in seine Arme. Kurz darauf waren beide aus meinem Blickfeld verschwunden.
Je schneller die Tage vergingen, und je intensiver wir die rüde Welt um uns herum beobachteten, desto klarer wurde uns eine Sache: Keiner von uns war auf das, was uns erwarten würde, vorbereitet. Niemand hatte auch nur ein einziges Mal den Winter im Freien verbracht oder gar gelernt, wie man ein einfaches Feuer macht, in einer eisigen Nacht Wache steht oder ein Gewehr abfeuert und es danach ölt, Dinge, die, wenn man hier überleben wollte, unverzichtbar, wenn nicht sogar lebensnotwendig waren. Wir waren uns also alle einig, dass wir jemanden brauchten, der uns führte. Doch hier in St. Louis war es noch zu früh, nach diesem Jemand Ausschau zu halten. Von St. Louis aus fuhren wir also mit dem nächsten Dampfschiff erst nördlich den Mississippi und dann Richtung Westen den Missouri stromaufwärts. Das Wetter war günstig und unsere Stimmung beschwingt. Dieser Enthusiasmus hielt auch dann noch an, als wir die Lichter von Kansas City am Horizont erblickten. Vom Westen her zog ein Gewitter auf. Riesige Wolken hingen wie Trauben dunkelgrau über der Stadt. In Kansas City angekommen regnete es in Strömen. Die Straßen waren ein Gräuel aus knöcheltiefem Matsch, der Ort selbst trist, kurz, es war der erbärmlichste Flecken Erde, den wir jemals gesehen hatten! Wir quartierten uns in einem Zeltlager ein, welches weder Intimität gewährte noch unser Bedürfnis nach etwas Ruhe und Erholung auch nur annähernd stillte. Unter den Paletten, auf denen unsere Feldbetten standen, floss stinkendes Wasser durch die glitschigen Lattenroste aus Holz, es war laut und Ratten huschten sogar tagsüber ungeniert an einem vorbei. Jedes dritte Gebäude war entweder ein Saloon oder ein Store, in dem man Waffen, Munition, Lebensmittel, Biberfelle oder sonst was erstehen konnte. Da jedermann gezwungen war hier zu kaufen, waren die Preise entsprechend gesalzen, und die Händler und Saloon-Besitzer rieben sich kräftig die speckigen Hände. An jeder Häuserecke boten sich Frauen schamlos an. Frauen schien es überhaupt nur zwei Sorten zu geben: leichte Mädchen, zierlich und graziös, aber allesamt raffinierte Biester, oder derbe Siedlerinnen, Abenteuerinnen mit sehr männlichen Zügen. Man sah viele Auswanderer, vornehmlich Deutsche, Franzosen wie wir und Spanier. Es gab Trapper, Pelzhändler, Soldaten, Spieler, Scouts, Indianer und Neger, Banditen aller Art, und alle, die Siedler und die Indianer mal ausgenommen, waren nur aus einem Grund hierhergekommen. Sie suchten Fortuna, den schnellen Profit! Auf eine Frau kamen im Schnitt fünfzig Männer und am liebsten hätte ich Carmen, die seit Tagen seltsam still war, irgendwo versteckt. Um sie bei Laune zu halten, schenkte ich ihr den silbernen Armreif meiner Mutter und ich muss sagen, er stand ihr ausgesprochen gut. Im Gegenzug küsste sie mich flüchtig. Von den viertausend Dollar, die uns blieben, nachdem wir unsere Passage bis hierher bezahlt hatten, sollte der Großteil genügen bis nach Fort Benton zu kommen, um dort einige Ochsenkarren, zwei oder drei Pferde und genügend Trockenfutter für die Tiere zu erstehen. Die Liste der Dinge, die wir für den langen Trip benötigen würden, war ellenlang: stählerne Äxte, einige kleine Holzfässer, Seile, Schnur und Riemen, Medikamente, ein kleiner Vorrat Whiskey, Zündhölzer, Zelte, Töpfe und Kannen, ausreichend Proviant, Tabak, genügend Munition und, und, und. Damit wollten wir nach Norden zu den neuen Siedlungen aufbrechen, von denen jeder sprach, doch nach wie vor fehlte uns jemand, der uns den Weg weisen würde.
Lebœuf
»Der mit der Fellmütze ...!«
Einen kalten Zigarrenstummel im Mund, deutete der zahnlose und recht schmuddelige Barkeeper auf einen Mann, der allein am Tresen stand.
»Er könnte Ihnen weiterhelfen!«
Ich ging zu dem Mann hinüber.
Sein Name war Marc Lebœuf, wenigstens nannte er sich so.
»Wildes Land«, sagte er fast gelangweilt, als ich ihm gegenüber zum ersten Mal erwähnte, in welche Gegend wir uns begeben wollten. »Man sagt, dass es Gold gibt oben in Montana, doch niemand weiß das so genau. Wenn dem so ist, heißt das, dass über Nacht eine oder mehrere Städte wie Pilze aus dem Boden schießen werden. Das ist immer so.«
Hierbei stöhnte er und tat, als ob ihn das alles nicht im Mindesten berührte, es ihm sogar lästig war darüber zu sprechen. Er gab sich lässig und das beeindruckte mich zutiefst.
Und wieder das Wort Gold! Es stimmte also, der Alte von St. Louis hatte recht gehabt, damit zumindest.
Lebœuf fuhr im selben gleichgültigen Ton fort.
»Aber da ist noch etwas, ich denke, das sollten Sie wissen. Wenn Sie da hoch in die Mountains wollen, kriegen Sie es mit den Assiniboin, den Cree und den Blackfeet, gleichzeitig zu tun. Das schaffen Sie nie, es sei denn …«
Ich sah plötzliches Interesse in seinen Augen flackern, konnte mich aber auch täuschen. Er leerte sein Glas Whiskey in einem Zug und wischte sich das glattrasierte Kinn mit dem Handrücken sauber. »Es sei denn, Sie investieren etwas Geld in eine Schutztruppe. Ich würde mich anbieten. Meine Männer und ich wären froh, uns auf diese Art etwas ehrliches Geld zu verdienen. Ständig in den Bars rumlungern ist nicht so das Gelbe vom Ei.«
Dieser Lebœuf war groß. Ich schätzte ihn auf eins neunzig. Bei einem ungefähren Gewicht von etwa zweihundertvierzig Pfund war er eine eindrucksvolle Erscheinung. Er trug ein Cape aus Biberfell Marke Astor, sein Kopf darunter war kahl und in einem Holster sah ich einen mattierten Colt, dessen hölzerne Griffstücke vom häufigen Gebrauch speckig glänzten. Ich rückte näher und nickte dem Barkeeper zu.
»Noch mal dasselbe für diesen Gentleman!«
Der Barkeeper grinste.
Während dieser Lebœuf vor Selbstsicherheit und Energie nur so strotzte, war ich vor Angst und Unsicherheit wie gelähmt.
»Eine Schutztruppe, sagten Sie?«
Meine Stimme musste erbärmlich in seinen Ohren klingen.
Er nickte. »Sagte ich! Lohnt sich aber nur, wenn sich mehrere von eurer Sorte zusammentun. Wird sonst zu teuer.«
Er griff nach dem Glas, das der Barkeeper auf den Tresen gestellt hatte, und grunzte dankbar. »Soviel ich weiß, sind Sie nicht die Einzigen, die es in die Richtung treibt. Unten am Fluss stellen sie gerade einen Konvoi zusammen. Doch wie schon gesagt ist niemand dabei, der Land und Leute kennt, schade aber auch, denn noch bevor der Monat zu Ende ist, werden die meisten von denen eines gewaltsamen Todes sterben, und es wird niemand da sein, der sie begräbt und ihnen zu Gedenken post mortem einen schönen Spruch vom Stapel lässt. Wirklich jammerschade!«
Er trank, stellte das Glas auf die Theke zurück und wandte sich zum Gehen.
Als er die Schwingtüre des schmuddeligen Saloons fast erreicht hatte, holte meine Stimme ihn ein.
»Ich denke, dass so ein Treck es auch ohne eine Schutztruppe schaffen könnte, wenn nur ein paar beherzte Männer darunter sind. Mit ein paar Wilden nehmen wir es allemal auf!«
Lebœuf blieb wie angewurzelt stehen, schnappte nach Luft und zuckte dann nur mir der Schulter.
»Wenn Sie meinen, dann viel Spaß«, stieß er hervor und verschwand aus meinem Blickfeld.
»Sie sollten auf ihn hören, Mister«, meinte der Barkeeper, der unser Gespräch verfolgt hatte. »Lebœuf kennt sich in den Bergen aus wie kein Zweiter. Noch einen?« Er schickte sich an, mein Glas nachzufüllen, was ich dankend ablehnte.
Noch am selben Abend sprach ich mit den anderen darüber.
»Wie mir scheint«, sagte Kenneth ernst, »gibt es Männer wie diesen Lebœuf wie Sand am Meer. Ich hab mich umgesehen, während du weg warst. Es sind mächtig viele Trapper in der Stadt. Gibt ’ne Menge Waldläufer, die ihre Westentasche nicht besser kennen als die Gegend, wo wir hinwollen.«
»Du hast vielleicht recht«, sagte Margaret. »Aber zumindest ist dieser Mann Franzose, ein Ehrenmann, falls er wirklich so ist, wie Andrew ihn beschrieben hat!«
Paul, unser Ire, spuckte in den nassen Sand neben ihr.
»Ein Franzose und Ehrenmann, das wär ja noch schöner! Andrews Beschreibung