Aldemakros. Dubhé Vaillant

Aldemakros - Dubhé Vaillant


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sie sich in das Hinterzimmer von Charles’ Kiosk zurückgezogen hatten, erklärte Lavoisier, weshalb er so geheimnisvoll agierte.

      »Hast du gestern Abend noch lange gearbeitet?«, fragte sie ihn.

      »Ja, doch, aber es war es wert«, antwortet er ihr.

      »Und?«

      »Zwei Dinge möchte ich dir nicht vorenthalten«, begann er.

      »Erstens wurde mir zugetragen, dass verschiedene Stellen mit Interesse und Argwohn verfolgen, was wir tun. Ein Vertrauter stellte die Vermutung auf, dass es etwas mit dem damaligen Templerskandal zu tun haben könnte«, informierte er sie.

      »Dann sind wir etwas Grossem auf der Spur?«

      »Sehr Grossem«, antwortete er ihr.

      »Zweitens hatte ich gestern Abend Kontakt mit einem alten Freund aus meiner Zeit im Irak«.

      »Hat es mit deiner Vermutung zu tun?«

      »Genau«, antwortete Lavoisier und machte eine etwas zu lange Pause. Alice bemerkte dies und fragte ihn:

      »Warum zögerst du mit Weiterreden?«

      »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich da reinziehen will.«

      »Vertraust du mir nicht?«, fragte sie.

      »Dir würde ich mein Leben anvertrauen«, antwortete er ihr und der Tonfall verriet, dass er es absolut ehrlich meinte.

      »Aber wenn ich dir jetzt sage, was ich vermute, dann gibt es für dich kein Zurück mehr«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die sie leicht frösteln liess.

      »Das heisst, es wird sehr gefährlich«, stellte sie fest, und in der Art und Weise, wie sie es sagte, lag nichts Fragendes.

      »So gefährlich wie wohl noch nie etwas Dagewesenes«.

      »Alice«, fuhr er fort, »du musst da nicht mitmachen. Du bist erst seit kurzem verheiratet, und wer weiss, wie deine Zukunft aussieht. Du hast jetzt die Möglichkeit, einen anderen Fall zu übernehmen, der nicht so gefährlich ist. Du musst es mir nur sagen«, erklärte er ihr.

      »Ich werde dir jetzt mal was sagen«, erwiderte sie ihm und setzte sich im Stuhl aufrecht, um ihre Aussage zu bekräftigen.

      »Ich spüre doch, dass hier etwas Geheimnisvolles, ja geradezu Mystisches vor sich geht. Ich danke dir für deine Rücksichtnahme, aber mein Platz wird hier in diesem Projekt sein. Wenn du also willst, dass ich dabei bin, dann sag es mir.«

      »Willkommen an Bord«, sagte er in einem ruhigen Ton, dem man auch einen leisen Seufzer hätte entnehmen können. Lavoisier hatte gehofft, dass sie mitmachen würde.

       »Er ist Professor in Cambridge und Spezialist für sumerische und akkadische Keilschriften. Professor Dr. Michael Sinclair ist wirklich ein liebenswürdiger Mensch und in all den Jahren ein guter Freund geblieben. Ich habe ihm ein paar codierte Fragen gestellt, und seine Antworten sind ermutigend. Wir hatten uns schon damals im Irak so Hinweise geben und verständigen können. Ich werde heute noch zu ihm reisen. Da du den Fall des Taxifahrers untersuchst, kannst du mitfliegen. Der Helikopter startet in 30 Minuten auf dem Dach des hohen Nebengebäudes. Ich lasse dich in Salisbury raus. Am Nachmittag um vier Uhr werde ich zu dir kommen. Wir treffen uns am Haupttor der Kathedrale. Ich hoffe, dass du bis dann die Person aufgespürt hast. Erinnere mich dann daran, dass ich den Innenminister anrufen muss«.

      »Dann lass uns mit unserer Arbeit beginnen«, sagte sie zu ihm.

      Zwanzig Minuten später waren sie im gegenüberliegenden Gebäude, und der Lift brachte sie auf die Dachterrasse. Der Helikopter war schon startklar. Sie stiegen in die Bell 505 Jet Ranger X ein, und Lavoisier gab dem Piloten die Anweisung, mit dem Flug zu beginnen.

      »Der Flug nach Salisbury dauert eine Stunde und 45 Minuten«, erklärte er Alice über den Kopfhörer.

      »Wir werden also gegen Mittag Lokalzeit da sein. Wir landen auf dem Dach des Salisbury District Hospital. Vor dem Eingang wartet ein Fahrer auf dich. Er bringt dich ins Stadtzentrum. Den Rest musst du selber erledigen«, ergänzte er noch.

       Alice nickte kurz. Lavoisier merkte, dass sie ganz auf ihre Arbeit konzentriert war. Sie erreichten ohne Zwischenfälle ihr Ziel in Salisbury und landeten auf dem Dach des Spitalkomplexes. Sie machten ab, dass es keine persönliche Kontaktaufnahme geben dürfe. Er hatte ihr einen Notizzettel mit einer Telefonnummer gegeben, die sie anrufen sollte, wenn sie die Person ausfindig gemacht hatte. Aber sie solle von einem Restaurant oder Internetkaffee aus anrufen und dort auf den Rückruf warten, der innerhalb von fünf Minuten erfolgen würde. Sie verabschiedeten sich. Es war nun Mittag geworden und der Helikopter flog auf direktem Weg weiter nach Cambridge. Sie landeten nach 50 Minuten auf dem Cambridge International Airport, wo schon ein Fahrer auf ihn wartete. Er wies den Piloten an, auf ihn zu warten. Während der Fahrt zur Universität, die etwas mehr als zwanzig Minuten dauerte, ging er nochmals alle Punkte durch. Er hatte sich keine Notizen gemacht. Zu gefährlich schien ihm dies zu sein. Er hatte ein eigenes System entwickelt, wie er sich Dinge merken konnte. Das hatte ihm auch schon früher in brenzligen Situationen geholfen.

      »Es geht doch nichts über ein gut funktionierendes Gedächtnis«, dachte er.

      Er stieg aus dem Wagen und wies den Fahrer ebenfalls an, auf ihn zu warten. Zu Fuss durchquerte er das riesige Gelände, blieb am Eingang der King’s College Chapel stehen und bestaunte einmal mehr die Hauptfassade. Da er zu früh war, trat er ein. Es war nicht das erste Mal, dass er hier war. Der als Wahrzeichen der Stadt in gotischer Architektur gebaute Prachtbau konnte sich mehr als sehen lassen. Er ging zielstrebig zu seinem Lieblingsgemälde »Die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland«.

      »Ja, weise müssen wir sein und mit Bedacht handeln«, dachte er.

      »Du magst immer noch den Peter Paul Rubens«, hörte er eine Stimme neben sich.

      »Aber sicher, was denkst du denn, du alter Haudegen. Es geht nichts über Barockmaler. Die konnten noch malen«, antwortete er in vertrautem Ton, während er sich Prof. Dr. Sinclair zuwandte.

      »Lass dich umarmen, Marcel«, sagte dieser.

      Beide Männer umarmten sich herzlich, und Aussenstehende hätten augenblicklich gewusst, dass die beiden eine innige und tiefe Freundschaft verband.

      »Du schuldest mir was«, begann Sinclair das Gespräch.

      »Und was sollte ich dir schulden?«, fragte Lavoisier und spielte den Ahnungslosen.

      »Ein Guinness und ein Clubsandwich«, gab er zur Antwort.

      »Warum?«, wollte Lavoisier wissen.

      »Wegen deiner Anfrage verpasste ich gestern meinen Besuch in meinem Lieblingspub. Das muss nachgeholt werden. Und wenn du schon mal da bist, könntest du ja auch bezahlen«, meinte Sinclair und lachte herzhaft.

      »Mach ich, aber nur weil du schottischen Geblüts bist«, frotzelte Lavoisier.

      Die beiden verliessen die King’s College Chapel.

      »Lass uns ein paar Schritte gehen«, meinte Sinclair.

      »Einverstanden«.

      »Wir gehen rüber zum Cam. Da können wir am Ufer entlang gehen, ohne dass uns alle zuhören.«

      »Gute Idee, sagte Lavoisier.

      Nachdem sie die knapp hundert Meter zum Cam hinter sich gelegt hatten, begannen sie sich über den Fall zu unterhalten.

      »Hast du es dabei?«, fragte er Sinclair.

      »Ja, habe ich«.

      Salisbury, Oktober 2027

      Nachdem Alice mit dem Lift vom Dach des Spitals ins Erdgeschoss gefahren war, begab sie sich zum Ausgang, wo schon ein Fahrer auf sie wartete. Sie stieg ein.

      »Zum Hauptbahnhof, bitte«, sagte sie in einem freundlichen Ton zum Fahrer.


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