Nachtschwärmer Online. Jules van der Ley

Nachtschwärmer Online - Jules van der Ley


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ist mal eine aus dem Takt geraten im Schreibmaschinensaal. Sie musste dann zur strengen Taktlehrerin kommen, die mit einem Stöckchen in der Hand vom Kopf des Saales dirigierte. Ich weiß nicht, was die dann mit ihrem Stöckchen noch gemacht hat.

      Wir sind jetzt eigentlich fertig. Ich habe auch schon soviel erzählt. Du bist müde? Komm, ich habe nur noch zwei Bilder für dich:

      Das Kalenderblatt im Bild oben rechts zeigt den September 1873. Beginnt hier die Emanzipation der Frau? Die Schreiber schauen noch skeptisch, nur der kleine Junge scheint zu begreifen, dass Mutter sich unwiderruflich vom heimischen Herd der Berufswelt zugewandt hat.

      Rund hundert Jahre später gewinnt die Sekretärin Rojean Tulk anlässlich der Nationalen Woche der Sekretärinnen den Wettbewerb im Schreibmaschinenwerfen. Wie die Schreibmaschine der Frau den Weg in die Bürowelt eröffnet hat, so unterstreicht die Geste den Anspruch der Frau auf Befreiung von der rein mechanischen Tätigkeit des Maschinenschreibens. (Foto: Süddeutsche Zeitung)

      Gute Nacht, meine Liebe!

      Viadukt von Plombieres - wir wagen es!

      Wusstest du, dass der Gemmenicher Tunnel, den wir schon zweimal durchfahren haben, 870 Meter lang ist? Und nach 250 Metern, von deutscher Seite aus gesehen, haben wir die deutsch-belgische Grenze passiert. Sie liegt genau unterhalb des Drielandenpunts, und dort oben soll einst ein Stapelplatz gewesen sein. Für Holz – ein Holzstapel! Ist das nicht lustig? Du weißt, ich schwärme für die Holzstapel meines Freundes Nebenmann.

      Wir gehen von Moresnet aus zur Blockstelle Nouvelaar. Dort steht die Draisine. Dann fahren wir zuerst zum alten Turmbahnhof bei Buschhausen. Hier müssen wir auf die andere Gleisseite wechseln, denn in Belgien herrscht anders als in Deutschland auf den Gleisen Rechtsverkehr. Aus diesem Turmbahnhof zweigte früher noch ein Gleis Richtung Eupen ab. Doch es ist stillgelegt, und dieser Turmbahnhof wurde nie richtig in Betrieb genommen. Wir sehen auch nicht viel, wenn wir hindurch fahren. Es fällt nur ein wenig Licht von den Straßenlaternen hinein, dort in der Nähe von Heintjes Reiterhof.

      Pass auf, da sind Dornenranken. Der Pfad durch den Wald, ich glaube den laufen nur noch die Eisenbahnfans. Hier soll es irgendwo eine Brücke geben, die ein guter Fotostandpunkt ist. Ein schönes Wort, oder? „Fotostandpunkt“.

      Wenn man schon mal einen guten Standpunkt hat, dann gelingt auch ein Bild. Dann kann man auch ein Traumbild realisieren, findest du nicht?

      Wie fühlst du dich? Geht es dir gut. Na ja, Mondlicht haben wir nicht, die Nacht ist zu diesig.

      Wie sieht es eigentlich aus mit ihm zur Zeit? Nimmt er schon zu? Hast du eigentlich einen Mondkalender? Manche Frauen haben einen. Und früher – ja, ich glaube wir klettern auf den Bahndamm und laufen über die Schienen weiter – sag mal, schaffst du es, immer genau auf eine Schwelle zu treten? Man muss ziemlich kurze Schritte machen. Ich kann es nicht, da tappe ich dauernd daneben, wie beim Tippen, es macht mich wahnsinnig, wie oft ich mich vertippe. Hast du das nicht? Ich habe jedenfalls ein Wort erfunden: „Vertippmichdepp“. Wie findest du es?

      Ach ja, der Mondkalender. Früher dachte ich: Warum gibt es ihn, warum kauft man ihn und wozu ist er gut? Was meinst du, warum achten manche Menschen auf die Mondphasen? Ist es Aberglaube?

      Ja, du hast Recht, das Leben im Watt zum Beispiel, ist abhängig vom Mond. Die Gezeiten und so. Ja, aber der Mensch, erlebt er auch Gezeiten? Keine Ahnung, doch es fühlt sich manchmal so an. Man wird morgens wach, und es ist irgendwie der Wurm drin. Oder umgekehrt, der Tag beginnt nicht besonders, und dann wird er schön. Heute hatte ich so einen Tag. Ich führte schöne Gespräche. Unter anderem ging es um Wortneuschöpfungen, - das ist ein gutes Thema. Warum immer warten, bis die Journaille eins erfindet?

      Ah, da hinten bei der Weiche steht die Nachtdraisine. Wer zuerst da ist? ---

      Klar, du warst wieder mal schneller. Bist einfach rabiater als ich und pfuschst dich dauernd vor. Ich komme gleich auf die Draisine, muss noch meinen Schuh binden. Mir hat eben jemand auf den Schnürsenkel getreten. Das warst nicht zufällig du? Voll auf den Fuß! Du hast übrigens Recht. „Vertippdepp“ ist besser. Es spricht sich leichter und hat einen Binnen-Endreim. Er ist zwar ein unsauberer Reim, doch immerhin. Du bist ja auch nicht ganz koscher, wenn du mich jedes Mal beim Wettlaufen zum Depp machst.

      Eisen auf Eisen rollt sich ab.

      Das geht schwer. Die Schienen sind hier ein bisschen holprig.

      Wie ist es jetzt, bist du nun schwindelfrei oder nicht? Also, ich bin im Sommer noch mit meinem Bruder unten im Tal der Geule bei Plombieres gewesen. Ich wollte ihm den… oder heißt es das? Viadukt zeigen. Plombieres, das heißt auf Deutsch Bleyberg. In der Gegend wurde Erzbergbau betrieben. Galmei – also Zinkblende haben sie gefördert. Es war kurios um die Jahrhundertwende. Die Großmächte stritten sich um das Bergwerk. Darum hat man die Gegend dann neutralisiert. Sie haben da mal ausnahmsweise nicht die jungen Männer bewaffnet und aufeinander gehetzt, sondern Politik gemacht. Das hier war „Neutral-Moresnet“. Schade, dass es das nicht mehr gibt.

      Jetzt heißt es Altbelgien. Die alten Leute sprechen übrigens noch Deutsch, einige jedenfalls.

      Ach ja, mein Bruder. Also unten bei dem ersten der mächtigen Pfeiler lag ein Steinhaufen. Wir haben darin gekramt, und mein Bruder fand einen großen Stein mit einer Versteinerung darin. War ja mal Meeresboden hier. Die Gegend war ein flaches Meer irgendwann in der Frühzeit. Jetzt liegt der Stein jedenfalls im Garten meines Bruders, in einem Ort in der Nähe des Rheins.

      Tocktock

      Achtung, hinter der Biegung taucht der Turmbahnhof auf!

      Wir rollen hinein …

      Jetzt muss es schnell gehen, damit es dich in der finsteren Höhle nicht gruselt. Dort steht kein freundlicher Bahnhofsvorsteher im Laternenlicht. Das wäre schön, aber einen freundlichen Bahnhofsvorsteher findest du noch nicht einmal mehr bei der Deutschen Bahn.

      Tocktock

      Tocktock

      Ist das finster hier…

      Und wie meine Stimme hallt!

      Guck schnell durch die Fensterhöhlen! Hinter den Straßenlaternen liegt irgendwo Heintjes Reiterhof.

      Was der wohl gerade macht? Steht vielleicht auf dem Wohnzimmerteppich und singt Karaoke zu seinen eigenen Platten. Es wäre lustig, wir würden das jetzt hören. Über einen großen Lautsprecher müsste er die Gleisstrecke und den Turmbahnhof beschallen. Oder Hein Simons käme vor die Haustür, um Heitschibummbeitschi zu singen, mit weit ausladenden Gesten, damit wir ihn auch sehen.

      Tocktock

      Siehst du, wir sind wieder unter freiem Himmel. Und? Hast du dich gegruselt?

      Wenn nicht, dann weißt du jetzt etwas über die Macht der Sprache und des Gesangs. Sie können die Stimmung des Menschen heben, wenn man sie richtig einsetzt.

      Und sogar Heintje kann das, ist doch witzig, oder?

      Tocktock

      Klar sind wir auf dem rechten Weg. Wir haben die Seite gewechselt, als es im Turmbahnhof einmal geruckelt hat. Da war die Weiche, die uns auf das rechte Gleis geleitet hat. Übrigen, noch ein Stückchen über diesen hohen Bahndamm und dann liegt er vor uns: Der Viadukt von Plombieres!

      Wir nähern uns. Hör mal, glaubst du, auf dem rechten Weg ist es immer ungefährlich? Du machst mir Spaß. Nein, es kann dort manchmal Abgründe geben. Da muss man rüber. Dazu hat man Brücken und Viadukte. Es ist sicher. Hier rollen täglich und nächtlich schwere Güterzüge hinüber…

      Tocktocktock

      Achtung! Gleich schweben wir über dem Abgrund! Keine Sorge, wir bleiben fest auf dem Gleis. Guck, die Brücke ist breiter


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