Die weitere Geschichte des Rauhen Hauses nach Wichern bis Wegeleben. Jürgen Ruszkowski
1925 14.05. – Berufung von Pastor Engelke zum Vorsteher des Rauhen Hauses.
Belegung des Brüderhofes mit Arbeitslosen.
1925 13.08. – Einführung von Pastor Engelke.
1925 1.09. – Anstellung von Lic. Dr. Gerhardt als Archivar des Rauhen Hauses.
1927 Januar – Umbau des Schweizerhauses auf dem Katendorfer Hof.
1927 5.08. – Einweihung der umgebauten Wichernschule.
1928 27.04. – Der Senat erteilt der Wohlfahrtspfleger- und Erzieherschule des Diakonenseminars im Rauhen Hause die staatliche Anerkennung.
1931 3.04. – Die Wichernschule wird auf Grund der zu Ostern dieses Jahres abgehaltenen ersten Reifeprüfung als Oberrealschule mit realgymnasialem Zug von der Landesschulbehörde und dem Reichsminister des Innern staatlich anerkannt.
1932 6.07. – Der Gymnasialzug der Wichernschule wird staatlich anerkannt.
1933 12.09. – Einhundertjahr-Feier des Rauhen Hauses.
Pastor Engelke erhält den theologischen Ehrendoktor von der Universität Kiel.
1933 13./14.09. – 9. Deutscher Diakonentag im Rauhen Haus.
1933 15.09. – 15. Brüdertag der Brüderschaft des Rauhen Hauses.
1934 Oktober – Vermietung von Gebäuden des Brüderhofes an den Verein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens e. V. für Schulungszwecke und zur Auswanderung nach Palästina.
1935 Februar – Pastor Wegeleben wird Vorsteher des Rauhen Hauses.
1936 24.03. – Das Haus Tanne brennt aus.
1937 22.03. – Einweihung des neu ausgebauten Hauses Tanne. Die Geheime Staatspolizei beschlagnahmt Spenden von dem Freundeskreis des Rauhen Hauses.
1938 Oktober – Gründung des Altenheimes des Rauhen Hauses im Hause ‚Goldener Boden’.
Bürgermeister D. Dr. Dr. C. A. Schröder legt nach 30jähriger Tätigkeit sein Amt als Vorsitzender des Verwaltungsrates wegen hohen Alters nieder. Herr Professor Sieveking wird Vorsitzender des Verwaltungsrates.
1939 3.09.. Übernahme des Vorsteheramtes im Rauhen Haus durch Pastor Donndorf.
1939 1.10. – Verstaatlichung der Wichern-Schule durch Erlass des Reichsstatthalters in Hamburg.
Friedrich Naumann
Friedrich Naumann war von 1883 bis 1886 Oberhelfer im Rauhen Haus. Der erste Bundespräsident nach dem 2. Weltkrieg, Theodor Heuss, hatte seinen Namen bei seinem Besuch im Rauhen Hause am 24. Juni 1951 medienwirksam erwähnt. Heuss leitete von 1905 bis 1912 für Friedrich Naumann die Zeitschrift ‚Die Hilfe’ in Berlin.
Naumann war am 25.03.1860 in Störmthal bei Leipzig geboren worden. Sein Vater war dort Pfarrer. Naumann besuchte die Nikolaischule in Leipzig und Meißener Fürstenschule und begann später aus reiner Tradition das Theologiestudium in Leipzig und Erlangen. Nach seinem ersten theologischen Examen wurde er 1883 Oberhelfer im Rauhen Hause. Hier und in seiner späteren Pfarrstelle, der Arbeitergemeinde Langenberg bei Glauchau, erkannte Naumann, dass eine freie Liebesarbeit dem Massenelend gegenüber nicht ausreicht und dass die Sozialethik zur Sozialpolitik werden müsse.
Naumann hatte in seiner Arbeit zwei große Vorbilder, das waren Johann Hinrich Wichern und Adolf Stöcker. Im Rauhen Hause erlernte Naumann die Hingabe zur sozialen Arbeit. Oft kam es dabei mit seinem Vater zu Zerwürfnissen, der gerne einen Gelehrten aus ihm gemacht hätte. Naumann gewinnt einen Einblick in das Gefühlsleben des christlichen Arbeiters. Während seiner Pfarrertätigkeit nimmt er sich der wandernden Handwerksburschen an, er gibt ihnen Verpflegung und Unterkunft. Im Jahre 1887 beginnt Naumann für die Innere Mission zu schreiben. In den „Fliegenden Blättern aus dem Rauhen Hause“ behandelt er regelmäßig sozialpolitische Themen. Er macht Vorschläge zur Gründung von neuen Rettungshäusern, Arbeitervereinen, Jünglingsvereinen und Einrichtungen der Nichtsesshaftenfürsorge.
Auf dem Kasseler Kongress der Inneren Mission 1888 kam Naumanm der Gedanke, einen christlichen Sozialismus zu schaffen. Hier kommt es aber zu den ersten Auseinandersetzungen mit den Sozialdemokraten. Naumann schreibt seinen Arbeiterkatechismus, in dem er Seele und Sinn des Arbeiters erreichen, aber auch den gebildeten Schichten die sozialistische Bewegung deuten will. Während Wichern den Einzelmenschen sieht, interessieren Naumann die Schichten. Er besaß eine glänzende Rednergabe und war zu seiner Zeit führend in der evangelischen sozialen Arbeit. In seinem Arbeiterkatechismus hat Naumann seine Forderungen niedergeschrieben: Christliche Liebesarbeit, Schutz der Familien, Sicherung des Eigentums, Sonntagsruhe, Einführung der Bibel in die Arbeiterkreise, Mitarbeit des Staates an sozialen Gesetzen und Entlastung der Bedrängten. Das Werkzeug dazu sollte die Innere Mission sein. Naumann sagt: Der Sozialismus kam als Theorie auf die Welt, die Innere Mission als Praxis. Naumann wollte Pastoren, christliche Arbeiter christliche Unternehmer zusammenbringen und gründete darum die Christichen Arbeitervereine. Naumann stellt Jesus gegenwartsnah in die Welt der Arbeit hinein.
1890 holte man ihn nach Frankfurt a. M., wo er sechs Jahre als Vereinsgeistlicher im Dienste der Inneren Mission wirkte. In diesen Jahren wurde er Führer der von Stöcker ausgehenden Bewegung der „Jüngeren christlich Sozialen“. Von hier aus konnte er alle Schichten des Volkes ereichen. Er versucht sogar, die Sozialdemokratie in die christliche Verantwortung mit hineinzuziehen. Die von Naumann angestrebte „Erneuerung des Liberalismus“ hatte aber nicht nur inhaltliche, sondern auch strategische Gründe, weil damit über die Einigung des Liberalismus eine Annäherung zwischen Liberalen und Sozialdemokratie angebahnt und als koalitionäres Gegengewicht zu den konservativ-agrarischen Kräften aufgebaut werden sollte: „Einigung der Liberalen und Zusammenhang zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie sind gedacht als ein inhaltvolles langes Programm für weite Fristen hinaus und zwar so gedacht, dass der Liberalismus einig sein muss, damit er im Stande ist, der deutschen Arbeiterbewegung, die heute sozialdemokratisch ist, einen Rückhalt zu geben.“ Ein weiterer wichtiger Schritt war die Gründung des „Evangelisch sozialen Kongresses.“ Hier sollen Nationalökonomen und Theologen zueinander kommen und voneinander lernen. Er regt an, dass Pastoren auch die Sozialwissenschaft studieren sollten.
Naumann hatte erwartet, dass jetzt eine Arbeiterbewegung mit christlicher Zielsetzung aufbrechen würde, aber es fehlten die Männer, die diesen Aufgaben gewachsen waren. Er wollte Volksmänner voll des Heiligen Geistes. Um den Arbeitern Bildungsmaterial in die Hände zu geben, richtete er die „Göttinger Arbeiterbibliothek“ ein. Der erste Band erschien unter dem Titel „Jesus als Volksmann“. Naumann steht nun vor der Frage, wer Träger seiner christlich-sozialer Bewegung sein soll. Es kamen für ihn nur Arbeiter in Frage, die noch nicht in einem Verband zusammengeschlossen waren. Seit 1894 wandte sich Naumann immer mehr der Politik zu, indem er seine „Sozialen Briefe an reiche Leute“ schrieb. 1896 gründete er die Nationalsoziale Partei. In ihrem Mittepunkt des sittlichen Lebens soll der Glaube an Jesus Christus stehen. 1897 gab Naumann sein Pfarramt auf und widmete sich der Zusammenarbeit der Gewerkschaften. 1907 wurde er für fünf Jahre Reichstagsabgeordneter. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Friedrich Naumann der erste Vorsitzende der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Er starb am 24. August 1919 in Travemünde. Nach ihm wurde die der FDP nahestehende Friedrich-Naumann-Stiftung benannt.
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