Kollateraldesaster. A.B. Exner

Kollateraldesaster - A.B. Exner


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„Scheiße.“

       Der Mann in der Takelage des Segelschiffes rüttelte an einem Seil, kletterte wieder etwas tiefer.

      Jetzt ginge es gerade so.

       Er hängte die Tasche ab und befestigte sie an der Wantenleiter. Dann holte er etwas aus der Tasche. Eine Eisensäge. Kein Wunder, dass der Skipper so fuchtig geworden war. Wenn er die auf den Kopf bekommen hätte. Ohne Skipper wäre der Segeltörn wohl ausgefallen. Aber das Segeln würde wohl sowieso ausfallen.

       Das Summen war wieder da. Ein schneller Blick. Niemand zu sehen. Es wurde lauter.

       Jetzt nur noch auf sein Ziel, auf Gelbert konzentrieren. Der war jetzt wichtig.

       Der sägte. Hatte sich mit dem Haken, der Sicherung vom Gurt, am Mastkopf festgemacht.

       Detlev Gelbert, dein Ende naht. Einatmen. Entsichern. Das Summen. Egal. Scheiß Angler. Ausatmen. Einatmen. Genau auf den Kopf zielen. Luft anhalten und langsam durchziehen. Der Schuss bricht. Was für ein Lärm. Warum bauen die Russen nicht mal leise Waffen?

       Neu anvisieren. Gelbert hängt mit dem Kopf nach unten am Mast. Dann war es ein Treffer. Hättest du Idiot nicht so einen blöden Gurt genommen, sondern eine richtige Sitzsicherung, würdest du jetzt nicht so bescheuert über Kopf hängen.

       Detlev, das sieht doch Scheiße aus.

      An Deck des Schiffes hatte noch niemand etwas bemerkt. Die Säge, durch einen Strick am Handgelenk des Toten gesichert, pendelte unter ihm. Ein Glück, dachte der Schütze. Hätte ja was passieren können, wenn er die nicht gesichert hätte. Das Summen hörte auf. Wo war dieses verdammte Summen.

      „Was machen Sie da?“ Er sah einen Mann im Rollstuhl. Wo kam der her. Er hatte doch immer wieder kontrolliert. Jetzt war alles egal. Schnell die Waffe schnappen und weg. Das Fernglas hing um den Hals. Die Plane, die alle Spuren aufnehmen sollte, hatte er schon in der Hand und die Hülse der abgeschossenen Patrone längst verstaut. Das Gewehr ging nicht ab. Der Drill des Befestigungsknotens, der den Lauf hielt, war zu steif, hatte sich überdreht. Er müsste schneiden. Wo war das Messer.

      „Was machen Sie hier?“

      Der Mann im Rollstuhl war kräftig. Breit gebaut. War er allein?

      „Horst, Felix, kommt schnell!“ Er fuhr den Rollstuhl näher heran.

      Gleich zwei Begleiter. Na fantastisch. Zum Glück hatte er seine Maske auf und das Schilf war so hoch, dass er durch den Mann im Rollstuhl nicht hatte erkannt werden können. Geduckt lief er den Fluchtweg entlang. Das Gewehr musste er zurücklassen, mit der Angelrutentasche. Sonst hatte er alles dabei. Die Handschuhe sorgten dafür, dass er keine Spuren hinterlassen hatte. Nicht einmal irgendwo hingespuckt hatte er, gelernt ist gelernt. Bis auf die Waffe, ließ er nichts zurück.

       Verdammt, er hatte versagt. Aber der Zeitdruck. Er rannte gebückt den Weg entlang.

       „Felix, Horst, hier bin ich!“

      Er rannte schneller. Wäre der Zeitdruck nicht gewesen, dann hätte er herausfinden, wo das Schiff hinfährt, und alles in Ruhe erledigen können. Aber der Boss hatte heute früh angerufen und nur gesagt: „Sie können Detlev jetzt auszahlen, die Lieferung ist in Ordnung. Wenn Sie mir heute noch Bescheid geben könnten. Nehmen Sie diese Nummer und dann können Sie das Handy irgendwo entsorgen.“

      Es war alles erledigt. Vom Verlust seines Werkzeuges sagte er jetzt besser nichts. Nur die vereinbarte SMS. Während er rannte, überlegte er. Nur erst einmal zu dieser verdammten Straßenbahn. Ein parkendes Auto wäre zu sehr aufgefallen. Hier gab es keine wirklichen Parkplätze. Die Haltestelle kam in Sicht. Endlich.

       Hinter ihm immer wieder diese Rufe nach Horst und Felix.

      Die Maske hatte er schon abgenommen, die Plane zusammengefaltet, beides schon in seiner Weste verstaut. Das Handy, wo ist das Handy? Ruhig bleiben.

       Während des Laufens, jetzt mit aufrechten Schritten, wie ein zu schneller Wanderer, suchte er das Handy. Endlich kam die Haltestelle in Sicht. Das Handy fand sich in der linken, äußeren Brusttasche der Weste. Einschalten, PIN, SMS aus dem Speicher und absenden. SMS löschen, noch mal kontrollieren ob alles gelöscht ist. Handy ausschalten. Chip rausnehmen. Akku abnehmen. Handy in hohem Bogen in das vorher erkundete Sumpfloch werfen. Akku in der anderen Richtung entsorgen. Chip über den in die Weste eingenähten Magneten ziehen, zerbrechen und in die Erde treten. Handschuhe links herum ausziehen, wegen der Schmauchspuren, und verstauen. Weiterlaufen. Den Fahrschein aus der Hosentasche holen und schneller. Da kam eine Bahn. Schneller. Geschafft.

       Er spürt den leichten Luftzug auf seiner Stirn. Das hieß, er schwitzte. Keine anderen Fahrgäste, die hier einsteigen wollen. Schwein gehabt.

       Die Bahn kam. Er traute seinen Augen nicht. „Betriebsfahrt“ stand in der Anzeige über dem Fahrer.

      „Horst, Felix, kommt ihr her!“, hatte der Mann im Rollstuhl gerufen. So rief man doch keine Freunde. Da kam die nächste Bahn, zwar in die andere Richtung, aber jetzt ist alles egal. Er wechselte die Straßenseite. Die Straßenbahn fuhr ein. Er drückte auf den Knopf. Die Tür öffnete sich. Er entwertete den Fahrschein, setzte sich und stand verwundert gleich wieder auf. Der Typ im Rollstuhl.

      Er hatte seine Angeltasche auf seinem Schoß. Das Gewehr war da drin. Das erkannte er sofort. Und dann kamen Horst und Felix in sein Sichtfeld. Die beiden altersschwachen Hunde schleppten sich den Weg entlang und konnten dem elektrisch betriebenen Rollstuhl gerade eben mal so folgen.

      Er setzte sich, nein, er brach vor verwunderter Erschütterung zusammen und fuhr Straßenbahn.

       Horst und Felix.

       Hunde.

       Er, der Kleine, hatte seine Waffe zurückgelassen wegen ein paar Hunden und einem Krüppel im Rollstuhl.

      10 Minuten später,

      Felix und Horst ließen sich den Kopf kraulen. Da waren Sirenen zu hören. Das machte nichts. Er hatte alles was er wollte. Durch Zufall, okay. Na und. Sein Leben hatte wieder einen Sinn. Hier kannte ihn kein Mensch wirklich. Wo war seine Videokamera?

       Die Polizeiwagen bogen ab, nahmen ihn nicht wahr. Das Gesträuch neben dem Fahrradweg versteckte ihn.

       Wo war die Kamera, verdammt? So ein Mist. Als er sich aus dem Rollstuhl warf, um an das Gewehr zu kommen, musste ihm die Kamera aus der Halterung gefallen sein. Dahin kann er jetzt nicht zurück. Wenn seine Schwester nur nicht so ein verdammter Kelly Fan wäre. Er wollte sie überraschen. Dieses Segelschiff auf der anderen Seite der Warnow, gehörte Joey Kelly. Dieser hatte das Schiff im Jahr 2000 an die Stadt Rostock in einer Art von Pacht übergeben, um sozial gefährdete Jugendliche auf diesem Schiff an ein Leben zu gewöhnen, welches eben nicht nur die seichten Seiten zeigt. Ein gern gesehenes, förderungswürdiges Projekt. Viele Begeisterte, wenig Geld - wie immer. Aber Joey Kelly hatte das Schiff, immerhin in einem Wert von fast 500.000 Euro, einfach gespendet. Keiner in Rostock konnte das begreifen. Und alle waren überfordert.

      Nach acht Jahren sah das Schiff jetzt famos aus.

       Ein richtiger Rahsegelschoner, sogar mit einer Breitfock. Das gab es nicht so oft in der Ostsee. Er kannte sich aus. Genau genommen gab es das nur einmal.

       Als seine Schwester erfuhr, dass Joeys Schiff in Rostock gelandet ist, fing sie richtig an zu nerven. Er schaffte es, sich vor zwei Jahren für einen Törn nach Kopenhagen anzumelden. Kosten - keine dreihundert Euro. Für einen Segeltörn über die Ostsee, für immerhin eine Woche. Verpflegung inklusive. Fand er toll. Er konnte viele Impressionen für seine Schwester mitbringen.

       Dann dieser blöde Unfall. Einverstanden, der Arzt sagte voraus, dass er in etwa sechs Monaten wieder laufen kann. Aber richtig rennen und klettern würde wohl noch mal sechs Monate dauern.

       Und alles nur wegen Heino. Dieses Arschloch musste ja unbedingt


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