Wer braucht schon Zauberkerle?. Marie Lu Pera
lässt sogleich nach.
„Sie steht unter Schock. Berührt sie bloß nicht, sonst könnte sie einen Nervenzusammenbruch erleiden“, rät ihm Junus, der hinter mir steht. Aus meinem Grinsen wird ein herzhaftes Lachen.
„Raven, komm zu dir“, verlangt Beliar.
Ich hebe die Hand an seine Brust. Noch in der Bewegung erkenne ich, dass sie leblos herabhängt. Die Panik darüber geht in einem Meer von rosa Wölkchen unter, das mich wieder umgibt. Ich spür auch gar keine Schmerzen mehr.
„Lasst Ihr Zeit“, beschwört Junus den Hexer vor mir, der mich intensiv mustert, als wäre er jederzeit bereit, meine nahende Ohnmacht abzufangen, aber den Gefallen tu ich ihm nicht.
Ich trete an ihn heran und flüstere ihm ins Ohr: „Du riechst nach ihrem Parfum.“ Dabei streifen meine Lippen seine Wange. Ich lächle, drehe mich um und stolziere davon.
Meinem Vater und meinen Brüdern steht der Mund offen. Thomas sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen. Die Hofdamen erwachen sensationslustig aus ihren gespielten Ohnmachten und schreien beim Anblick meiner Handgelenke gleich wieder munter weiter. Das entzieht mir das nächste herzhafte Lachen. Ich winke ihnen sogar zu – okay, das war abartig, sogar für meine Verhältnisse. Ein paar von ihnen schmeißen sich erneut in die Arme der Männer. Der Rest schreit sich die Seele aus dem Leib.
„Du bist ein Alien“, wirft mir Junus vor, der gerade dabei ist, meine Brüche zu heilen. „Nicht mal mit der Wimper hast du gezuckt, als Beliar ihn getötet hat und dann stapfst du lachend an uns vorbei, als würdest du einen Spaziergang im Hof unternehmen.“
„Sie ist eine wahre Owen. Erträgt den Schmerz wie ein Krieger. Sie ist nicht so eine verweichlichte Hofdame, die sich in die erstbeste Ohnmacht flüchtet“, verteidigt mich mein Vater stolz. Beliar steht in einigen Metern Entfernung am Fenster und scheint in Gedanken versunken zu sein.
Junus hält mir wieder die Hand an die Stirn. „Das Fieber ist angestiegen. Ich verstehe das nicht, du müsstest schon längst bewusstlos werden, bei der Körpertemperatur.“
„Wieder ein Zeichen ihrer Stärke. Selbst ohne Zauberkräfte hält sie extremsten Körperbelastungen stand“, schwärmt mein Vater. Naja, schön wärs.
„Und du fühlst dich tatsächlich wohl?“, hakt Junus ungläubig nach. Meine Augen wandern erneut zu Beliar, der mich keines Blickes würdigt.
„Mir geht’s bestens“, erkläre ich vergnügt.
Junus‘ Zornesfalte tritt hervor. „Als du das das letzte Mal gesagt hast, hab ich dich mehr tot als lebendig aus der Dusche gezogen, weil du dich umbringen wolltest.“ Moment mal. Das ist ja die Übertreibung des Jahrhunderts. Nun habe ich Beliars Aufmerksamkeit – und nicht nur seine.
„Wie war das?“, hinterfragt mein Vater Junus‘ Worte. Sieht so aus, als wär ich doch nicht jeder Körperbelastung gewachsen.
„Ich wollte mich nicht umbringen“, rede ich mich raus.
„Du weißt schon, was passiert, wenn die Körpertemperatur unter einen gewissen Bereich sinkt. Ich frage mich, wie lange du das Eiswasser noch über dich laufen lassen hättest, hätte ich dich nicht rausgezogen. Ein paar Minuten länger und du wärst ohnmächtig geworden. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, hätte ich dich nicht gefunden“, stichelt mein Bruder weiter. Ich will jetzt nicht darüber nachdenken, also ignoriere ich seine Worte.
„Raven.“ Artis ist an meine Seite gekommen und mustert mich mit sorgenvoller Miene.
Jetzt wendet sich Junus Beliar und meinem Vater zu. „Ich mache mir Sorgen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Sie benimmt sich eigenartig. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie steht unter einem Zauber.“
„Würdest du aufhören, so zu tun, als wär ich nicht anwesend“, tadle ich ihn halbherzig. Meine gute Laune kann so schnell nichts trüben.
Mein Vater hebt die Hand und lässt sie in der Luft über meinen Körper gleiten. Daraufhin erklärt er: „Ich kann keinen Zauber feststellen. Beliar, es würde die Sorgen eines Vaters erheblich lindern, wenn du dies auch bestätigen würdest.“
Sogleich tritt er näher. Interessiert beobachte ich ihn dabei, wie er dasselbe wie mein Vater mit mir abzieht.
Resümierend stellt er fest. „Ich spüre ebenso nichts.“ Die Antwort lässt mein Herz zusammenkrampfen. Sind wir also schon so weit, dass er nichts mehr spürt, wenn er mich ansieht. Ich weiß, wie er die Worte gemeint hat, aber es tut trotzdem weh, dass er sie so unüberlegt ausstößt. Vielleicht war das ja auch Absicht, um mir eins reinzuwürgen.
„Nun gut“, stellt mein Vater abschließend fest. „Dann widmen wir uns dem Grund, warum ich dich herbeordern ließ, Beliar.“
„Wartet, was ist mit Raven? Die Sache ist noch nicht vom Tisch. Mir gefällt das nicht“, versucht es Junus erneut und erntet einen bösartigen Blick meines Vaters, der Marke „Wenn-Blicke-töten-könnten“.
„Was hab ich dir vorhin gesagt, Vater? Es ging um Liebe. Also, nur zu deiner Erinnerung“, weise ich ihn zurecht.
„Entweder ihr verhaltet euch jetzt ruhig oder ich werfe euch hinaus“, droht uns mein Vater. Daraufhin klärt er Beliar auf: „Es gibt ein Gnadengesuch, das wir zu besprechen haben. Zumindest für Tiberius. Die Hinrichtung von Nadar hat sich ja somit erledigt.“ Wie kann er nur das Wort „erledigt“ in den Mund nehmen? Hat der Mann denn keine Gefühle?
Beliars Augenbrauen schnellen hoch. „Welch Narr winselt um Gnade für einen Verbrecher wie Tiberius oder Nadar.“
Lächelnd wende ich winkend ein: „Der Narr war ich.“
Damit hätte er wohl nicht gerechnet, denn er sieht meinen Vater ungläubig an, der nur mit den Schultern zuckt und ihn informiert: „Ich habe es abgelehnt.“
„Dafür hast du mich herholen lassen – für dieses Gesuch, das an Absurdität nicht zu überbieten ist“, herrscht er mich an.
„Oooooooohhh“, stoße ich überspielt theatralisch aus. „Das tut mir aber leid, dass ich dich davon abhalte, dich durch das halbe Mittelalter zu vögeln.“ Meinen Brüdern ist soeben jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Die Erkenntnis, dass ich ihr Gespräch mitbekommen habe, bereitet ihnen ziemlich großes Unbehagen.
„Raven“, zischt mein Vater.
Beliars Fäuste ballen sich so fest, dass man sogar so ein Knatschen hört und die Knöchel weiß hervortreten. Er ist sichtlich im Zwiespalt, mich anzuschnauzen oder lieber doch gleich zu verkloppen.
Lächelnd wende ich mich von ihm ab und trete zur Tür.
„Wo willst du hin, Tochter? Wir sind hier noch nicht fertig“, ermahnt mich mein Vater.
„Spazieren. Auf dieser Burg gibt es ja eine erstaunlich hohe Dichte an hübschen Kerlen. Weißt du, ich weiß bis heute nicht, was der Ausdruck ‚Jemandem den Hof machen‘ tatsächlich bedeutet. Vielleicht erklärts mir ja einer von ihnen und stopft meine klaffende Wissenslücke. Vielleicht vögeln wir auch eine Runde. Wer weiß, was der Tag noch so bringt?“ Ups. Hab ich das gerade laut gesagt?
„Artis“, zischt mein Vater. „Du hast die Erlaubnis, deine Schwester, unter Zuhilfenahme gewisser fördernder Mittel, auf ihr Zimmer zu geleiten, um ihre klaffende Wissenslücke zu füllen, wie sich eine Lady bei Hofe zu benehmen hat.“
Ich lache laut auf. „Da wird vorher aus Artis ein Hetero, bevor aus mir eine Lady wird.“ Der ärgerliche Blick meines Bruders schlägt mich in die Flucht. Kichernd stürme ich aus der Burg.
Ein fuchsteufelswildes „RAVEN“ aus dem Munde meines Vaters hallt mir hinterher, doch da hab ich bereits einem jungen Mann – schätze es ist der Stallbursche – der gerade ein Pferd über den Innenhof führt, die Zügel entrissen, bin aufgesessen und jage die Zugbrücke entlang. Artis nimmt sicher die Verfolgung auf, daher wähle ich einen anderen Weg in die Stadt.