OMMYA - Freund und Feind. Dennis Blesinger

OMMYA - Freund und Feind - Dennis Blesinger


Скачать книгу
Stirn und blickte sich um. Nur wenige Schreibtische waren besetzt, alle Mitarbeiter waren jedoch mit irgendwelchen Arbeiten beschäftigt. Der große Bildschirm, der die Zentrale dominierte, spulte stumm und langsam die eingehenden Daten und Meldungen ab. Am anderen Ende der Halle saß Christopher in dem kleinen Büro, das tagsüber von René und Jochen be­nutzt wurde, und starrte abwechselnd auf drei Bildschir­me und die Papiere, die vor ihm lagen. Alles war ruhig. Er überlegte eine Weile, dann trat er zu dem Mitarbei­ter, der am nächstgelegenen Tisch saß.

      »Ich muss mal kurz weg«, ertönte seine tiefe Stimme. Der Mitarbeiter sah verwirrt auf. Honk blickte ernst, aber ruhig auf ihn herab.

      »Stimmt was nicht?« Es war ungewöhnlich, dass Honk seinen Posten verließ. Der Wachmann schüttelte den Kopf.

      »Nein. Nachricht von der Ärztin.« Er hielt sein Handy hoch. In der Hand eines anderen hätte es als Tablet-PC durchgehen können. Sie hatten Monate gebraucht, um ein Modell zu finden, das Honks außerirdischer Physis entgegenkam.

      »Wird nicht lange dauern.«

      »Alles klar.« Der Blick des Angestellten glitt hinüber zu der schweren Tür, dann zu dem muskelbepackten Außenweltler, der sich langsam in Richtung Krankenstation entfernte. Offiziell war es nicht gestattet, dass der Hauptein- und -ausgang unbewacht blieb. Jedoch war es mitten in der Nacht und sollte jemand auf die Idee kommen, sich ohne Autorisierung Zutritt zu verschaffen, würden diverse Alarme losgehen, noch bevor die erste Sicherheitsabfrage beendet sein würde. Vom Verlassen der Anlage ganz zu schweigen. Nichtsdestotrotz behielt er die Tür im Blick, nur für den Fall der Fälle. Als er nach etwa zwei Minuten erneut aufblickte, ging das Licht aus.

      Christopher brauchte eine Sekunde, bis er sich von der Überraschung erholt hatte. Im Stockdunkeln saß er da und zählte langsam bis zehn. Er konnte nicht fassen, dass so etwas schon wieder passierte, während er das Kommando hatte.

      Vor knapp zwei Jahren hatte der Phönix den Feueralarm ausgelöst und die komplette Zentrale war unter Wasser gesetzt worden. Es hatte mehr als einen Tag ge­braucht, alles trocken zu legen und die Geräte wieder zum Laufen zu bringen. Just zu diesem Zeitpunkt war René aufgrund eines Trauerfalls abwesend gewesen und Jochen hatte Urlaub gehabt. Alle waren sich einig gewesen, dass Christopher die Situation so souverän wie nur möglich gemeistert hatte, was in der gegenwärtigen Situation jedoch nicht im Geringsten half.

      Im Gegensatz zu damals war keinerlei Alarm zu hören, nur das leise Fluchen der anderen Mitarbeiter, die, wie er, plötzlich vor schwarzen Bildschirmen saßen. Glücklicherweise hatte Sahra seinerzeit eine Routine installiert, die die Daten alle dreißig Sekunden speicherte. Der Schaden würde also überschaubar sein.

      * * *

      Es war dunkel. Die Tür bewegte sich einige Millimeter, stand anschließend still. Kein Geräusch ertönte. Schließlich schwang die Tür wie in Zeitlupe ganz auf und verharrte. Dann, unsichtbar in der Dunkelheit, betraten mehrere Gestalten die dunklen und stillen Gewölbe der Halle 1 des Lagers von OMMYA.

      Nachdem der Letzte der Truppe das Tor durchschritten hatte, erklangen die Geräusche einer kurzen geflüs­terten Unterhaltung, die jedoch schnell beendet wurde. Schritte von schweren Stiefeln hallten durch die weit­läufige Halle. Wieder kehrte Ruhe ein, das Scharren von Holz auf Stein war zu hören, das Knarren von Scharnie­ren, das Knistern von Papier, dann ein Zischen, das viel­leicht ein Seufzer hätte sein können. Dann wieder Schritte. Das stählerne Tor ragte in der Dunkelheit auf wie ein Berg in der Nacht, ebenso hoch wie undurch­dringlich. Das Rascheln von Papier erklang erneut, ge­folgt von dem charakteristischen Piepen einer Konsole, auf der Zahlen eingegeben wurden. Dem leisen Knir­schen von Zahnrädern folgte das donnernde Rumpeln der Tür, die sich in den Angeln bewegte.

      * * *

      Christopher suchte im Schein seines Handys in der Schublade nach der Taschenlampe, als das rumpelnde Geräusch des sich öffnenden Tores erklang, das zum Lager führte. Im Dunkeln schien es ihm, als ob das Geräusch doppelt so laut erklang.

      Wenigstens funktionieren die Türen noch, dachte er, als er sich mit der Taschenlampe auf den Weg machte. Das Gemurmel der Mitarbeiter ging in dem andauernden Rumpeln der Tür beinahe unter. Im Dunkeln sah Christopher mehrere Gestalten, die aus dem Lagerbe­reich in die Zentrale vordrangen. Er grunzte missver­gnügt, während er sich der Gruppe näherte.

      »Wirklich witzig, Jungs«, meinte er, ohne jeglichen Humor in der Stimme. »Ihr wisst ganz genau, dass Halloween abgesagt worden ist. Wenn René oder Jochen das mitbekommen, reißen sie euch den Kopf ab.«

      Noch während er sich dem Vordersten aus der Gruppe näherte, änderte sich seine Meinung. Die Kostüme waren wirklich gut. Im Schein der Taschenlampe sah es fast so aus, als ob es sich wirklich um lederne Rüstungen handelte, und so, wie es aussah, hatten die Jungs eine Menge Arbeit in die Masken gesteckt. Die grün-graue Haut sah beinahe echt aus.

      Noch während er überlegte, wie er die Angelegenheit regeln konnte, um den Mitarbeitern möglichst we­nig Schwierigkeiten zu bereiten, fuhr der Kopf desjeni­gen herum, der ihm am nächsten war. Die gelben Augen waren das erste Indiz, das Christopher daran zweifeln ließ, dass es sich hier um eine Gruppe Mitarbeiter han­delte, die einen Halloweenstreich spielten. Der Streit­kolben, der ihn seitlich am Kopf traf, das zweite.

      * * *

      »Sachte.«

      Die Stimme klang schwammig in seinen Ohren. Als er die Augen öffnete, drohte der Schmerz seinen Schädel zu spalten, also schloss er sie wieder.

      »Wsn?«, nuschelte er.

      »Bleib liegen«, sagte die Stimme, die Christopher als die von Sahra identifizierte. Etwas Kaltes berührte seinen Kopf und sorgte dafür, dass die Schmerzen kurzfristig abebbten. »Sophia ist unterwegs.«

      Dreißig Minuten später war die Ärztin zu dem Schluss gekommen, dass Christopher ungeheures Glück gehabt hatte. Sein Kopf war da anderer Meinung, aber der Streifschlag hatte ihn nur ins Land der Träume geschickt, wenn auch äußerst unsanft. Wäre der Treffer zehn Zentimeter näher an der Mitte des Schädels gelandet, würde er jetzt im Koma liegen.

      »Was zum Teufel ist passiert?«, fragte er Sahra, die ihn aufmerksam beobachtete und nach Anzeichen Ausschau hielt, die über die einer normalen Gehirnerschütterung hinaus gingen. Ein verwirrtes Kopfschütteln war die Antwort.

      »Keine Ahnung«, meinte sie. »Das Licht ist ausgegangen. Ich war auf dem Weg zum Sicherungskasten, als es wieder angegangen ist. Dann bin ich hierher gekommen und hab euch gefunden.«

      Christopher blickte sich um. Mehrere Mitarbeiter lagen auf dem Boden oder saßen zusammengesunken in ihren Sesseln, während Sophia ihren letzten Patienten untersuchte. Schließlich, nachdem sie auch ihm einen Eisbeutel auf die Kopfwunde gedrückt hatte, er­hob sie sich und kam langsam auf die beiden zu.

      »Es grenzt an ein Wunder, dass niemand wirklich verletzt wurde.« Christopher warf ihr einen Blick zu, der klar aussagte, dass er ihre Einschätzung der Lage nicht teilte. Sie nickte entschuldigend. »Lebensgefährlich, sollte ich vielleicht sagen. Wir haben drei Kopfwunden, von denen eine genäht werden muss, und einen Schlüsselbeinbruch. Können Sie mir mal sagen, was hier passiert ist?«

      Anstatt einer Antwort wanderte Christophers Blick zum anderen Ende des Raumes, wo Honk stand. Der Hüne machte einen unglücklichen Eindruck. Zugleich glaubte Christopher zu erkennen, dass er unglaublich wütend war. Das, was Christopher jedoch am meisten beunruhigte, war der Umstand, dass die Tür, vor der er wieder seinen Posten bezogen hatte, offen stand. In kurzen und knappen Worten berichtete er den beiden Frauen, an was er sich erinnern konnte. Bevor einer der drei ein weiteres Wort sagen konnte, ertönte ein schriller Alarm. Verwirrt schossen mehrere Blicke durch den Raum. Nichts gab Anlass zu vermuten, dass ein weiterer Zwischenfall bevorstand.

      »Was ist mit – ?«

      Das Zischen der Eingangstür, neben der Honk stand, mischte sich mit dem Rumpeln der Stahlschotts, die das Lager von der Zentrale trennten. Als sich die Türen mit einem leisen Rumms geschlossen hatten, wanderten die Blicke allesamt zu Christopher, der die Augen geschlossen hatte und


Скачать книгу