Serva II. Arik Steen

Serva II - Arik Steen


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nicht? Gab es über sie nicht genügend Stoff für Legenden?

      «Du bist also die Auserwählte!», meinte eine Stimme.

      Sie schaute auf und blickte in die Augen des Kommandeurs. Sie nickte.

      «Nun. Unsere erste Begegnung war nicht die Beste. Das gebe ich zu.»

      «Ich mache Euch keinen Vorwurf, Sir!», erwiderte sie.

      Er schüttelte den Kopf: «Nein. Das tust du nicht. Das weiß ich. Dennoch. Ich bitte dich um Verständnis.»

      «Ihr tatet nur Eure Pflicht!», erwiderte sie.

      Er nickte: «Ich bin Hamdir, der Kommandeur unserer Streitkräfte! Und das hier ist Vidolf. Unser Priester!»

      Hedda nickte stumm. Dem Priester war sie ebenfalls schon begegnet. Am heutigen Tag.

      «Hisst das Segel!», rief der Navigator, der in gewisser Weise auch die Rolle eines Kapitäns hatte. Er befehligte die Männer und hatte das Kommando. Der Steuermann war sein Stellvertreter. Warum ausgerechnet der Navigator die wesentliche Führungsrolle übernahm war klar. Seine Rolle war die Schwierigste überhaupt. Er musste entscheiden, welchen Kurs man einschlug, was nicht so einfach war. Vor allem am Anfang. Man musste südwestlich aufs Kalte Meer hinausfahren um dort schließlich den Westwind zu erwischen, um sich dann direkt in Richtung der Inselgruppe der Noaten treiben zu lassen. Gerudert wurde am Tag immer. Besonders wichtig war es jedoch am ersten Tag möglichst viele Kilometer zu machen. Man fuhr dabei so lange wie möglich die Küste entlang, was weitaus ungefährlicher war als auf dem offenen Meer.

      «Hauruck, Hauruck ...», tönte die Stimme des Steuermanns. Das Boot setzte sich in Bewegung. Das Segel blieb anfänglich still, nach einigen Minuten blähte es sich jedoch auf und unterstützte die Muskelarbeit der Ragni.

      Eine unglaubliche Sehnsucht erfüllte Hedda. Seltsamerweise hatte sie ein erstaunlich gutes Gefühl. Die See vor ihr brachte ihr eine ungewisse Zukunft. Aber alles war besser als in der Stadt zu versauern. Wo sie sich hätte Arbeit suchen müssen oder aber einen Mann, der sie heiraten würde. Letzteres wäre vermutlich kein Problem gewesen, aber sie war noch nicht so weit. Männer waren für sie kein Thema.

      3

       Land der Pravin,

       Laros, südlichste Stadt

      Strahlend blauer Himmel. Keine Wolke war zu sehen. Es war ein unglaublich schöner Tag. Aber die Angst, die in der Luft lag, überwog. Der Hauptmann war sich sicher, dass er an diesem Tag sterben würde. Er wünschte sich Regen. Noch einmal die Tropfen eines warmen Regenschauers auf der Haut spüren, bevor er in die Ewige Sonne geholt wurde.

      «Seht, Herr Hauptmann. Die Nehataner marschieren auf!»

      Der Hauptmann schaute verwundert in das langgezogene Tal, das nach Süden führte: «Wieso greifen sie nicht von der Anhöhe her an?»

      Der Unteroffizier zuckte mit den Achseln: «Keine Ahnung. Bis gerade war dort noch die Führungsriege versammelt. Aber sie sind abgezogen.»

      «Nun, für uns ist das zweifelsohne besser. Eine Chance haben wir dennoch nicht! Wie viele Einheiten marschieren auf?»

      «Ich zähle in etwa fünfhundert Schwertkämpfer. Dahinter vermutlich um die hundert Bogenschützen.»

      «Keine Reiter?»

      Der Unteroffizier schüttelte den Kopf: «Nein. Reiter sehe ich nicht. Bis auf die Führungsriege hinter den Schwertkämpfern. In etwa fünf Reiter. Vermutlich die Befehlshaber!»

      «Zieht hundert Mann unserer Leute ab!», meinte der Hauptmann plötzlich.

      «Was?»

      «Fünfzig sollen die Stellung halten. Plus die Bogenschützen auf den Dächern. Den Rest zieht ab!»

      «Bei den Göttern ... wieso?»

      Der Hauptmann antwortete nicht, sondern legte seine Hand auf die Schulter des Unteroffiziers: «Ihr wart mir ein treuer und ergebener Soldat. Und Ihr werdet auch jetzt treu sein. Treu auch zu Eurem Vaterland und gegenüber eurem Volk!»

      «Sicher ...!»

      «Ihr werdet die Verteidigung übernehmen!», meinte der Hauptmann: «Ihr könnt das. Ihr verteidigt Laros bis aufs Blut. Ich lasse euch fünfzig Schwertkämpfer und unsere fünfzig Schützen ...»

      «Ihr wollt fliehen?», fragte der Unteroffizier.

      Der Hauptmann schüttelte den Kopf: «Nein. Aber ich werde mit dem Rest die Anhöhe hinaufgehen und schließlich in die Flanke des Feindes angreifen!»

      «Das ist Wahnsinn!»

      «Es ist unsere einzige Chance!», meinte der Hauptmann: «Aber es muss schnell gehen. Wir haben nicht viel Zeit.»

      «In Ordnung!», sagte der Unteroffizier.

      «Ich werde die Männer abziehen, durch die Stadt führen und hinter der Bergkuppe auf die Anhöhe bringen. So dass es der Feind nicht sieht!»

      «Er wird sehen, dass wir die Männer abziehen!»

      «Umso besser. Sie werden denken, dass Teile unserer Truppen fliehen! Vielleicht werden sie dann leichtsinniger!»

      «Lasst mich nicht im Stich, Hauptmann!», murmelte der Unteroffizier.

      Der Befehlshaber der pravinischen Garnison schüttelte den Kopf: «Nein. Ganz bestimmt nicht!»

      Moral ist die Summe aller Werte, die man uns gelehrt hat. Moral ist das, was uns anerzogen ist. Oder gibt es doch ein natürliches Gewissen, das von Natur aus da war? Chantico war in der königlichen Familie mit Härte und Strenge erzogen worden. Er, der Bruder des Königs, hatte gelernt, dass die königliche Familie über allem stand und nichts so viel wert war wie königliches Blut. Und Feinde mussten vernichtet werden. Aber waren das überhaupt Feinde, die dort ihre Stadt verteidigten? Oder hatten sie die Nehataner nur zu Feinden gemacht, weil sie eigene Interessen verfolgten? Chantico hatte Zweifel. Er war anders als sein Bruder, auch wenn er die gleiche Ausbildung und Erziehung genossen hatte. Also musste es doch etwas wie ein natürliches Gewissen geben.

      «Seid Ihr bereit?», fragte Mixtli.

      Chantico nickte stumm.

      «Gut. Dann gebt den Angriffsbefehl. Die Schützen sollen die ersten Salven abfeuern!»

      Erneut nickte Chantico. Dann gab er lautstark den Befehl. Und der wurde durch die untergeordneten Führer weitergegeben.

      Die erste Pfeilsalve regnete auf die Soldaten der Pravin nieder. Ein paar wenige Männer schrien auf und brachen tödlich getroffen oder verwundet zusammen. Die restlichen Männer hielten ihre Schilde nach oben. Sie zitterten teilweise vor Angst. Man fühlte sich machtlos. Die Pfeile flogen durch die Luft und trafen dabei völlig willkürlich entweder einen der Schilde ober aber einen der Männer, wenn sie nicht genug geschützt waren. Nur wenige trafen auf den Boden auf. Zu dicht standen die Männer Seite an Seite.

      «Fertig machen zum Gegenfeuer!», schrie der Unteroffizier auf pravinischer Seite. Die Schützen auf den Dächern spannten nun ebenfalls ihre Bögen. Es war nun gut ein halbes Jahr her, seit die Pravin ihre erste Schützeneinheit aufgestellt hatten. Und der Unteroffizier war dankbar dafür. Lange hatte man diese Einheit belächelt. Vor allem, weil sie teuer war. Die Bogen kaufte man für nicht wenig Geld bei den Shiva.

      «Und Feuer!», hallte das Kommando.

      Die Pfeilsalve der Pravin war die Antwort auf den nehatanischen Angriff.

      «Bei den Göttern!», rief Chantico aus: «Seit wann haben die Pravin Bogenschützen?»

      Mixtli starrte auf die eigenen Reihen in denen einige Soldaten zu Boden fielen. Nein, er hatte ebenfalls keine Schützen erwartet. Man war fest davon ausgegangen, dass die Pravin nur Fußsoldaten hatten. Das war schon immer so gewesen.

      «Ich habe Euch gesagt, dass Bogenschützen auf den Dächern stehen!», meinte einer der Offiziere, der mit seinem Pferd neben Mixtli


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