Bodos zornige Seele. Kurt Pachl

Bodos zornige Seele - Kurt Pachl


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und tastete nach seinem Gürtel. Rechts und links der Gürtelschnalle waren seltsame, halbrunde Verzierungen angebracht. Diese löste er nun vorsichtig. Im Halb­dunkel blitzte eine Drahtschlinge auf.

      Die Verzierungen links und rechts der Schlinge klemmte er nun zwischen Mittelfinger und Zeigefinger seiner beiden Hände.

      Und dann ging alles rasch. Blitzschnell warf Ole die Garrotte von hinten über Bradlys Kopf.

      Mit den Verzierungen zwischen den beiden Händen zog er rasch zu; das dünne Drahtseil schnitt in Bradlys Hals. Das halbvolle Whiskyglas entglitt dessen Hand und krachte auf den teuren Holzboden der Yacht. Trotz seines Alkoholspiegels war der Südstaatler plötzlich hellwach. Er versuchte unwillkürlich, nach unten wegzurutschen.

      »Lass‘ das«, zischte Ole.

      Bradly hatte seine Situation blitzartig erkannt, und rutschte wieder leicht nach oben. Er versuchte nun, seine beiden Daumen unter die Drahtschlinge zu schieben.

      Ole zog die Schlinge ruckartig fester. Nun führte er seinen Mund an Bradlys rechtes Ohr.

      »Ich lasse dich leben. Aber nur, weil du mit Bodo befreundet bist. Du bist dumm. Du bist dekadent. Und du hast vor allem keinen Respekt. Morgen wirst du dich bei Bodo entschuldigen. Haben wir uns verstanden?«

      Bradly nickte einige Male hastig.

      Die Schlinge lockerte sich leicht.

      »Du wirst Bodo künftig respektieren.« Oles Ton war hart, kalt und befehlend.

      »Hhjaa«, röchelte Bradly fast unhörbar und nickte wieder hastig.

      Die Schlinge öffnete sich, und Ole zog die Garrotte über Bradlys Kopf zurück.

      Der Trinkfreudige aus Biloxi griff blitzartig an seinen Hals und tastete diesen ab. Er wagte fast nicht zu atmen oder gar sich umzudrehen. Er lauschte ange­strengt in die Nacht – einige Minuten; viele weitere Minuten. Er wusste nicht wie lange. Schließlich versuchte er, sich aufzurichten.

      Als er endlich mit wackeligen Beinen stand, und die kühle Nachtluft tief ein­saugte, bemerkte er, dass er allein an Deck war. Er war hellwach und stellte erschüttert fest, dass die Innenseiten seiner Hose nass waren. Die Nachtluft ver­mischte sich zudem mit einem penetranten Gestank.

      Es war bereits gegen acht Uhr früh.

      Bodo, Ole und Marco saßen auf dem Achterdeck, welches knapp zwanzig Quadratmeter einnahm.

      Die Sonne hatte über dem Atlantik bereits den Horizont verlassen, und begann den leichten Nebelschleier, der über einem Sumpfgebiet im Westen der Insel waberte, aufzulösen. Die Möwen lärmten, und etwa zweihundert Meter vom Ufer entfernt jagte eine Schule Delphine.

      Die drei Männer unterhielten sich über die heutige Route sowie über die weiteren Etappen bis in den Golf von Mexiko.

      Marco hatte die Nachrichten gehört, und im Internet gesurft. Es gab noch keine Verlautbarungen aus Neufundland. Das war irritierend. Er wollte gerade weitere Ausführungen machen, als Bradlys Kopf aus dem Unterdeck auftauchte.

      Instinktiv hielt Marco inne. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas war anders als sonst. Norma­lerweise stolperte dieser Bursche mitten in ein Gespräch und begann wie ein Wasserfall drauflos zu plappern. Stattdessen steckte er nun den Kopf vorsichtig an Deck; wie ein geprügeltes Kind, welches vorsichtig schaute, ob die Luft rein ist.

      »Na, hast du deinen Rausch ausgeschlafen«, sagte Marco forsch und leicht vorwurfsvoll. Für Bradly war es wohl ein Zeichen, dass er sich trauen konnte, das Deck zu betreten. Langsam schlurfte er auf den Frühstückstisch zu. Er senkte dabei fast demutsvoll seinen Kopf.

      Vor Bodo ließ er sich plötzlich auf die Knie fallen. Er nahm Bodos rechte Hand, um diese auf seinen Kopf zu legen.

      »Verzeih‘ mir Bodo. Ich bin ein seltendummer Idiot«, sagte er leise und fast flehend.

      Bodo erhob sich, und half Bradly aufzustehen. Dabei streifte sein Blick dessen Hals. Nur für den Bruchteil einer Sekunde zuckte er zusammen. Und im Bruchteil dieser Sekunde erkannte er Oles Handschrift. Er legte seine beiden Hände auf Bradlys Schulter, sah ihm in die Augen und sagte laut:

      »Hör auf zu saufen. Du hast doch nur noch eine Niere. Da, schau hinaus. Ist sie nicht schön, diese Schöpfung? Ewald kann sie nicht mehr sehen. Er kann diese Schönheiten nicht mehr fotografieren. Für dich hätte ich vielleicht das Gleiche getan, wie für Ewald. Das verstehe ich unter Freundschaft.«

      Bradly blickte schuldbewusst auf die Planken der Yacht.

      »Ich weiß. Entschuldige noch einmal Bodo. Bitte«, sagte er leise.

      Bodo schob Bradly nun unsanft von sich. »Du musst jetzt frühstücken. Schließlich brauchst du Kraft für deine vielen Weiber.«

      Bradly wischte sich eine Träne mit dem Handrücken fort.

      »Hier unten gibt es aber auch rassige Weiber«, sagte er lachend.

      »Da muss sich Gott doch etwas dabei gedacht haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Was soll ich künftig machen? Wenn ich jetzt nicht mehr so viel trinken darf, brauche ich doppelt so viele Frauen.«

      Alle Männer lachten. Auch Ole. Er ging auf Bradly zu, um ihm die Hand zu reichen.

      »Bodo wünscht sicher, dass wir Freunde bleiben.« Erst jetzt sah Marco die dünne Wunde an Bradlys Hals. Der Saufbold hätte mit Sicherheit kein so breites Grinsen aufgesetzt, hätte er gewusst, dass ihm fünf Tage später mit Sicherheit nicht der Sinn nach Frauen stehen würde.

      Am 15. April 2010 ging um 14:38 Uhr ein Telefonat bei der Royal Canadian Mounted Police in Ottawa ein Telefonat ein. In der Außenstelle in St. Anthony hatte die besorgte Familie eines Robbenjägers gemeldet, dass man seit einigen Stunden keinen Kontakt zum Kutter in der Hare Bay herstellen konnte. Das war äußerst ungewöhnlich.

      Vorsorglich hatte der Staff Sergeant die Meldung an ein Suchflugzeug weitergeleitet. Das Flugzeug hatte den Kutter rasch gefunden, und bei einem Tiefflug die Leichen der sechs Robbenjäger ausfindig gemacht. Die Antwort des Commissioners war knapp und unmissverständlich:

      »Niemand betritt den Tatort. Die Angehörigen noch nicht benachrichtigen. Wir kommen unverzüglich. Umgebung weiträumig im Auge behalten.«

      Um 14:58 kreiste der erste Hubschrauber über dem Tatort. Zwei weitere Helikopter suchten das Gebiet weiträumig ab. Um 15:02 meldete ein Pilot eine Rauchsäule. Am Ufer der Seal Bay brannte ein Kutter, und war gerade dabei, auf den Grund des Hafenbeckens zu sinken. Die Crew des Hub­schraubers erhielt die Anweisung, in unmittelbarer Nähe zu landen, weitere Mitteilungen zu machen und alles abzusperren. Die beiden anderen Hub­schrauber landeten in größerem Abstand links und rechts der toten Robben­jäger. Nach einigen hektischen Telefonaten erging die Information an den Staff Sergeanten in St. Anthony: Die Familien der Robbenjäger sollten benachrichtigt werden, dass die Jäger einen tragischen Unfall erlitten hatten, und ertrunken seien. Sobald man die Leichen bergen konnte, würden diese nach Ottawa gebracht. Im Übrigen herrscht absolute Nachrichtensperre. Er, der Staff Sergeant, haftete dafür, dass keine anderweitigen Informationen nach außen dringen konnten.

      Am darauffolgenden Tag, um 8:30 Uhr, herrschte Alarmstimmung im Hauptquartier der RCMP, der Bundespolizei, in Ottawa. Anwesend waren Experten der CSIS, der Canadian Security Intelligence Service. Abkommandiert wurden zwei Experten der CSEC, dem Communication Security Establishment Canada, welches dem Verteidigungsministerium unterstand, und eng mit der kanadischen und amerikanischen NSA zusammenarbeitete. Gekommen war der Leiter des kanadischen Fischereiministeriums. Von dem Hausherrn der RCMP saßen der Commissioner und eine IT-Expertin am Tisch. Alle vier Organisationen hatten ihre Zentrale in Ottawa. Zusätzlich war ein Mitarbeiter der Sûreté du Quebéc eingeflogen, da Quebec und Ontario eigenständig waren, bzw. nicht zur RCMP zählte. Das Innenministerium hatte einen Fachmann gesandt und angeregt, dass zwei Mitarbeiter des FBI aus den Staaten hinzustoßen sollten. Ein älterer Mann und eine jüngere Frau des FBI hatten sich verspätet, und wollten gegen 8:45 Uhr eintreffen. Diese


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