Die Weberin der Magie. Niels Rudolph
in die Klapsmühle gesteckt wurde.
»Äh ... Kommt doch einfach mit rein und überzeugt euch selbst«, sagte er und tat, als wäre er tödlich beleidigt. Für einen Moment sah es so aus, als würden die Orks das Hasenpanier ergreifen, doch schließlich rissen sie sich zusammen und erklärten sich bereit Wulf zu folgen. Er führte sie in die Hütte, wo die Hexe schon damit beschäftigt war, zwei weitere Gedecke aufzutischen. Die Orks sahen sich unsicher in der Hütte um und kamen nur zögernd näher.
»Warum so schüchtern? Ich beiße nicht«, verkündete Myrna und lächelte die Monster gewinnend an. Aus den Gesichtern der Orks konnte Wulfhelm ablesen, dass sie das genaue Gegenteil vermuteten, und er versuchte, die Atmosphäre etwas aufzulockern: »Die zwei hier gehören zu einer großen Gruppe, die ihr Lager in der Nähe der tausendjährigen Buche aufgeschlagen haben.«
»Oh, vielleicht sollte ich mal vorbeischauen. So eine Art Nachbarschaftsbesuch, versteht ihr?«
Die Orks schüttelten verneinend die Köpfe. »Das ist doch wirklich nicht nötig«, versicherten sie wie aus einem Mund.
»Ach, das macht mir keine Umstände«, winkte die alte Frau lässig ab.
»Wir müssen jetzt aber gehen«, sagte der größere Ork und schob seinen Begleiter in Richtung Tür.
»Sie haben ihren Tee ja gar nicht angerührt«, sagte Myrna, nachdem die Monster gegangen waren.
Wulfhelm und Harika blieben noch ein paar Stunden bei Myrna, die jetzt unablässig in einem großen Kessel rührte und verschiedene Zutaten hinzufügte. Vorher hatte sie den Wald wieder in Ordnung gebracht, nachdem sie bei dem düsteren Anblick fast in Ohnmacht gefallen war. Der Bodennebel hatte sich inzwischen vollkommen aufgelöst und die Sonne schien nun auch wieder durch das Blätterdach. Dieses Panorama hatte etwas ungemein Friedliches und Beruhigendes.
Während Harika sich weiter mit der Hexe unterhielt, experimentierte Wulfhelm vor der Hütte mit seinen Artefakten und kennzeichnete die Ringe und Stäbe, deren Funktion er herausfand mit einem Zettel, den er aus seinem Zauberbuch herausriss und mit Baumharz festklebte.
Diese Arbeit war nicht ganz ungefährlich und in ihrem Verlauf wurde ein Baum vom Blitz getroffen, ein unscheinbarer Pilz wuchs auf das Zehnfache seiner Größe an und ein Wildschwein wurde liebestoll und verfolgte Wulfhelm einige Meilen durch den Wald, bis er es abschütteln konnte. Erschöpft ließ er sich vor der Hütte nieder und versuchte wieder zu Atem zu kommen, als sich die Tür öffnete und die beiden Frauen heraustraten.
Sie zogen einen großen Handwagen hinter sich her, auf dem der Kessel stand, in dem die Hexe vorhin noch gekocht hatte. Wulfhelm versuchte, einen Blick in das Innere des Kessels zu werfen, stellte jedoch enttäuscht fest, dass er mit einem Tuch zugedeckt war. Er wollte nicht neugierig erscheinen, daher fragte er nicht. Stattdessen schwelgte er in Fantasien über einen mächtigen Zaubertrank und überlegte, was Myrna damit vorhatte. Da sich der schwer beladene Handwagen nur mühsam über den weichen Waldboden ziehen ließ, wurde auch Wulf eingespannt von hinten zu schieben, während sich die Frauen an der Deichsel abmühten. Mit gelindem Unbehagen stellte Wulfhelm fest, dass sie sich dem Lager der Monster näherten. Auch wenn er seinen Teil des Vertrages erfüllt hatte, zog er doch eine bessere Gesellschaft vor. Die Oger hatten ihn so hungrig angesehen, vielleicht würden sie sich nicht an die Abmachung halten. Plötzlich bremsten die Frauen den Handwagen ab, und als Wulfhelm aus seinen Überlegungen aufschreckte, standen sie bereits mitten im Lager.
Die Monster standen in kleinen Gruppen auf dem Platz verteilt und diskutierten eifrig. Aus einigen lauter gesprochenen Wortfetzen entnahm Wulfhelm, dass die Gespräche um den plötzlichen Sinneswandel der bösen Hexe kreisten und ob man dem Luder trauen konnte, oder alles ein Trick war. Außerdem wurden empörte Rufe laut, was aus dem schönen, finsteren Wald geworden war. Die Monster schienen sie noch nicht bemerkt zu haben, denn keines von ihnen machte Anstalten sich um sie zu kümmern.
»Hallo, da sind wir!«, rief die Hexe wie eine Großmutter, die in den Sommerferien ihren Sohn besuchte. Die Gespräche verstummten und eisige Stille breitete sich aus. Eine Zeit lang standen beide Parteien einfach da und beäugten sich. Wulfhelm erschien es, als wären die Monster zu Stein erstarrt, denn sie bewegten sich nicht einmal, um sich am Ohr zu kratzen.
»Hey, ihr müsst schon etwas lockerer werden, wenn wir eine gute, nachbarschaftliche Beziehung aufbauen wollen«, brach Myrna das Schweigen.
»Was meint sie?«, klang das Flüstern eines Goblins herüber.
Der angesprochene Ork zuckte die Schultern.
»Meinst du das ernst, oder ist das wieder einer Deiner fiesen Tricks?«, ertönte die Stimme eines Monsters, das sich in der Geborgenheit der hintersten Reihe der Gruppe wähnte.
»Natürlich meine ich es ernst. Was ist das überhaupt für eine merkwürdige Frage?«
»Und was du da mitbringen?«, brummte ein Oger und zeigte auf den Kessel. Wulfhelm wurde hellhörig. Das interessierte ihn aber auch.
»Ich habe einen kleinen Umtrunk mitgebracht, leckere Waldbeerenlimonade.«
»LIMONADE!?«, rief die Gruppe einstimmig und ein entsetzter Ausdruck zeigte sich auf den Gesichtern der Monster.
»Ja, wir könnten ein Lagerfeuer anzünden, und lustige Lieder singen.« Sofort trat Unruhe auf und die Monster debattierten aufgeregt, welches Lied am lustigsten war.
»Das ‚Schädelspalterlied‘ ist lustig«, klang es aus der Menge. Ein Ork winkte gelangweilt ab. »Ach was! Der ‚Wir-bringen-Tod-und-Pestilenz-Song‘ ist viel lustiger.«
»Wie wäre es mit ‚Wir jagen und wir fressen sie‘?«
»Kannst du nicht einmal an was anderes denken?«
»Nöö!«
»Ich sage nur ‚Streitaxt-Blues‘.«
»Viel zu melancholisch.«
»HALT!«, rief Myrna und schüttelte verzweifelt den Kopf. »DAS sollen lustige Lieder sein?«
»Na klar, woran hast du denn gedacht?«, fragte ein Goblin und sah sich Hilfe suchend nach seinen Kameraden um.
»Nun ja ... ‚Es war ein lust‘ger Wandersmann‘ oder ‚Das Fest der acht Zwerge‘, aber doch nicht so ein brutales Zeug.«
»Das Fest der acht Zwerge?«, fragte ein Ork gequält.
»Ich dachte, es waren nur sieben Zwerge!«, rief ein Goblin vorlaut.
»So was will ich nicht singen«, schmollte ein Oger und schlug beiläufig gegen einen jungen Baum, der dabei versehentlich umkippte.
»He, wartet mal!«, rief Borgra, »Wir brauchen uns von der doch nichts sagen zu lassen. Schließlich ist sie jetzt nicht mehr böse. Außerdem wollen wir erst, dass sie unsere Kameraden am Froschteich zurückverwandelt.«
»Ach ja, stimmt ja!«, meinte ein Oger und flüsterte Borgra etwas ins Ohr. Der Ork verdrehte die Augen und klopfte dem Oger freundschaftlich auf die Schulter.
»Glaub‘ mir Dicker, die ist viel zu zäh«, flüsterte er zurück.
»Was ist los?«, fragte Myrna und blickte die beiden Geheimniskrämer herausfordernd an.
Wulfhelm zog Harika beiseite und erläuterte ihr, warum es am Besten war, jetzt langsam von der Bildfläche zu verschwinden.
»Wir können sie doch nicht bei diesen Unholden lassen!«, empörte sich die Kriegerin.
»Glaub mir, Myrna kommt sehr gut ohne uns zurecht«, erwiderte Wulf gereizt.
»Ich habe das Gefühl, dass sich die Angelegenheit in naher Zukunft zuspitzen wird«, verteidigte Harika ihren Standpunkt.
»Ein Grund mehr, um aus der Schusslinie zu verschwinden. Myrna ist vielleicht nicht mehr böse, aber sie hat immer noch ihre Zaubersprüche. Oder möchtest du vielleicht bei einem Glas Limonade am Lagerfeuer sitzen und ‚Es war ein lust‘ger Wandersmann‘ singen?«
»Hm. Vielleicht hast