Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held
Wasser:
»Weder bei Tag noch bei Nacht sollst du Ruhe finden,
bis Rakoriaho und Bavao gefunden sind.«
Seitdem rauschen die Wasser unaufhörlich auf und
nieder, ohne jemals zur Ruhe kommen zu können, und
immer noch suchen sie nach den Kindern Gottes und
ihren Wärterinnen.
Viel Suchen wirbelt Staub auf.1
Eine Betschuangeschichte.
Ein Mann ging in den Wald, um Holz zu fällen. Er
suchte nach Bäumen, die gutes, gesundes Holz hatten,
aber er konnte keine finden. Schließlich erstieg er
einen hohen Felsen, und von ihm aus sah er, was er
suchte. Da nahm er einen großen Stein und rollte ihn
hinab auf den Baum zu. Der Stein rollte in die Tiefe
und schreckte einen Bock auf, welcher im Busche lag
und schlief. Der Bock lief tiefer hinein in den Busch
und traf auf einen Büffel. Der sprang auf; denn er
fürchtete sich vor dem Bock. Ein Mann aber jagte in
demselben Busch. Als der Büffel ihn sah, tötete er
ihn. Kaum war der Mann tot, so versammelten sich
Aasvögel an der Stelle. Da die Menschen von weither
die Vögel in der Luft schweben sahen, liefen sie eilends
hinzu, um zu sehen, was geschehen sei. Da fanden
sie den toten Mann, konnten aber nicht sehen,
was seinen Tod veranlaßt hatte. Sie standen um den
Leichnam herum und fragten einander:
»Woran starb dieser Mensch?«
Plötzlich gewahrten sie den Abdruck des Fußes des
Büffels.
»Ein Büffel hat ihn getötet«, riefen sie.
»Woher kam der Büffel?« fragten sie dann.
Und sie fanden, daß er aus dem Busch gekommen
sein müsse.
»Warum kam er aus dem Busch?« fragten sie wieder.
Da gewahrten sie die Fährte des Bockes.
»Woher kam der Bock, als er den Büffel erschreckte?
« fragten sie.
»Er kam aus diesem Busch!«
»Was aber hat den Bock aufgejagt?«
Sie sahen den großen Stein und fragten weiter:
»Woher kam der Stein, als er den Bock erschreckte?
«
»Von jenem Felsen!« lautete die Antwort.
»Und was hat den Stein ins Rollen gebracht?«
»Ein Mensch! Denn er suchte nach einem Baume
zum Fällen und rollte den schweren Stein gegen jenen
Baum, daß er ihn umwürfe.«
Sie sprachen weiter:
»Warum mußte er gerade diesen Baum fällen? Es
waren eine Menge anderer Bäume da. Warum mußte
er Dinge, die in Ruhe und Frieden waren, stören?«
Seitdem gibt es in Betschuanaland ein Sprichwort,
welches heißt:
»Viel Suchen wirbelt viel Staub auf.«
Fußnoten
1 In der Betschuanasage »Viel Suchen wirbelt viel
Staub auf« ist eine unverkennbare Gleichheit des Aufbaues
mit der Erzählung Goso, eine Geschichte aus
Mombassa, zu finden. Diese Übereinstimmung des
Aufbaues, der Ideen, ja der Worte der verschiedenen
Sprachen ist zwar überraschend, wenn man bedenkt,
daß die Neger Afrikas sich untereinander absolut
nicht verstehen, sowie sie verschiedenen Ländern angehören;
dennoch ist sie natürlich durch die enge Verwandtschaft,
in welcher scheinbar sämtliche Afrikaneger
zueinander stehen. Wir finden das Wort nyoko sowohl
bei den Kapkaffern, Zulus und Suahelis, bei
allen dreien heißt es: Schlange, und dennoch sind die
drei Sprachen im ganzen sehr verschieden voneinander
trotz gelegentlicher Übereinstimmungen, die nur
den gleichen Stamm bedeuten. Auch bei den im Südwesten
Afrikas wohnenden Hereros fanden sich
Worte, welche eine entschiedene Vetternschaft mit
den ostafrikanischen Stämmen zu erkennen geben, so
z.B. heißt onganga im Dialekt der Herero Zauberer,
Arzt; das Wort mganga ist dasselbe in der Sprache
der Suaheli.
Die fliehenden Kinder.1
Ein Hereromärchen.
Es waren einmal mehrere Schwestern, die gehörten
den Hereros an. Als sie mit ihren Eltern an einen
Platz gekommen waren, der sehr schöne Weiden und
viele Bäche und Flüsse hatte, fingen sie an, sich hübsche
kleine Hütten an den Ufern des Wassers zu
bauen, und in ihnen wohnten sie. Bald aber waren die
Weiden von ihrem Vieh abgegrast, und die Hereros
zogen deshalb weiter und nahmen auch ihre Kinder
mit sich. Indessen waren sie noch nicht weit gewandert,
als die Mädchen, welche sich die Hütten gebaut
hatten, beschlossen, wieder zurückzugehen; denn sie
sehnten sich nach ihrem alten Spielplatz. Deshalb
gaben sie die Lasten, welche sie zu tragen hatten, und
die in Tüchern, Kochgeräten und Schemeln bestanden,
an ihre Eltern und traten den Rückweg an. Als
sie zu ihren Hütten gekommen waren, fanden sie, daß
Bergdamaras Besitz von ihnen genommen hatten. Da
fürchteten sich die Mädchen und versteckten die älteste
Schwester. Sie hieß Cnihova. Als die Bergdamaras
die Mädchen sahen, beschlossen sie, dieselben zu
Weibern zu nehmen.
»Diese gehört mir,« sagte der eine.
»Und diese hier mir,« sagte ein anderer.
Schließlich war nur ein alter Mann übrig, der noch
keine Frau hatte. Zufällig fand er die versteckte älteste
Schwester und rief:
»Diese gehört mir!«
»Nein,« rief der Häuptling. »Sie soll auch noch mir
gehören; denn ich bin euer Häuptling.«
Dann begaben sie sich zur Ruhe. Am folgenden
Tage gingen die Damaras auf die Jagd. Nur der alte
Mann blieb zurück. »Ich werde euch bewachen,«
sagte er zu den Mädchen und legte sich quer vor die