Der dritte Versuch Elfen und Menschen. Norbert Wibben

Der dritte Versuch Elfen und Menschen - Norbert Wibben


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Arawn. Keine Angst, dir passiert nichts.«

      »Arawn? Woher kenne ich den Namen?« Sie glaubt dieser Stimme, sie wirkt überzeugend und ruhig. Der Mann, dem sie gehört, scheint jeder Situation gewachsen zu sein. Die Elfe atmet auf und dreht sich zu dem Räuber zurück. Sollte sie träumen, besteht keine Gefahr, wenn sie dem Tier in die Augen schaut. Doch egal wohin sie sich wendet, der Wolf ist verschwunden.

      Mit einem tiefen Seufzer wacht Cloe auf. Sie öffnet die Augen und erkennt, dass es mittlerweile Morgen ist. Schnell steht sie auf und blickt zu den Pferden. Sie kauen auf Heuhalmen und blicken sie interessiert an.

      »Wann geht es weiter?«, scheinen sie fragen zu wollen. »Haben wir noch Zeit, etwas von dem leckeren Futter zu naschen?« Die Elfe lächelt bei diesen Gedanken und streichelt Doineann. Das grau-weiße Pferd schnaubt zur Begrüßung und wedelt mit dem schiefergrauen Schweif. Cloe denkt kurz an Kayleigh, die ihr die wertvolle Stute geschenkt hat. Ob die Oberste der Nordelfen mittlerweile Kontakt zu Cian bekommen hat? Die Schwierigkeiten könnten darin liegen, dass die beiden zu weit voneinander entfernt sind. Es ist aber auch möglich, dass der verwirrte Elf von der Kontaktaufnahme nichts bemerkt! Sofort drängt es die junge Elfe, nach Cian zu schauen. Sie hat diese Aufgabe von Kayleigh übernommen und ist es ihr schuldig, sich um ihren alten Freund zu kümmern. Cloe richtet ihre Kleidung und zupft sich einige Halme aus dem Haar. Sie streicht mit den Finger hindurch, um es zu glätten, dann tritt sie aus dem Stall.

      Arawn begrüßt sie mit einem seltsamen Lächeln. Die Elfe stutzt. Sie erinnert sich sofort an den Traum. Was bedeutet das? Die Sequenz war keinesfalls hellgesehen, ist sie überzeugt, aber warum lächelt der Herrscher der Fairwings sie jetzt so wissend an.

      »Du hast hoffentlich gut geschlafen?«, erkundigt er sich fürsorglich.

      »Ich … ich habe heute Nacht einen Wolf gesehen«, entgegnet sie fast flüsternd. Trotzdem vernimmt Arawn diese Worte.

      »Das habe ich bemerkt.« Jetzt staunt Cloe. Der Fairwing steht vor ihr. Hat er sie bei dem nächtlichen Kontrollgang gesehen? Zu wissen, was sie geträumt hat, ist dagegen unmöglich!

      »Ich meine … Ich wollte nicht …« Sie schluckt einmal und beginnt dann erneut. »Gestern Abend konnte ich erst nicht schlafen, bin aber dann doch eingenickt. Nach einem Geräusch der Pferde habe ich die Lage kontrolliert. Ich musste mich überzeugen, dass es kein Wolf über den Abgrund zu uns geschafft hat.«

      »Die Kluft ist zu breit und zu tief.« Arawn blickt sie an, versteht aber offenbar ihre Sorge. »Ich habe dir gesagt, dass wir hier sicher sind.«

      »Ich weiß, trotzdem sorgte ich mich. – Als ich am Abgrund stand, leuchteten im Schein meiner Lichtkugel ein Paar Augen zu mir herüber. Doch sie verschwanden sofort, als ich das Licht weiter dorthin sandte. Danach ging ich wieder schlafen.«

      »Das ist dann sicher der Grund für deinen Traum!« Die Elfe überläuft ein Schauer.

      »Woher …?«

      »Ich habe dir doch gesagt, dass du träumst.«

      »Wie? – Es stimmt, ich habe … Aber das ist doch nicht möglich!« Cloe schaut den Fairwing völlig entgeistert an.

      »Doch. Ich bin ein Spurenleser, das sagte ich dir doch, oder nicht?«

      »Ja, das hast du. Meintest du damit nicht die Fährte, die wir auf dem Erdboden hinterlassen?«

      »Hiermit sind alle Abdrücke gemeint. Überall, nicht nur am Boden, auch magische.«

      »Was, es gibt magische Spuren?«

      »Selbstverständlich. Denen zu folgen, ist aber nicht einfach. Trotzdem vermag ich dem magischen Sprung nachzuspüren, so wie manche Herrscher der Fairwings vor mir auch. – Ich werde es dir vermutlich einmal zeigen, aber jetzt sollten wir frühstücken. Und danach brechen wir zu der Burg auf, wohin der von dir gesuchte Elf von meinen Freunden gebracht wird.«

      Cloe grübelt erneut über das seltsame Verhalten der Wölfe nach. Könnten bereits dunkle Magier auf der Insel sein, die sie steuern? Wie ist deren Ausdauer sonst zu erklären, Menschen zu jagen, die ihnen mit Feuer und Pfeilen Schaden zugefügt haben? Kann Arawn der Spur Cians nachspüren, der mit dem magischen Sprung hierhergekommen ist. Vielleicht erkennt er dann, ob die Zauberer der Dubharan ihm gefolgt sind. Die Elfe mag nicht daran denken, was das für die Fairwings und Darkwings bedeutet, die gerade deshalb von den Westelfen zu dieser Insel geführt wurden, damit sie vor der Auseinandersetzung mit den dunklen Magiern geschützt sind.

      Dean kontrolliert die restlichen Wölfe des Rudels. Er bebt vor Wut. Diese verfluchten Männer und die Zauberin müssen sterben. Sie haben es gewagt und sich in seine Absichten eingemischt, weshalb Cian entkommen ist. Das sollen sie büßen! Doch die Verfolgung gestaltet sich nicht wie erhofft. Die Magierin ist sehr geschickt mit ihrem kurzen Bogen.

      »Das ist ein Elfenbogen!«, stellt Dean verwundert fest, doch wer diese junge Frau ist, weiß er nicht. Das ist letztlich egal, sie muss sterben wie ihre Begleiter auch!

      Die Wölfe verfolgen die fünf Reiter und die Elfe über längere Zeit, halten dabei jedoch genügend Abstand. Als die Pferde langsamer werden, weil große Felsbrocken das Vorwärtskommen erschweren, sieht Dean die Gelegenheit gekommen. Er treibt die grauen Räuber an, die Verfolgten zu stellen. Sie überholen sie, verteilen sich zwischen und auf großen Granitblöcken. Der erste Wolf springt die Frau an und hätte sie sicher aus dem Sattel geworfen, wäre sie von keinem magischen Schutz umgeben. Dean wütet. Der Angreifer wird zurückgeworfen und von einem der Reiter mit einem Pfeil erlegt. Sofort darauf erschießt die Elfe mehrere der anderen Wölfe. Der dunkle Magier überlegt, ob er in das Geschehen eingreifen soll. In der kurzen Zeit, die er zögert, entkommen die Verfolgten über einen schmalen Steg, der über eine breite Schlucht führt. Während dieser Übergang gegen die Wölfe verteidigt wird, hebt er sich langsam. Es ist eine Zugbrücke. Dean betrachtet die alte Felsenburg, die durch den tiefen Abgrund vor den Wölfen sicher geschützt ist. Er zieht sich aus den Köpfen der Raubtiere zurück, hält sie aber trotzdem unter Kontrolle. Wiederholt überzeugt sich eines der Tiere durch einen kurzen Blick, dass die Verfolgten den Übergang noch nicht wieder herabgelassen haben. Sobald das geschieht, werden sie dieses Felsengebiet stürmen.

      Als die kurze Dämmerung in tiefe Nacht übergeht, wickelt sich Dean in den Umhang. Er überdenkt seine Lage und grübelt, ob es klug ist, was er gerade macht.

      »Zorn ist kein guter Berater«, schleicht sich eine alte Weisheit in seine Gedanken, »er verstellt den Blick und verhindert, genau wie Wut, eine objektive Bewertung einer Situation!« Aber was bedeutet das für ihn? Der Magier weiß, dass die Suche in dieser Region erfolgreich verlaufen ist. Er erreichte, was nicht zu erwarten war. Er hat den Ring wiedererlangt! Draco kann wie früher von ihm gelenkt und für seine Zwecke eingesetzt werden! Erschrocken fährt er hoch. Dieser verrückte Alte hatte den Drachen zurück über das steinerne Meer geschickt, wo er plötzlich explodiert ist. Heißt das …? Erst jetzt fällt ihm auf, was er schon längst hätte versuchen sollen. Wenn der Drachenring noch seine Macht besitzt, wird er den feuerspeienden Lindwurm aufrufen und auf jeden Gegner hetzen können. Warum hat er diesen mächtigen Helfer nicht an Stelle der Wölfe für seine Zwecke genutzt? Er weiß es im nächsten Moment: Zorn hatte ihn übermannt und die klare Sicht auf das Geschehen verstellt. Die rechte Hand fährt sofort zur linken hinüber und berührt den Ring. Dean zögert einen Moment, wird er den Feuerdrachen aufrufen können?

      »Draco!«, fordert er mit lauter und fester Stimme. Im nächsten Moment bildet sich vor dem dunklen Nachthimmel ein irisierendes Licht, das sich zu hellstem Blau, fast einem strahlenden Weiß ändert und dann in der bekannten Gestalt des Ungeheuers mit schlagenden Flügeln in der Luft steht. Dean hat es schon immer seltsam gefunden, dass Draoidh, sein Großvater, bei der Erschaffung dieses mächtigen Artefaktes festgelegt hat, dass der Name des Rings ausgesprochen werden muss. Soll das den Gegner bereits in Angst und Schrecken setzen? Dean fände es erheblich besser, wenn die Beschwörung nur gedacht werden müsste, um den Lindwurm


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