P.E.M. Projekt Evolution Mensch. Jennifer Scheil
sie so, dass sie am ganzen Körper bebte. Sich auf die Bettkante setzend strich Anna ihrer Tochter über den Rücken.
Aufschluchzend warf sich Samantha ihr in die Arme und klammerte sich fest. „Warum ist er nur so widerlich? Alle versuchen ihm zu helfen, doch er arbeitet gar nicht richtig mit. Dr. Schmidt sagte, dass es nur eine Frage der Zeit und des Willens sei. Dann wäre er wieder völlig genesen, aber dieser sture Ochse will gar nicht. Es macht ihm sichtlich Spaß, andere zu quälen.
Stell dir vor, die meisten Schwestern haben schon so eine Angst, dass sie Streichhölzer ziehen, um so zu entscheiden, wer zu ihm hineingeht. Viele laufen dann immer weinend raus. Er macht alle mit seiner Art fast wahnsinnig. Ich habe die ganze Zeit seine Beleidigungen geschluckt und habe immer Erklärungen gesucht. Ja, ich habe ihn vor versammelter Schwesternschaft verteidigt und ihnen gesagt, dass sie sich in seine Lage versetzen sollen. Ich habe ihnen sogar geschworen, dass er sich bessern und bei ihnen entschuldigen wird. Er hatte es aber nicht getan!“
Verständnisvoll zog Anna ihre Tochter noch fester in die Arme und strich ihr übers
Haar. „Vielleicht hat er ja Angst. Oder er ist so mit sich selbst beschäftigt, dass ihm gar nicht bewusst ist, wie er mit den Menschen umspringt.“
„Das dachte ich ja auch erst. Deshalb wollte ich ja heute mit ihm in Ruhe reden. Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde, doch wollte ich es auf alle Fälle versuchen.“
„Das ist doch gut! Was ist dann passiert?“ Anna drückte aufmunternd Samanthas Hand.
„Als ich ins Zimmer kam saß er steif aufgerichtet im Bett. Es war als würde ich gegen eine Wand laufen. Doch das schlimmste waren seine Augen! Die Verachtung, die ich in ihnen gesehen hatte, war einfach zu viel.“ Die letzten Worte brachte Samantha nur noch flüsternd hervor, sodass sich Anna anstrengen musste, sie zu verstehen. Ein wissender Blick trat in ihre Augen. Ja, sie wusste jetzt, warum ihre Tochter von solch starken Gefühlen übermannt wurde. Es war einfach zu offensichtlich - nur nicht für Samantha. „Oh, mein Schatz. Weißt du, was ich glaube? Du hast dich in diesen Mann verliebt!“
Als Anna nach einer Weile das Zimmer wieder verließ, war ihr Entschluss nur noch
mehr bestärkt worden. Was ihre Tochter im Moment zu erleiden hatte, war zu viel, als dass sie das stillschweigend mit ansehen konnte.
Für Samantha war es das erste Mal, dass sie Gefühle dieser Intensität verspürte. Anna fühlte, dass es sehr ernst war. Aus dem fast einstündigen Gespräch konnte sie
Ersehen, dass sich ihre Tochter Hals über Kopf in diesen Mann verliebt hatte und über eine kalte Abfuhr nicht leicht hinwegkommen würde. Seufzend strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. Sammy ist ein viel zu impulsiver und gefühlsbetonter Mensch. Es ist manchmal ganz schön schwer mit dir mein Kind! Aber ich werde so gut wie möglich helfen, damit du die Sache ohne ein gebrochenes Herz durch stehst. Und mit diesem Mr. X werde ich auch ein Wörtchen reden müssen. Na dann, packen wir es an!
Als sie in die Küche kam, wurde Anna schon sehnsüchtig und voller Ungeduld erwartet. Jonas saß am Küchentisch und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. „Das hat ja lange gedauert! Und wie geht es dem Schmetterling? Was hat sie erzählt. Oder fällt das unter das `Mutterschweigegesetz`?“
Anna zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihrem Vater gegenüber. „Nein ich denke, dass ich dir das erzählen kann. Sammy ist verliebt! So sehr verliebt, dass ihre Gefühle mit ihr im Moment Schlitten fahren! Sie war bereit, alle möglichen Beleidigungen und Erniedrigungen hinzunehmen, weil sie dachte, dass Mr. X im Moment überfordert sei mit seiner Situation.
Er hat dies heute in Rauch aufgehen lassen. Sie war darüber so geschockt und wütend, dass sie ihn lauthals beschimpft und ihm sein Verhalten entgegengeschleudert hatte.“
Jonas rieb sich sein stoppeliges Kinn. „Ich denke, das war das einzig Richtige. Denn ich muss sagen, mir hat sein Verhalten die letzten Male auch nicht besonders gefallen.“
„Nun sicher, da magst du Recht haben, doch sie ist jetzt der Auffassung, dass er sie jetzt erst recht verachten müsse und in ihr, ich zitiere ein hysterisches Frauenzimmer sieht. Sie ist jetzt nicht mehr wütend auf ihn. Nun, sagen wir nicht mehr hauptsächlich, sondern auf sich selbst.“ „Oje, oje, da kommt ja einiges auf uns zu!“
„Nichts, womit wir nicht fertig werden können!“
„Da magst du Recht haben. Aber, Anni, ich sag dir eins. Das wird ein Krieg und wir stehen zwischen den Fronten. Bei diesen beiden kann es sogar passieren, dass wir zwischen ihnen zerrieben werden.“
Annas Blick wurde streng, als sie mit erhobenem Zeigefinger, Jonas in die Augen
sah. „Vater, ich sag es dir jetzt zum letzten Mal …“
„… du sollst nicht immer so hemmungslos übertreiben!“ Grinsend, vollendete Jonas
den Satz.
„Wann können wir ihn abholen?“
„Morgen Vormittag, bis zwölf Uhr. Man war mir äußerst dankbar dafür.“ Jonas lächelte verschmitzt. „Sie scheinen ihn sehr schnell loswerden zu wollen.“
„Dann müsstest du ihn abholen. Ich kann schlecht von der Arbeit wegbleiben. Jedenfalls nicht so kurzfristig.“
„Ist auch nicht nötig. Lass das ruhig den alten Brand machen. Der weiß, was zu tun ist! Und bei der Gelegenheit werde ich ihn mir schon mal zur Brust nehmen.“
„Dann ist ja gut.“ Anna erhob sich. „Jetzt werde ich mir den Cowboy einfangen und ihn ins Bett stecken. Es ist schon ziemlich spät!“
Am nächsten Morgen, kam Samantha stiller als üblich die Treppe herunter, nahm eine Saftflasche und ihren Geldbeutel, steckte beides in ihre Tasche und verließ ohne ein Wort das Haus. Nur Domino bekam im Vorübergehen eine kurze Streicheleinheit. Kopfschüttelnd sah Jonas ihr hinterher. Anna hatte Recht, dieses Mal hatte es seinen Schmetterling voll erwischt.
Vorm Krankenhaus war so viel Betrieb, dass Jonas in eine seiner alten Gewohnheiten fiel. Lauthals, über diese Anfänger und Führerschein - im- Lotto - Gewinner fluchend, bahnte er sich seinen Weg zwischen den vor sich hinschleichenden Autos.
Mit einem riskanten Wendemanöver, das ihm ein lautes Hupkonzert und die Aufmerksamkeit sämtlicher Autofahrer einbrachte, zwängte er sich in eine Parklücke direkt vor dem Haupteingang.
Den Weg zur Station überwand er in kurzer Zeit, da er sich von einigen Schwestern durch die für Besucher gesperrten Bereiche schleusen ließ. Von freundlichen
Pflegern, überglücklichen Schwestern und einem grinsenden Dr. Schmidt empfangen ging Jonas zum Zimmer.
Als er es betrat, wurde ihm ein Anblick geboten, der ihm einen anerkennenden Pfiff entlockte. Vor ihm stand ein Mann, wie von einem Künstler ersonnen. Er stand mit
dem Rücken zur Tür, wodurch Jonas eine überaus imposante Rückenansicht geboten wurde. Das beherrschte Spiel der Muskeln zeugte davon, dass diese Muskelpakete natürlichen Ursprungs waren und dass der Besitzer wusste, wie er sie zu gebrauchen hatte. Der breite Oberkörper ging in schmale Hüften und kräftige Beinen über. Die Brust war unbehaart und die Bauchmuskeln zeichneten sich deutlich ab. Eine lange und ziemlich breite Narbe zog sich über die linke Körperhälfte und ihre helle
Färbung zeichnete sich deutlich von der braun gebrannten Haut ab. Das Gesicht, nun frei von sämtlichen Verbänden, war schön zu nennen. Es war frei von jeglichem Bartwuchs und wurde nur von einer frischen Narbe, über dem rechten Auge, etwas verunziert. Das kantige Kinn zeugte, genauso wie der ernste Ausdruck des Mundes, von einer starken und selbstbewussten Persönlichkeit. Über den hohen Wangenknochen und unter den dichten Brauen, blitzten zwei stahlgraue Augen, die einen leicht belustigten Ausdruck annahmen. Der Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
„Sind sie zufrieden mit den Beobachtungen?“ Das Lächeln wurde breiter. „Den Mund sollten sie allmählich schließen, old boy. Fliegen schmeck’n nich besonders!“
Jonas hatte