Vampire in den Highlands. Heike Möller

Vampire in den Highlands - Heike  Möller


Скачать книгу
mit Gras zugewachsenen Erdhügel konnte man auf den ersten Blick für zufällige Erhebungen halten. Doch ein halbwegs kundiger Mensch erkannte, dass diese Hügel künstlich angelegt waren.

      Diese Gräber waren um die 2000 Jahre alt, wie die Archäologen herausgefunden hatten. Man hatte ein einziges geöffnet, die Skelette mehrerer Männer, Frauen und Kinder gefunden. Sie waren mit einfachen Grabbeigaben bestattet worden, Gebrauchs­gegenstände des Alltags, der Jagd. Ein paar persönliche Dinge wie Kämme, Puppen aus Holz und Stroh, ein kunstvoll gewebter Gürtel.

      Die Archäologen hatten herausgefunden, dass diese Menschen in einem Zeitraum von etwa einhundert Jahren gestorben und beerdigt worden waren. Die meisten Skelette wiesen keine Verletzungen auf, also waren diese Menschen vermutlich eines normalen Todes, an einer Krankheit oder Kindbett gestorben.

      Rowena blieb am Rande der künstlichen Hügel stehen. Wehmütig gedachte sie der Toten, die sie kannte. Teilweise sogar eigenhändig beerdigt hatte. Die Gesichter und Stimmen, die im Laufe der Zeit in ihrer Erinnerung verblasst waren, traten urplötzlich mit einer solchen Klarheit vor ihr inneres Auge, dass sie aufstöhnte.

      >Das ist nicht gut! < Rowena fröstelte, schlang die Arme um ihren Körper. >Gar nicht gut! <

      „Sie sehen blass aus.“

      Erschrocken wirbelte Rowena herum und blickte in hellblaue Augen.

      >Himmel! Ich achte doch sonst auf meine Umgebung. Wie konnte ich so nachlässig sein? <

      „Ich äh... war in Gedanken.“ Sie ärgerte sich sofort darüber, dass sie Erik Schubert einen kleinen Einblick in ihre Privatsphäre gegönnt hatte.

      „Das erklärt, warum Sie eben erschrocken zusammengezuckt sind, nicht aber ihre Blässe.“ Mit einem ruhigen und zugleich forschenden Blick fixierte der deutsche Tourist Rowena.

      „Sagen Sie mal, verfolgen Sie mich?“ Sie spürte, wie sich Wut in ihrem Magen sammelte und an die Oberfläche gelangen wollte.

      Und Hunger!

      Rowena hatte seit Tagen kein frisches, menschliches Blut mehr zu sich genommen und sie brauchte es dringend, da ihr Körper ein bestimmtes Enzym nicht selbst produzieren konnte. Und in Blutkonserven ging dieses Enzym merkwürdigerweise bald verloren. Nur in AB positiv und negativ blieb es erhalten. Doch das Problem war, dass diese Blutgruppe auf der Welt die seltenste war.

      Und der Sterbliche vor ihr roch sehr einladend.

      >Lieber sauge ich ein Schaf leer als diesen Blödian zu beißen! <

      Erik Schubert legte seinen Kopf schief und lächelte spöttisch. „Nein. Tu ich nicht. Aber falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist, Invergarry ist nicht besonders groß. Also ist die Wahrsch…“

      Rowena knurrte, verdrehte die Augen und stapfte an den Deutschen vorbei. Sie hatte weder Lust noch den Nerv, mit diesem Mann zu diskutieren.

      Er lachte leise. Ein trockenes, leicht triumphierendes Gelächter. Verwundert drehte sich Rowena um. Schubert grinste breit, hatte sein Gesicht auf den Boden gerichtet und die Augen geschlossen, während er lachte. Seine Schultern unter der Regenjacke, die bis zum Kinn geschlossen war, bebten verdächtig.

      „Lachen Sie mich etwa aus?“ Rowena war völlig konsterniert.

      „Allerdings. Sie sind immer noch sauer auf mich wegen der Abfuhr am ersten Abend, nicht wahr?“

      Rowena schnappte nach Luft. „Sie bilden sich eine ganze Menge ein, Kollege!“, zischte sie und kniff die Augen zusammen.

      „Kollege? Sie sind Schriftstellerin? Oder Journalistin?“

      Verdattert klappte ihr Mund mehrmals auf und zu. >Verdammt, ist der schlagfertig! <

      „Die Fischnummer steht Ihnen nicht, Missie!“

      >Missie? <

      „Haben Sie eben `Missie´ gesagt? Sind Sie noch zu retten?“

      Erik Schubert lachte sie jetzt offen an. Dabei bildeten sich reizvolle Krähenfüße neben den Augen und er blickte sie beinahe schamlos an. Dann drehte er sich um und ging den Weg weiter in Richtung Invergarry.

      Rowena starrte dem Mann noch einige Minuten hinterher, vernahm sein leises, spöttisches Lachen. Dann schaffte sie es, einen wütenden Laut von sich zu geben, drehte sich ebenfalls um und lief in die entgegengesetzte Richtung.

      Ihr Handy klingelte.

      >Hoffentlich ist es Tris! <

      Hastig holte sie es aus ihrer Jackentasche, klappte die kleine Satellitenantenne aus. „Tristan?“

      „Nein. Scott.“

      Rowena biss sich auf die Unterlippe. Die Enttäuschung saß tief, aber sie riss sich schnell zusammen. „Entschuldige, Scott. Ich erwarte den Anruf eines Freundes. Gibt’s was Neues?“

      „Ja. Leider.“

      Rowena verdrehte die Augen. Scott war ein typischer Highlander, wortkarg und minimalistisch. „Was ist passiert?“, fragte sie ruhig.

      „Es wurden letzte Nacht zwei Schafe gerissen.“

      Rowena schluckte. Bären und Wölfe gab es nicht in Schottland, es sei denn, sie wären aus einem Zoo ausgebrochen. „Könnten es Füchse oder streunende Hunde gewesen sein?“

      „Nein. Die Kadaver sind nahezu blutleer. Haben nur Bissstellen am Hals.“

      Rowena schloss kurz die Augen. „Na ja. Ist zwar ein wirtschaftlicher Verlust für den Schäfer, aber wenigstens hat es dieses Mal keinen Menschen erwischt.“

      „Sehe ich auch so. Willst du dir die Kadaver ansehen, bevor sie verbrannt werden?“

      „Ja. Vielleicht erkenne ich die Signatur des Vampirs.“

      Scott Palatin sagte Rowena, wo sie hinkommen müsste. Sie beendeten das Gespräch und Rowena steckte das Handy wieder ein. Dann machte sie sich auf den Weg zu der Weide, wo die Schafe gerissen worden waren.

      Schon von Weitem sah sie den Geländewagen des Polizisten. Zwei mit grünen Plastikplanen bedeckten Körper lagen unmittelbar daneben. Rowenas scharfe Augen sahen, dass Scott im Inneren des Wagen Schutz vor dem inzwischen heftigen Regen gesucht hatte. Sie winkte ihm zu, als sie noch etwa 20 Meter entfernt war. Scott stieg aus und hatte einen großen Regenschirm in der Hand, den er aufspannte, während er ihr entgegenlief.

      „Ist der Schäfer ein Eingeweihter?“, fragte Rowena, als sie unter dem Schirm stand.

      „Nein. Ich habe ihm gesagt, dass in der Gegend zwei große streunende Hunde gesehen worden sind. Ich hoffe, dass ihm die Erklärung reicht.“ Der Polizist hielt den Schirm über Rowena, als sie sich niederkniete und die Plane zurückschlug.

      Der Blutgeruch stieg ihr sofort in die Nase, ließ sie augenblicklich hungrig werden. Ihre Eckzähne verlängerten sich schlagartig und Rowena merkte, dass ihre optische Wahrnehmung sich ebenfalls veränderte. Eine Art Tunnelblick, sie fokussierte den Kadaver, die Bissstelle.

      >Ruhig, Rona. Ganz ruhig<, ermahnte sie sich. Sie atmete ein paar Mal durch den Mund tief ein und aus und kämpfte gegen ihren Blutdurst an. Dann filterte sie den verlockenden Geruch einfach weg, blendete ihn aus und konzentrierte sich auf die anderen Gerüche, die von dem Kadaver ausgingen.

      Rowena roch den strengen Eigengeruch des Schafes. Die Wolle. Die nicht gemolkene Milch, die langsam in dem Euter des toten Körpers versauerte. Sie roch den Hütehund und einen Sterblichen, offenbar den Schäfer. Sie beugte sich über die Bissstelle und schnupperte vorsichtig.

      Da war etwas! Eine Note, ein Aroma, eine kleine Spur.

      Sie nahm den Geruch ein wenig stärker in sich auf, presste wie ein Pferd beim Flehmen die Zunge gegen den Gaumen und hielt inne. Der Geruch breitete sich in ihr aus, sie nahm ihn auf, konservierte und speicherte ihn.

      Es roch männlich, aber auch weich. Ein wenig nach Aprikosen, aber auch nach einem Gewürz, das sie schon einmal im Mittelmeerraum


Скачать книгу