Wenn die Liebe hinfällt.... Christian Friedrich Schultze
zu Fuß. Irgendein ältliches Schlagerduo trat auf, gut genug für die begeisterten Touristen. Er verhandelte mit dem Einlassdienst und bekam die Karte für die Hälfte. Für drei, vier Bier würde sein Geld noch reichen.
Er sah sie sofort, ging aber nicht hin. Sie stand an der Theke, bei einem braungebrannten Typ mit Halbglatze, nicht unsympathisch. Sie sah wieder phantastisch aus in ihren engen Jeans und dem leicht ausgeschnittenen Pulli. Sie sprach nur wenig mit dem Mann und schaute öfters zum Eingang. Er stand verdeckt, wollte noch warten und sie beobachten. Der Typ trank jetzt aus ihrem Glas. Er ging langsam zur anderen Seite der Theke und bestellte ein Bier. Es dauerte kaum eine weitere Minute und sie hatte ihn entdeckt. Sie sagte etwas zu ihrem Begleiter und kam zu ihm rüber.
„Tag Oskar, ist gut, dass du gekommen bist. Warum hast du nicht was gesmst?“
„Hi Sue, willst du ein Bier?“ Sie nickte, er bestellte ein kleines.
„Hatte nach unserer Fahrradtour keine Lust zum Smsen. Zum Telefonieren auch nicht.“ Er sah ihr in die Augen. Sie bekam ein paar Fältchen um die Augen. Konnte so eine Art getarntes, amüsiertes Lächeln sein.
„Hm“, sagte sie, „wollen wir tanzen?“
„Das sähe zu blöde aus, denke ich. Außerdem tanze ich nur noch im Liegen“, rutsche es aus ihm heraus. War er es oder der Zombie gewesen? Sie guckte erstaunt oder neugierig oder beides.
„Okay, wir können auch bisschen raus gehen. Warte mal einen Moment. Oder besser vor dem Eingang.“ Sie ging wieder rüber zu dem Typen.
Er trank sein Bier aus und verließ den Saal.
Es dauerte keine fünf Minuten und sie kam heraus. Sie hatte ihre Jeansjacke übergezogen. Der Himmel war sternenklar und es war kalt.
„Wir können ein Stück den Berg hoch gehen“, sagte sie.
Sie verschwanden im Dunkeln.
„Willst du nicht lieber mit zu mir fahren?“, übernahm er die Initiative.
„Heute Abend geht es nicht. Marc ist alleine zu Hause und ich habe nichts organisiert. Ich kann morgen früh kommen. Marc ist mein Sohn. Er ist dreizehn.“
„Okay, dann kommst du zum Frühstück. Wir könnten schön miteinander frühstücken“, sagte er.
„Okay, so gegen zehn. Ich bringe frische Semmeln und Sekt mit. Muss ich sonst noch was mitbringen?“
„Nein, ich denke nicht. Trinkst du Kaffee oder Tee? - Was ist das für ein Typ, bei dem du vorhin warst?“
„Das ist ein Bekannter. Ich kannte ihn schon, bevor ich hierher gezogen bin. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, hier mit meinem Jungen eine preiswerte Wohnung zu bekommen. Ich musste weg aus Salzburg.“
Warum hatte er das Gefühl, dass sie log?
Bevor sie den Rückweg antraten, küssten sie sich. Er hatte sie einfach rangezogen. Er wollte die Sache voran bringen. Als er ihr an die Brust fasste, drückte sie ihn zurück. Sie gingen den Weg wortlos hinunter ins Helle und verabschiedeten sich. Er sagte seine Adresse an. Sie ging wieder hinein. Als er zu Hause angekommen war, spürte er diese Schmerzen im Unterleib, die er aus früheren Zeiten kannte, wenn es mal nicht geklappt hatte. Er hatte gedacht, dass dies vorbei sei. Er war, verdammt nochmal, im vierundsechzigsten Lebensjahr! Da konnte man nicht reagieren wie ein Pennäler! Aber sein Organismus reagierte selbständig, egal was sein Wille wollte. Der Zombie lachte sich ins Fäustchen. Oskar, kicherte der, du hast keine Ahnung, wer du bist! Er schlief unruhig diese Nacht, mit diesen verfluchten Schmerzen in den Leisten.
Der Sonntagmorgen war diesig. Das Wetter schlug um in dieser ersten Septemberdekade. Sie erschien Viertel nach zehn. Sie hatte ein zartgrünes, ausgeschnittenes Sommerkleid an mit einer leichten, weißen Strickjacke drüber. Sie ließ ihre Brustansätze und ihre unendlichen Beine sehen. Die Haare hatte sie zu einer Art Dutt hochgebunden, Ihr Nacken regte ihn auf. Es war unwirklich. Was wollte sie von ihm? Es war ihm egal, er wollte sie nur ins Bett haben. Es war notwendig. Sonst wurde er krank. Inzwischen war er eins mit seinem Zombie. Es war ihm auch egal, dass der gesiegt hatte.
„Ich muss Mittag zurück sein“, sagte sie. „Ich muss dem Jungen was zu Essen machen und am Nachmittag irgendwas mit ihm unternehmen. In der Woche wird es ja meist nichts.“
Sie erklärte ihm, dass sie Krankenpflegerin sei und in Schichten im Seniorenheim in Weißenbach arbeite. Aufgewachsen sei sie in Salzburg. Nein, sie sei noch nie verheiratet gewesen. Ja, der Typ vom Sonnabend sei ziemlich hinter ihr her.
„Und warum triffst du dich mit mir?“, fragte er endlich.
„Ich komme, glaube ich, nur mit reiferen Männern klar“, war die Antwort. Er brachte sie runter zum Parkplatz. Der gelbe Fiesta gehörte ihr.
„Wollen wir das kommende Wochenende mal in Ruhe ´ne Fahrradtour machen?“, fragte er.
„Mal sehen. Vielleicht kriege ich Marc bei einem Schulfreund unter.“
Als er sie küssen wollte, wehrte sie ihn ab.
„Wie alt bist du eigentlich?“, wollte sie zuletzt noch wissen.
„Das klären wir beim nächsten Mal“, wich er aus.
Am Freitag Mittag kam die nächste SMS: „kann am wochenende nicht, muss mit marc zu oma.“ Ob das stimmte?
Er antwortete ihr nicht. Die Zeit verging.
Die 38. Woche war es nochmal klar geworden. Der Herbst begann mit schönem Wetter. Er unternahm ein paar einsame Fahrradtouren in die Berge. Einmal fuhr er weiter weg. Es gab einen schönen neuen Fahrradweg um den See und dann von Weißenbach zum Traunsee hinüber. So an die fünfzig Kilometer. Zurück konnte er den Zug nehmen. Er telefonierte nicht. Der Zombie murrte nur noch selten. Fast hatte er sein Gleichgewicht wieder.
Ihre SMS erreichte ihn in Gmunden, an jenem Sonntag auf der Rückfahrt: „entschuldige dass ich mich nicht gemeldet habe, aber es gibt gründe. ruf bitte mal an heute abend. mlg sue.“
Er schwor sich, dass er auf keinen Fall anrufen würde.
So gegen zwanzig Uhr wählte er dann ihre Nummer. Sie war wahnsinnig freundlich.
„Kann ich morgen früh zum Frühstück zu dir kommen? - Vielleicht so gegen neun.“
Kurz nach halb zehn traf sie ein. Die Mittagsschicht finge zwölf Uhr an, sagte sie gleich. Dann ohne besonderen Übergang: „Ich bin schwanger. Ich musste ein paar Tage ins Krankenhaus. Er will, dass ich es wegmache. Es war schon die ganze Zeit so erniedrigend. Ich will es aber haben. Ich bin erst neununddreißig, das ist heutzutage noch nicht zu alt. Er macht mir die Hölle heiß. Es ist unerträglich.“
Er wusste, dass sie von dem Typen sprach, der aus ihrem Glas getrunken hatte.
„Ist okay, dass du es haben willst. Kinder werden sogar in Afghanistan groß. Ich bin übrigens ein guter Geburtshelfer“, sagte er. Er dachte an die Geburt von Lina, bei der er dabei gewesen war. Das war bei ihr möglich gewesen. Bei Brian hatten sie ihm noch die Tür vor der Nase zugemacht. Karen hätte es wohl auch keinesfalls gewollt.
„Ja, aber er lässt mich nicht in Ruhe. Ich werde wohl wegziehen müssen. Schon wieder“, jammerte sie.
Er schwieg. Es raste in seinem Kopf. Er war mindesten zwanzig Jahre zu alt und er hatte kein Geld. Die Rente, von der er gerade so überlebte, war lächerlich. Er sagte: „Ich bin zwanzig Jahre zu alt für dich und die Rente, von der ich lebe, reicht nicht mal für mich. Ich weiß nicht, ob ich dir irgendwie helfen kann.“
Jetzt schwieg sie. „Geld spielt eigentlich keine Rolle“, sagte sie dann. „Lass uns mal darüber nachdenken.“
Ende Oktober kam ein Brief ohne Absender. Ein Wiener Stempel war drauf. Sie schrieb, es gehe ihr gut. Sie sei umgezogen und habe eine andere Nummer. Welche, schrieb sie nicht. Ihm war klar, dass sie sich verschätzt hatte, in doppelter Hinsicht: Er war zu alt für ein Zusammenleben. Und er hatte kein Geld. Aber er