Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held
und
es dünkte ihr, daß in ganz Uganda bisher kein Baum
und Strauch so süße Früchte getragen hatte. Als sie
geendet hatte, bot sie Kimyera eine von ihrer Hand
zubereitete Banane, und der Jüngling aß sie mit dem
Gefühl, daß niemals eine Frucht von gleicher Süßig-
keit seine Zunge berührt hatte. Die Königin blickte
ihn lächelnd an, und als Kimyera seine Augen aufschlug,
fand er eine Fülle ungesprochener Worte in
dem Blick Nakus.
»Höre mir zu, Kimyera,« sprach Naku, »und auch
du, Muyana, horche auf; denn ich werde wichtige und
schwerwiegende Worte zu euch reden. In Ganda ist
seit meines Vaters Tode kein König. Sebuwana ist
nur dem Namen nach mein Gatte; in Wahrheit ist er
nichts mehr als mein erster Ratgeber. Jetzt bin ich alt
genug, um selber den zu wählen, der mein Herr und
Herr über ganz Ganda sein soll. Mein Herz hat seine
Wahl getroffen und Kimyera erkoren!«
Bei diesen Worten kniete Kimyera nieder vor die
Sprecherin, und sobald er Herr seiner Gefühle geworden,
sprach er:
»Aber, o Naku, hast du auch bedacht, was dein
Volk sagen wird, wenn du ihm einen Fremdling zum
König gibst? Wird es mir nicht zürnen und nach dem
Leben trachten?«
»Nein! Denn du bist der Sohn des Bruders meines
Vaters. Und da mein Vater keine männlichen Erben
hinterlassen hat, so hat seine Tochter das Recht, sich
dem Sohne seines Bruders zu verbinden. Du siehst,
Kimyera, du hast ein gutes Recht auf den Platz dieses
Reiches, den ich dir anbiete.«
»Was aber soll aus Sebuwana werden?« fragte Ki-
myera.
»Findet er sich gutwillig in sein Geschick,« entgegnete
Naku, »so mag er leben, tut er es nicht, so muß
er sterben von den Händen meiner Krieger.«
Am Nachmittag desselben Tages noch verkündete
Naku ihrem Volke, was sie beschlossen hatte, und als
Sebuwana die Nachricht hörte, erschrak er heftig; da
er aber wohl wußte, was seiner harrte, falls er sich widersetzte,
so ging er still und heimlich von dannen
nach dem Dorfe, in dem er geboren war und seine
Kindheit verlebt hatte, um dort den Tod zu erwarten.
Die Königin Naku aber lebte mit Kimyera, ihrem
Gatten, in Glück und Zufriedenheit. Drei Söhnen gab
sie das Leben und starb nach der Geburt des dritten.
Ganz Uganda beklagte ihren Tod; am meisten aber
weinte Kimyera um sie und ließ sich nicht trösten,
denn er hatte Naku, die Königin des Landes Ganda
von Herzen geliebt.
Fußnoten
1 Die Sage entstammt der Landschaft Unyoro, welche
an die Nilseen stößt und nördlich des Viktoria-Nyanza
liegt. Ihre Bewohner sind die Wanyoro, ein wilder,
kriegerischer, leidenschaftlicher Stamm, der schon vor
langen Jahren mit den Arabern vielfach in Handelsbzw.
Tauschbeziehungen gestanden hatte. Zeitweise
waren die Wanyoro den Arabern unterworfen, in blutigen
Kämpfen gelang es dem freiheitsdürstenden
Stamme, die Bedrücker wieder zu verdrängen. Jetzt
bildet Unyoro einen Teil von Britisch-Ostafrika.
Der Gesang des Kindes.
Eine Naosage.
Es war einmal eine Frau, die hatte zwei gesunde, kräftige
Kinder. Darauf bekam sie noch ein drittes; das
aber war ein unansehnliches, krankes Knäblein ohne
Kopf, ohne Nase, ohne Zähne und ohne Augen. Als
die Mutter das Kind voller Entsetzen betrachtet hatte,
sprach sie zu ihrem Manne: »Laß uns fortziehen von
hier und dies armselige Ding zurücklassen!« So zogen
die Eltern mit ihren beiden gesunden Kindern von
dannen. Kaum aber hatten sie ihre Hütte verlassen,
als dem armen Kinde Kopf, Hände und Füße wuchsen.
Es hatte aber nicht genug Kraft, um denen, die
fortgezogen waren, zu folgen. In der Hütte fand es
einen Stock, den nahm es und erschlug damit eine
Ratte, zog ihr die Haut ab, spannte diese über die
Schale einer Affenbrotbaumfrucht und trommelte darauf,
indem es sang:
Ich saß ohne Vater, – ich saß!
Ich saß ohne Mutter, – ich saß!
Ich saß ohne Kopf, – ich saß!
Ich saß ohne Glieder, – ich saß!
Während es so sang, kam eine Hyäne vorbei, die
lauschte den lieblichen Tönen, trat an die Schwelle
und sprach: »Lehre mich dein Lied, damit auch ich es
singen kann!«
Das Kind antwortete: »Gern! Gib du mir aber zuerst
Kleid, Hemd, Mütze, Gewehr und Bogen, hernach
will ich dich's lehren.«
Die Hyäne gab, was der Knabe von ihr verlangt
hatte. Dieser zog alles an und sprach dann zu dem
Tiere: »Tritt ein in die Hütte!« Darauf schloß er die
Hyäne ein und ging seines Weges; denn jetzt war er
kräftig geworden. Als er wanderte, sang er fortwährend:
Ich saß ohne Vater, – ich saß!
Ich saß ohne Mutter, – ich saß!
Ich saß ohne Kopf, – ich saß!
Ich saß ohne Glieder, – ich saß!
So singend schritt der Knabe richtig den Weg entlang,
den seine Mutter gegangen war, weit, weit, weit
fort, bis er die fand, die ihn krank und elend verlassen
hatten. Weder seine Mutter, noch sein Vater, noch
seine Geschwister erkannten ihn. Der Knabe trat zu
ihnen in ihre Hütte und setzte sich auf ihre Barese.
Dann sang er wiederum sein altes Lied.
Die Leute, die vorbeigingen und ihn hörten, sagten:
»Wie schön er singen kann!«
Dann fragten sie ihn:
»Woher kommst du?«
Er aber antwortete ihnen nicht, sondern fuhr fort zu