Seefahrtserinnerungen – Anthologie. Jürgen Ruszkowski
Danach ging es nonstop weiter nach Moji auf der japanischen Insel Kiushu. Dort löschten wir einen Teil der Ladung in Schuten. In den Laderäumen schaufelten an die hundert Männer und Frauen die Kohle in Netbrooks, mit Segeltuch ausgekleidete Netze. Diese wurden dann mit unseren Ladebäumen außenbords gehievt. Alle Hafenarbeiter trugen eine Art Turnschuhe, die wie Fausthandschuhe aussahen, weil die große Zehe seinen extra Platz hatte. Ob dieses eigenartige Schuhwerk dafür verantwortlich war, dass einer der japanischen Arbeiter in den Laderaum stürzte und sofort tot war, vermag ich nicht zu sagen.
Japanisches Bier schmeckte nach Chemie
In der Nähe der damals noch völlig zerstörten Stadt Nagasaki löschte die HERTA ENGELINE FRITZEN die restliche Ladung. Yawata hieß der Hafen. Abends gingen wir mit vier Mann an Land; meine Handharmonika nahm ich mit. Wir steuerten die erstbeste Kneipe an. Zuerst wollte man uns gar nicht reinlassen, weil man uns für Amis hielt. Als sie aber merkten, dass wir Deutsche waren, wurden wir herzlich willkommen geheißen und mit allem bewirtet. Am besten schmeckte uns noch der „Sake“, ein Reiswein. Das japanische Bier dagegen, egal ob „Sapporor“, „Asahi“ oder „Kirin“, schmeckte irgendwie nach Chemie. Später kamen noch einige Gäste, die ganz gut deutsch sprachen. Es waren frühere Geheimdienstoffiziere der Marine, für die ich immer wieder das Volkslied „Am Brunnen vor dem Tore“ spielen musste. Dieses Lied machte die Japaner ganz sentimental.
Als das Schiff am anderen Morgen auslief, waren die Laderäume leer, die Postkammer aber bis obenhin vollgestaut mit rund 70 großen Holzkisten, in denen sich wertvolles Porzellan befand. Sie gehörten der Mannschaft, die auf ihrer ersten Japan-Reise die Gelegenheit nutzte, für sich und ihre Angehörigen daheim ein oder gleich mehrere japanische Teeservices zu erwerben. Meine Kollegen und ich besitzen sie noch heute.
Weiter ging die Reise quer über den Pazifik mit Kurs auf die Westküste Kanadas. Unterwegs gab es viel zu tun, denn das Schiff sollte Getreide für Rotterdam und Bremen laden. Als erstes mussten die Laderäume gewaschen und anschließend mit Rappeltuch ausstaffiert werden. Außerdem wurden die Bilgen gereinigt und mit einem Gebläse getrocknet. Beim anschließenden Setzen der Getreideschotten hingen die Brüder Heinz und Karl Scheel aus Emden und ich noch in den Bootsmannsstühlen, wenn das Schiff bei Windstärke 10 heftig rollte. Die einzelnen Schottenplanken mussten in die Schienen bugsiert werden, eine gewiss nicht ungefährliche Arbeit. Aber wir waren damals junge Kerle, und Angst hatten wir nicht.
Zahltag
Als wir drei Wochen später in Prince Rupert in der Nähe von Vancouver einliefen, war die Knüppelarbeit beendet und das Schiff ladebereit. Gleich am ersten Abend war Zahltag. Der amerikanische Charterer, für den wir die Getreideschotten gebaut hatten, war zufrieden mit unserer Arbeit und zahlte jedem Matrosen 240 Dollar bar auf die Hand. Bei einem Umrechnungskurs von 4,50 Mark war das mehr als eine zusätzliche Heuer. Natürlich machten wir auch sofort einen Abstecher an Land. In Erinnerung geblieben sind mir die vielen Holzfäller aus Schweden, Finnland, aber auch aus Bayern, die wir an Land trafen. Sie alle hatten einen Arbeitsvertrag über fünf Jahre.
Moses über Bord
Auf der Heimreise kam es dann noch zu einem Zwischenfall, der aber noch glimpflich ablief. In der Karibik war am helllichten Tag unser Moses über Bord gesprungen. Weil es dort Haie gab, mussten wir ihn möglichst schnell wieder herausholen. Nach dem Ruf „Mann über Bord“ wurde die Maschine gestoppt und das Schiff auf Gegenkurs gebracht und das Steuerbord-Rettungsboot in Rekordzeit zu Wasser gelassen. In ihm befanden sich der 3. Offizier, Bootsmann H. Buss, Jonny Thoben und Karl Scheel. Weil der Moses sich wehrte, hatten die vier ihre liebe Mühe, ihn aus dem Wasser zu ziehen. Anschließend wurde er 19jährige zu seiner eigenen Sicherheit an Bord in Gewahrsam genommen und in Rotterdam an Land gegeben. Nach Rotterdam verholten wir mit der Restladung Weizen zur Rolandmühle in Bremen. Dort ging eine unvergessene Reise zu Ende, die vier Monate gedauert hatte.
Die Reederei Fritzen:
Es war 1919, ein Jahr nach dem 1. Weltkrieg, als der 40jährige Johannes Fritzen keine Lust mehr hatte, nur Angestellter eines Binnenschifffahrtsunternehmens zu sein. Die seit Jahrhunderten in Emden ansässige Familie bestand bis dahin aus Kapitänen und Schiffbauern, nun sollte ein Reeder dabei sein – und das Glück war auf seiner Seite. Zehn Jahre nach der Firmengründung in schwärzester internationaler Wirtschaftskrise zeigten schon rund hunderttausend Tonnen Schiffsraum die blau-weiß-blaue Hausflagge mit dem roten „F“ in der Mitte. Bei Kriegsausbruch 20 Jahre nach der Gründung waren es gar 130.000 tdw – und sechs Jahre später war nichts mehr.
Statt Flotten zu lenken, handelten Johs. Fritzen Sohn mit Wäscheklammern und Kleinstherden oder ließen Kochtöpfe aus Stahlhelmen pressen.
1948 gab es den ersten Silberstreif am Horizont. Der kriegsbeschädigte Dampfer „JÜRGEN FRITZEN“ war repariert, mit 800 BRT nicht eben groß, aber es war ein Anfang. Ein Jahr später holte man vom Grunde des Hamburger Hafens die alte „HERMANN FRITZEN“, lange vor dem ersten Krieg entstanden und einer der letzten so genannten Turret-Decker der Welt. Bei den Emder Nordseewerken wird er überholt und geht an einem strahlenden Sonnentag Ende der vierziger Jahre unter buntem Flaggenschmuck auf Probefahrt – nur am Heck weht eine seltsame „Nationalflagge“. Das Hakenkreuz war bekanntlich gründlich demontiert und abgesoffen, die alten Reichs- und Bundesfarben galten nicht mehr, und so hatten die damaligen Alliierten den Deutschen die Flagge „C“ des Internationalen Flaggenalphabets „verordnet“. Die HERMANN FRITZEN war mit ihren 6.500 Tonnen, die sie tragen konnte, damals das größte deutsche Schiff. Und es fuhr und fuhr und fuhr vornehmlich zwischen Nordschweden und Emden. Jetzt beginnt der Flottenausbau erst richtig. In schneller Folge kommen immer neuere und größere Schiffe hinzu. Die Reederei Johs. Fritzen & Sohn war in der Anfang der 1960er Jahre von der Thyssen-Bornemisza-Gruppe gegründeten neuen Reederei aufgegangen. Klaus Fritzen hatte die Geschäftsführung der neuen Gesellschaft übernommen. 33 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von insgesamt eineinhalb Millionen Tonnen wurden vom Emder Neptunhaus aus dirigiert.
(Nach Wolfgang Gerth am 18. Januar 1992 in der Emder Zeitung)
Wieder ein Fritzen-Schiff
Anfang 1954 musterte ich zum zweiten Mal auf einem Fritzen-Schiff an, das auf den Nordseewerken zur Reparatur lag. Es handelte sich um den alten Dampfer „KATHARINA DOROTHEA FRITZEN“, der damals schon 25 Jahre auf dem Buckel hatte. Mit einer Tragfähigkeit von 11.000 Tonnen war der Frachter damals der größte Dampfer ohne Zwischendeck.
Nach Abschluss der Reparaturarbeiten und dem anschließenden Kompensieren im Neuen Hafen übernahm die „KDF“, wie das Schiff allgemein genannt wurde, am Erzkai eine Ladung Schlammkohle, die für ein Gaswerk in Mestre bei Venedig bestimmt war. Von dort verholten wir in Ballast nach Ploce in Jugoslawien. Mit einer primitiven Förderanlage luden wir Erz für Rotterdam. Die Ladung wurde mit einer Art Skilift, an dem etwa alle hundert Meter ein mit Erz beladener Kübel hing, an Bord gebracht und in die Luken gekippt. Die Liegezeit betrug zehn Tage.
Aus dem erfischenden Bad wurde nichts
Von Rotterdam aus ging es in Ballast über den großen Teich nach Wabana, einem reinen Erzverladehafen auf der kanadischen Insel Neufundland. Unterwegs hatten Kapitän Klinger (Emden) und Bootsmann Ernst Maintz aus Leer die Idee, den Laderaum V unter Wasser zu setzen, weil das Schiff nur wenig Ballast nehmen konnte und deshalb bei Schlechtwetter immer fürchterlich rollte oder stampfte. Außerdem lag so die Schiffsschraube tiefer im Wasser und schlug nicht so oft „blind“. Als wir aber eines Tages bei gutem Wetter die Luke öffneten, um darin zu baden, erlebten wir eine böse Überraschung. Aus dem erfrischenden Bad wurde nichts, denn die Bugdielen, der hölzerne Schiffsboden, hatten sich gelöst und schwammen in einer