EIN ZACKEN AUS DER KRONE. Frank Solberg
sein Vermögen hinterlasse.
Mir liefen die Tränen wie aus Sturzbächen über das Gesicht. War dies das Ende? Es war offensichtlich, denn er verlangte nach dem Priester und auf geistlichen Zuspruch und Beistand hatte er seit Menschengedenken keinen besonderen Wert gelegt.
Der Pfarrer kam, nahm ihm die Beichte ab und gab ihm die letzte Ölung. Alarmiert durch eine schnelle Telefonaktion, trafen auch die engeren Verwandten ein, um ihn noch ein letztes Mal zu sehen und Abschied zu nehmen. Unter ihnen auch Tante Lucie, seine Cousine.
Als die Tante den Raum verlassen hatte, ging eine Veränderung mit ihm vor. Er krallte seine Hände in meinen Arm und röchelte „Hast du bemerkt, mein Junge, wie sie mich behandelt? Wie sie mich angesehen hat, diese Häme, diese Herablassung, diese Schadenfreude.“ Er bäumte sich mit letzter Anstrengung auf. „Der werd ich‘s zeigen. Die blöde Ziege wird mich nicht überleben.“ Dann fiel er in einen tiefen, erquickenden Schlaf.
Es war unglaublich; innerhalb von Stunden überwand er seine Krise, aus eigener Kraft und nur von dem Willen beseelt, seiner geliebten Intimfeindin nicht allein das Feld zu überlassen. Er genas in einem Tempo, das an den Grand Prix für Motorräder auf dem Hockenheim Ring erinnerte.
Am dritten Tage nach der letzten Ölung, machte er seine ersten Gehversuche und am Ende der Woche hatte seine Gesundung ihren Höhepunkt erreicht. Er lud uns zum Essen in ein Gourmet-Restaurant ein und sprach mit uns über eine Südostasien-Exkursion, die er lange schon ins Auge gefasst hatte.
Gestern haben wir ihn zum Flughafen gebracht. Er hat eine dreiwöchige Thailand-Rundfahrt angetreten und freut sich wie ein Kind.
„Sei vorsichtig“, mahnte ihn meine Gattin. „Denk an die hohen Temperaturen, an die Luftfeuchtigkeit, an die Reptilien, die Tiger …“ – „und an die Thaimädchen“, vervollständigte ich die Liste der guten Ratschläge.
„Mir kann nicht mehr viel passieren“, sagte er und drückte uns beim Abschied, „das ärgste habe ich schon hinter mir.“ Während er durch die Abfertigung schritt, rief er uns noch zu, „Als erstes werde ich dieser alten Schnepfe eine Ansichtskarte schicken.“
Es ist erstaunlich, wie viel Bosheit durch Bosheit erzeugt wird und welche Energien menschliche Gehässigkeit freisetzen kann. Vielleicht tritt er ja doch noch in die Fußstapfen unserer biblischen Vorfahren. Fragt sich nur, wer sich seiner annimmt, wenn er dann einmal der Pflege bedarf? Ich jedenfalls glaube nicht, dass wir ihn bei uns aufnehmen können, wenn er sich in 200 Jahren erneut eine saftige Pneumonie zuzieht. Wer weiß, womöglich werden ihn dann seine eigenen Kinder betreuen? Bis zu seinem 130. Geburtstag ist es ja noch einige Jährchen hin.
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