Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel
später kam er wieder an unseren Tisch. Diesmal mit mehreren Schalen, die eine dicke, süßlich riechende Soße, Reis und verschiedene Gemüsesorten enthielten. Auch Essstäbchen legte er mit dazu, schaute mich aufmunternd an und blieb neben mir stehen. Anscheinend erwartete er, dass ich gleich mit dem Essen beginnen würde, doch ich bedeutete ihm, dass ich warten wollte, bis die Mönche ihr Essen hatten. Der Abt gab mir jedoch zu verstehen, dass sie nichts essen würden.
Da mich alle beobachteten – selbst der Koch schaute von draußen herein – und ich auch keinen beleidigen wollte, überwand ich die Abscheu, die mir angesichts der Zubereitung des Essens gekommen war, und griff nach der Schale mit dem Reis. Nun hatte ich aber noch nie mit Stäbchen gegessen und als ich verzweifelt versuchte, diese in einer Hand zum Essen zu nutzen, konnte sich der jüngere Mönch ein Lachen nicht verkneifen. Mit einem strafenden Blick sah ihn der Abt an und richtete einige Worte an den Wirt, woraufhin dieser ging und gleich darauf mit einer kleinen Schale Reis und einem Paar Stäbchen zurückkehrte. Dann zeigte mir der Abt wie ich die Essstäbchen halten sollte und führte mir vor, wie man damit aß. Krampfhaft versuchte ich es ihm gleichzutun, doch immer wieder bekamen die Stäbchen in meiner Hand ein Eigenleben. Frustriert setzte ich die Schale ab, doch der Abt lächelte mir nur aufmunternd zu, griff nach meiner Hand, korrigierte die Haltung meiner Finger und machte es mir noch einmal vor. Nach einigen Versuchen gelang es mir schließlich, einige Reiskörner in meinen Mund zu befördern.
Wenn sich das so fortsetzen würde, dann wäre ich noch Stunden damit beschäftigt, die Schalen zu leeren. Aber etwas Gutes hätte es dennoch, ich brauchte das unhygienische Essen nicht in mich hineinzuwürgen.
Aber vielleicht war das ja auch der Standard in dieser Welt und besser Zubereitetes bekäme ich nie wieder vorgesetzt. Wie recht ich mit diesem Gedanken haben sollte, wurde mir bald bewusst.
Wieder ein Versuch, bei dem ich drei oder vier Reiskörner schlucken konnte und am liebsten hätte ich die Essstäbchen in die Ecke geschmissen. Ein Blick zum Abt hinderte mich aber daran. Während die anderen mehr oder wenigen offen lachten, bedachte er mich mit einem aufmunternden Blick. Dann zeigte er mir noch einmal wie es gemacht wird, hielt dabei aber die Schale mit dem Reis direkt an seine Lippen und schob ihn in seinen Mund hinein. Als er mir so demonstriert hatte, wie ich mein Stäbchenproblem erst einmal umgehen konnte, zog er die anderen Schalen zu sich heran und zeigte mir, wie ich am besten das Gemüse und die Soße zu mir nehmen konnte. Ich tat es ihm nach und auf diese Weise gelang es mir, die Mahlzeit doch noch in meinen Magen zu befördern.
Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, dass sich der Koch – offenbar zufrieden damit, dass ich sein ‚Menü‘ vertilgte – wieder seiner Arbeit zuwandte. Den Weg zur Kochstelle legte er nun schneller zurück, da sich in der Zwischenzeit die Katze an einem der Töpfe gütlich getan hatte. Unter einem energischen Redeschwall scheuchte er sie davon und machte sich daran, die Mahlzeit in dem Topf weiter zuzubereiten. Als ich das sah, blieb mir der Bissen beinah im Hals stecken. Hustend und prustend schnappte ich nach Luft. Alle dachten, ich hätte mich beim Essen verschluckt und ich war wieder einen Lacher wert.
Der Wirt hatte sich auch wieder von unserem Tisch entfernt und den anderen Gästen zugewandt. Doch ich hatte den Eindruck, dass es bei den Gesprächen an den anderen Tischen, bei denen des Öfteren gelacht wurde, hauptsächlich um mich und meine Esskünste ging. Ich war froh, als ich nach einem längeren Kampf die Schalen geleert hatte und nahm mir vor, dass ich, bevor ich nicht richtig mit den Essstäbchen umgehen konnte, nie wieder in der Öffentlichkeit damit essen würde.
Das Essen hatte anders geschmeckt, als ich es aus dem Chinalokal meiner Heimatstadt gewohnt war. Dort hatte ich immer gerne gegessen und ich war mir auch sicher gewesen, dass alles frisch und sauber war, doch hier hatte ich im Nachhinein einen faden Geschmack im Mund.
Das Gemüse schien nicht sehr frisch gewesen zu sein und hatte einen seltsamen Beigeschmack gehabt. Die mit mir unbekannten Kräutern gewürzte Soße hatte das zwar zum Teil überdeckt, doch jetzt, nachdem ich mit dem Essen fertig war, hatte ich einen seltsam pelzigen Geschmack im Mund. Ich griff zur Teeschale und versuchte mit dem Tee diesen Geschmack loszuwerden, doch Tee zu einem solchen Essen war für mich genauso ungewohnt und somit half es nicht wirklich, die Situation zu verbessern. Es kostete mich einige Mühe, vor den anderen zu verbergen, dass mir das Essen nicht besonders geschmeckt hatte und ich war deshalb recht froh, als der Abt sich erhob, nachdem ich meinen Tee ausgetrunken hatte.
Er winkte den Wirt heran und zog einen Lederbeutel unter seinem Gewand hervor, um zu bezahlen, doch der Wirt wehrte energisch ab. Anscheinend war es für ihn eine große Ehre gewesen, den Abt als Gast zu haben. Mit einem Lächeln legte der Abt dem Wirt die Hand auf die Schulter und verneigte sich leicht vor ihm. Das schien diesem genauso viel wert zu sein wie eine gute Bezahlung, denn er bedachte den Abt mit einem nicht enden wollenden Redeschwall und die Seitenblicke, die er den anderen Gästen zuwarf, schienen zu sagen: ›Seht, welch eine Ehre mir zuteilwurde!‹
Nachdem wir das Lokal verlassen hatten, wanderten wir schweigend den Weg zurück, auf dem wir den Ort erreicht hatten. Ich hatte wieder Mühe, dem schnellen, weitausgreifenden Schritt der beiden Männer zu folgen und begann nach einiger Zeit zu schnaufen und zu schwitzen. Die beiden verlangsamten ihren Schritt ein wenig, nicht so sehr, dass es ein bequemes Wandern wurde, aber um so viel, dass ich ihnen gerade noch folgen konnte.
Wir hatten den Bergkamm schon überschritten und konnten das Seitental, in dem das Kloster lag, sehen, als sich mein Bauch energisch zu Wort meldete. Das ungewohnte Essen zeigte eine durchschlagende Wirkung und ich musste mich schnell in die Büsche schlagen. Auf dem restlichen Weg wiederholte sich das noch zweimal und ich war heilfroh, als wir das Kloster erreichten. Dort trennte sich der Abt von uns und der jüngere Mönch führte mich in den Raum, der mir am Morgen schon einmal zugewiesen worden war.
Auf dem Weg dorthin hatte ich den Eindruck, dass es im Kloster ruhiger geworden war. Irgendwie fehlten die Menschen. Bei meinem ersten Besuch hier hatte ich viel mehr Mönche gesehen. Von denen, die am Morgen auf dem großen Hof diese Übungen durchgeführt hatten, sah ich an diesem und auch an den nächsten Tagen keinen einzigen mehr.
In der Zelle, die mir zugewiesen worden war, lag die Kleidung immer noch dort, wo ich sie hingelegt hatte. Ich nahm sie von der Liege und legte sie auf einen Hocker, der neben der Pritsche stand, dann ließ ich mich, mir den Bauch haltend, nieder. Über das Gesicht des jungen Mönches, der noch in der offenen Tür gestanden hatte, huschte ein Ausdruck, als wäre ihm etwas eingefallen und er verließ mit schnellen Schritten den Raum. Nur wenig später kehrte