Mord im Museum. Christine Zilinski

Mord im Museum - Christine Zilinski


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liegt plötzlich tot neben dem leeren Ausstellungskasten. Warum wurde er ermordet? Und wo ist der Kelch? Helfen Sie mit bei der spannenden Mördersuche!“ ‚Geistreich‘, schoss es Charlotte spöttisch durch den Kopf und sie nahm einen Schluck Wasser. Eine schief grinsende Mitvierzigerin kam auf den Rote-Punkte-Tisch zu. „Halloooo. Ich bin die Tatjana, und wer bist du?“ „Charlotte“, erwiderte sie und lächelte ebenfalls freundlich. Danach setzte ein peinliches Schweigen ein. Die Frau fuhr fort: „Na, dann bin ich mal gespannt, wie der Abend so wird. Hast du bei sowas schon mal mitgemacht?“ „Nein, ist mein erstes Mal“, sagte Charlotte und griente. „Eine Freundin hat mir die Karte zum Geburtstag geschenkt“, log sie, während sie ihren Blick durch die Menge schweifen ließ. Sie wollte ungern den wahren Grund für ihr Dasein erklären, weil das oft mit Fragen zu ihrem Job verbunden war. Aber dafür war sie heute Abend zu müde.

      Als die Zeit voranschritt, wurde es im Raum immer voller. Charlotte schluckte. Sie fühlte sich nicht wohl, wenn viele Menschen auf einem Fleck waren. Um das aufkeimende Unwohlsein zu bekämpfen, atmete sie tief durch. Ein paar weitere Veranstaltungsbesucher gesellten sich zu ihrem Tisch dazu und alle begrüßten sich gegenseitig. Die Stimmung im Raum wurde zunehmend aufgekratzt. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte Charlotte, dass es in 10 Minuten losgehen würde. Aus ihrer Gruppe griff eine End-Dreißigerin mit Kurzhaarfrisur und schwarz gerahmter Brille nach einer Infobroschüre auf dem Tisch und sagte: „Oh, ich sehe wir brauchen noch einen Gruppennamen.“ Sie sah die anderen Teilnehmer an. „Wie wäre es mit ‚The Benedicts‘? Ihr wisst schon, wegen Benedict Cumberbatch“, fuhr die Frau daraufhin euphorisch fort. Charlotte rief sich den Hauptdarsteller der Sherlock-Fernseh-Serie in Erinnerung. ‚Ach der‘, dachte sie wenig begeistert. Nach kurzer Diskussion konnte sich ihre Gruppe jedoch auf keinen anderen Namen einigen, so dass die Wahl nach ein paar Minuten tatsächlich auf ‚The Benedicts‘ fiel. Die Ideengeberin freute sich und kicherte, weil „Benedict Cumberbatch ja so ein heißer Typ ist.“ Noch während sie ihre Gruppe tauften, indem sie mit ihren Gläsern anstießen, begannen sich einige Personen im Raum langsam aber auffällig zur Bühne vorzuarbeiten. Sie rempelten absichtlich einige der Besucher an, um sich anschließend zu entschuldigen. ‚Das müssen die Schauspieler des heutigen Abends sein‘, dachte Charlotte. Jetzt fiel ihr auch auf, dass diese Personen verkleidet wirkten. Und tatsächlich: Vorne angekommen begannen die Schauspieler sich als Museumsmitarbeiter vorzustellen.

      Eine junge blonde Frau stellte sich als Direktorin vor. Sie trug ein etwas zu groß geratenes Kostüm und machte beim Sprechen übertrieben ausschweifende Gesten, was den Eindruck vermittelte, dass sie etwas durchgedreht war. Aus ihrer Erzählung ging hervor, dass sie seit Jahren nur für das Museum zu leben schien. Dann stellte sich ein etwa 50-jähriger, gepflegt wirkender Mann mit graumelierten Schläfen vor. Er spielte den dandyhaften Archäologen Dr. Himmelreiter, der einen eleganten Dreiteiler trug. Es folgte ein schüchtern und kriecherisch wirkender Mitt-Dreißiger mit mausgrauem Haar. Dieser Schauspieler verkörperte den Assistenten des Archäologen, Rochert. Er trug ein verwaschenes Sakko mit Flicken an den Ellenbogen. Anschließend kam ein attraktiver Mann, ebenfalls um die dreißig, zu Wort und stellte sich als Buchhalter Rudolf Steiner vor. Er machte dank der farblich aufeinander abgestimmtem Hals- und Brusttücher sowie der polierten Lederschuhe einen sehr gepflegten Eindruck. Als Vorletzte stellten sich zwei Wärter in Uniform vor. ‚Einer davon spielt ja nicht mehr lange mit‘, dachte Charlotte. Schließlich sollte einer der Wärter die baldige Leiche verkörpern. Abschließend trat eine junge, aber müde wirkende Putzfrau in einem geblümten Kittel mit Staubwischer in der Hand auf. Nachdem sich alle vorgestellt hatten, ging endlich das Schauspiel los. „Wenn ich um Ruhe bitten dürfte, wir haben hier ein Problem“, vermeldete die Museumsdirektorin. Sie artikulierte überdeutlich und mit bebender Stimme: „Der Kelch von Gustav dem Großen ist fort und wir müssen ihn unbedingt wiederfinden!“ „Ja“, herrschte der Archäologe Dr. Himmelreiter dazwischen. „Unbedingt!“ Es folgte eine kurze Erklärung, wie der Kelch noch tags zuvor unter großem Applaus der Öffentlichkeit präsentiert worden war. Doch dann war das Prunkstück plötzlich am helllichten Tag mitten aus dem Schaukasten entwendet worden. „Bitte, liebe Anwesende“, übernahm die Direktorin gepresst, „helfen Sie uns bei der Suche. Am besten, wir teilen uns auf, nicht wahr.“ Sie blickte fragend zu den betroffen dreinschauenden Wärtern. Diese erwiderten ihren Blick mit einem stummen Nicken. „Bitte folgen Sie mir nach draußen, wo wir Sie in einzelne Suchtrupps einteilen werden“, sagte die Direktorin nun ans Publikum gewandt. Dann lief sie hektisch mit den Armen rudernd von der Bühne und signalisierte allen Teilnehmern an den Tischen, ihr nach draußen zu folgen. Die anderen Schauspieler blieben zunächst auf der Bühne zurück. ‚Vermutlich gehen die jetzt auf ihre Posten‘, dachte Charlotte beim Hinauslaufen.

      Kapitel 2

      Draußen auf dem Vorhof standen Museumsangestellte, die eindeutig keine Schauspieler waren, wie an ihrer dezenten Kleidung erkennbar war. Diese echten Angestellten hielten Pappschilder über ihre Köpfe, auf denen die jeweils passenden Farbpunkte der Gruppen aufgemalt waren. Die knapp 70 Besucher des Schauspiels teilten sich im Hof auf und scharten sich um ihren Gruppen-Guide. Charlotte und ihre ‚The Benedicts‘-Mitstreiter liefen auf den Guide mit dem roten Farbpunkt auf dem Schild zu: Eine junge brünette Frau, die eine Stoppuhr um den Hals trug und einen Schnellhefter in der Hand hielt. Nach einer freundlichen Begrüßung begann die Frau mit einer kurzen Einweisung. „Wir beginnen im Uhren-Salon. Bitte folgen Sie mir gesammelt, ich führe Sie von einer Location zur nächsten und gebe Ihnen den jeweiligen Zeitrahmen vor, in dem Sie Hinweise finden müssen.“ Nach einem Blick auf ihren Schnellhefter sagte sie: „Einen Tipp habe ich noch vorneweg: Denken Sie nicht zu kompliziert.“ Sie lächelte gönnerhaft, und alle in der Gruppe lächelten höflich zurück. Dann setzte sie sich in Bewegung und Charlotte gesellte sich neben Tatjana, um der jungen Frau zu folgen. Die übrigen ‚Benedicts‘ schlossen sich an und schäkerten aufgeregt miteinander herum. Es ging vom Hof herunter über eine steinerne Wendeltreppe abwärts in eine Art Kellergewölbe. Dort wurde es merklich kühler, wie Charlotte fröstelnd feststellte. Sie zog ihren Blazer enger um sich. Am Ende der Wendeltreppe schloss ihr Guide ein hölzernes Tor auf, hielt die Tür geöffnet und wartete, bis alle Teilnehmer hindurchgetreten waren. Sie gelangten nun in die offiziellen Besucherräume, und sie fanden sich in einem Bereich wieder, in dem antike Teppiche ausgestellt waren. Um diese Uhrzeit war das Licht im Raum gedimmt und es herrschte eine unheimliche Atmosphäre, da außer ihnen niemand sonst im Ausstellungsraum war. Zügig führte ihr Guide die Gruppe weiter in einen Raum mit allerlei Uhren. Das musste der besagte Salon sein: Riesige Standuhren, filigrane Taschenuhren und edle Armbanduhren aus verschiedenen Epochen waren hier in beleuchteten Kästen untergebracht. Ihr Guide bedeutete Charlottes Gruppe, an einer Stelle zwischen den Schaukästen anzuhalten. Nachdem sich alle dort verteilt hatten, begann die Szene: Der Archäologe Dr. Himmelreiter kam wutbrausend in den Uhren-Salon und blieb etwa zwei Meter vor der Besuchergruppe stehen. Ihm folgte sein Assistent Rochert, der die Hände zu einer bettelnden Geste ineinander verschränkt hatte. „Bitte Chef, das können Sie mir nicht antun“, flehte er Himmelreiter an. Dieser drehte sich abrupt zu ihm um. Er war einen Kopf größer als Rochert und sah auf ihn herab. Himmelreiter erwiderte gedehnt: „Mein lieber Rochert“‒ dann griff er ihm ans Revers und zog ihn ein wenig zu sich heran – „und wie ich das kann. Du bist für den Diebstahl verantwortlich und du musst die Konsequenz dafür tragen!“ Rochert versuchte sich loszuwinden und Himmelreiter ließ ihn höhnisch lächelnd los. Aus dem weiteren Dialog der beiden Schauspieler ging hervor, dass Rochert Spielschulden hatte und damit auch ein Motiv aufwies, den Kelch von Gustav dem Großen zu stehlen. Rochert beteuerte wiederum, den Kelch nicht gestohlen zu haben und bettelte seinen Chef um Verschwiegenheit wegen seiner Zockerleidenschaft an. Dr. Himmelreiter zeigte aber kein Erbarmen. Er drohte damit, Rocherts Suchtverhalten an die Direktorin zu verraten und sie in seinen Verdacht einzuweihen. Nach fünf Minuten heftigem Diskurs verschwanden Himmelreiter und Rochert aus dem Salon. Die junge Frau, die Charlottes Gruppe anleitete, ließ die Stille nach dem Abgang der Schauspieler kurz wirken und wandte sich dann zur Gruppe: „So, hier gibt es jetzt noch keine Hinweise zum Suchen, bitte folgen Sie mir zur nächsten Station. Wir gehen jetzt zum Büro der Direktorin.“ Gehorsam folgten ihr ‚The Benedicts‘ die Wendeltreppe wieder nach oben. Gemeinsam liefen sie leise murmelnd über den gepflasterten Innenhof zurück zur Eingangstür


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