Mondschein-Serenade. Albert Morava

Mondschein-Serenade - Albert Morava


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      "Ja."

      Er schaute zu Jan hin, hatte blaugrüne, ausdruckslose Augen.

      "Du hast einen Brief unter dem Kopfkissen."

      "Was? Bitte?"

      Robertos Sprachkenntnisse reichten für ein fließendes Gespräch nicht aus, er wirkte hilflos. Jan griff unter das Kopfkissen, zog das bereits zerknitterte Papierblatt hervor und reichte es ihm.

      "Da hast du es!"

      Roberto musterte gelangweilt das Gekritzel an.

      Hijo de puta...stand darauf als Anrede. Und noch ein paar Worte im kubanischen Spanisch, das Jan nicht verstand.

      "Von meinem Kumpel", sagte Roberto. "Er ist auch schon da, aber morgen werden wir beide woanders hin verlegt. Dort sehen wir uns wieder."

      Vor längerer Zeit hatte Jan versucht im Selbststudium Spanisch zu erlernen, aber irgendwie war ihm die Sprache nicht so sympathisch wie andere Dialekte des alten Lateins, welches er auf dem Gymnasium zu lernen hatte, doch nie wirklich erlernte. Zu hart im Vergleich zu Französisch, und ohne die verführende Melodik des Italienischen.

      Das war nun seine erste Spanischlektion vom Muttersprachler. Caramba!

       **********

      Die dunklen Statuen der Karlsbrücke kamen ihm in den Sinn und die verkruschelten Strässchen der Prager Kleinseite, die hoch zur Burg Hradschin führen, der Altstädter Ring, das Judenviertel - das wahre Prag, wie es historisch entstanden war - Kafkas Prag, Smetanas Prag und Mozarts Lieblingsstadt. Wie lange war es her? Es schien ihm eine Ewigkeit.

      Die übergroße Statue Stalins, die damals am Moldauufer als erzwungene Verbeugung vor dem großen Bruder aus dem Osten errichtet worden war, sah er jetzt klar vor sich. Ein peinlicher Fremdkörper war sie damals, der von echten Pragern mitleidig belächelt wurde. Prager Tauben nisteten auf ihr mit allen Konsequenzen, was regelmäßige Reinigung erforderlich machte.

      Es gibt sie nicht mehr, die Statue Stalins - vom Winde verweht. Doch Prag gibt es immer noch, denm diese Stadt behielt - und wird wohl für immer behalten - ihre melancholische Einzigartigkeit unter den Großstädten dieser Welt; allen Anstrengungen der damaligen Machthaber zum Trotz, ihr einen langweiligen Einheitsanstrich zu verpassen, der nie richtig hielt.

       Menschen, die aus einer anderen Umgebung mit klaren oder weniger klaren Erwartungen einer einschneidenden Änderung ihres Lebens in Prag ankommen, werden nicht enttäuscht. Prag wird sie verändern.

      

      Es war in einer Seminarveranstaltung der Karlsuniversität, wo Jan Tamara zum ersten Mal begegnete. Der Andrang vor dem Hörsaal, wo der Hippiepoet auftrat, war groß, da es sich herumgesprochen hatte, ein waschechter Amerikaner - und das hatte damals in Prag einen Seltenheitswert - gäbe es hier zu sehen und zu hören. Genauso hätte er ein Mann vom Mond sein können!

      Tamara, die - wie er selbst und viele andere - zusammen mit zwei anderen Prager Schönheiten ebenfalls auf die Ankunft des Amerikaners wartete, fiel ihm durch ihre Gelassenheit auf. Sie war weniger aufgeregt als die anderen und ausserdem hatte sie Ähnlichkeit mit einem anderen Mädchen, in welches er als Junge verliebt war, allerdings ohne mit ihr jemals darüber zu reden.

      Schulterlanges, dunkles Haar umrahmte ihr Gesicht. Eher rund als oval, aber weich und regelmäßig. Schwarze, leicht verträumt wirkende Augen, Stirn und Nase in einer Linie, die häufig auch als griechisches Profil bezeichnet wird. Große Lippen blühten wie eine rote Blumenknospe in ihrem Gesicht. Sie war nicht zu übersehen.

      Das Publikum hörte dem langhaarigen, bärtigen Dichter aufmerksam zu, ohne sich zu regen. Möglicherweise waren auch einige dabei, die kein Englisch verstanden und lediglich wegen der Schau gekommen waren. Nach dem Vorlesen gab es offiziell die Gelegenheit, dem Dichter Fragen zu seiner Schöpfung und andere allgemeine Fragen zu stellen.

      "Wenn Sie aus Paris kommen", fragte einer, "wo haben Sie dort gewohnt?"

      "Unter der Brücke", antwortete er grinsend.

      "Wo werden Sie demnächst in Prag Ihre Gedichte noch vorlesen? Im Verein der tschechoslowakischen Schriftsteller?"

      "Auf der Karlsbrücke"

      Peinliches Schweigen, so etwas war damals ausdrücklich verboten und galt als Anstiftung zur Störung der öffentlichen Ordnung.

      "Nehmen Sie Geld fürs Vorlesen Ihrer Poesie?"

      "Nicht in Prag", antwortete der Poet.

      .Ein ehrgeizig wirkender junger Anglist, der offensichtlich auf sich aufmerksam machen wollte, fragte:

      "Was halten Sie von Fidel Castro?"

      Diese Frage wurde von einigen Typen aus dem Auditorium kräftig beklatscht und der Dichter dachte kurz nach.

      " Vor einigen Monaten war ich in Havanna, um dort vorzulesen. Aber da ich zu jemandem sagte, es gäbe dort zu viel Homosexualität, haben sie mich ausgewiesen. Ist damit Ihre Frage beantwortet?"

      Totenstille. In der damaligen Tschechoslowakei war gleichegeschlechtliche Liebe ein Strafdelikt. Daraufhin fragte jemand leise und anonym, ohne die Hand zu heben:

      "Kennen Sie Jack Kerouac?"

      Kerouac war damals als die Schriftsteller-Ikone der Beatgeneration jener Zeit bekannt.

      "Jack ist mein Freund", sagte er. "Aber er trinkt zu viel"

      Damit ging die Schau zu Ende und die meisten Zuhörer verließen den Saal. Ein kleiner Rest, der bis zum bitteren Schluss blieb, um mit dem Lehrstuhlinhaber über den Erfolg dieser Veranstaltung zu reden, blieb noch sitzen.

      "Na, was meint ihr", sagte der Professor, “ist er ein Hochstapler?"

      Auf diese Frage gab es keine schnelle Antwort. Schließlich unterbrach der ambitionierte Brillenträger, der vorhin die Fidel-Castro-Frage gestellt hatte, die peinliche Stille und sagte:

      "Nein, aber er ist ein abschreckendes Beispiel!"

      "Richtig", sagte der Professor, "und deswegen war er hier!" Daraufhin beendete er formal die Veranstaltung.

      Nur zu gerne hätte Jan Tamara damals angesprochen und sie nach ihrem Eindruck gefragt, doch sie war längst gegangen.

      Wohin war sie gegangen? Novemberabende in Prag sind neblig und kalt, das gelblich-melancholische Licht der historischen Gaslaternen, die in einigen Straßen rund um das Gebäude der Philosophischen Fakultät stilecht als Beleuchtung aufgestellt sind, ist nur etwas für Verliebte und Romantiker.

      Doch die Prager und Pragerinnen sind in der Regel keine Romantiker, vielmehr sind sie praktisch veranlagt und verliebt sind sie selten.

      Tamara war mit ihren zwei Kommilitoninen auf dem Weg zur Mensa der juristischen Fakultät – hier gab es als Abendessen Kesselkost - meist gulaschartige Eintöpfe mit Brot gratis dazu. Die kurze Strecke von der philosophischen Fakultät zum Gebäude der Juristen, die normalerweisezu zu Fuß in wenigen Minuten zurückgelegt werden konnte, war wegen Arbeiten an der Kanalisation und dichtem Nebel, der sich jetzt schleierartig über die Stadt zu legen begann, schlecht passierbar.

      “Lasst uns doch hinüber zur Kleinseite gehen“, sagte Dana, ein schlichtes Mädchen aus der Slowakei, die neu war in Prag und mit Tamara - und drei anderen Mädels - das Zimmer im Studentenwohnheim der Ursulinen teilte.

      Dieses historische Jugenstilgebäude war früher ein Kloster und wurde im Zuge der Modernisierung des Landes in ein Studentenwohnheim umgewandelt.

      "Heute könnten wir uns wohl einen Abendimbiss in einer der kleinen Bars nahe der Karlsbrücke leisten", schlug sie vor.

      "Dem Dichter zu Ehren!" meinte Nadja, eine gut aussehende, üppige Rotblonde mit langem rotstichigen Haar. Bereits jetzt im November hatte sie schicke Winterstiefel aus rotgefärbtem Kunstleder an; die Stiefel waren Westimport und eine Spur zu elegant, zu teuer für eine Studentin.

      “Dichter?"


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