Zum Islam - Vertrag in Hamburg. Gerhard Scheffler
Glaubensvollzug auch auf der Dachverbandsebene. Es liegt jedenfalls kein bloßer religiöser Verein vor 32 . Eine religiöse Autorität besteht (in der Türkei 33 ) offenbar auch 34 .Was an Zweifeln bleibt, ist, dass die dogmatischen Kernaussagen in der konkret – jetzigen Organisation nur einem innersten Kreis der Gemeinschaft vollständig bekannt sind, mithin den anderen verborgen bleiben. Welche bekannte Glaubensvorstellung ausreicht, um das gemeinsame Bekenntnis bestimmbar zu machen, ist durch ein religionswissenschaftliches Gutachten (vor-)geklärt worden 35 . Dem Staat ist es daher nicht verwehrt, die Wahrnehmung religionsrechtlicher Fragen durch den VIKZ zu bejahen.
4. Die Türkisch – Islamische Gemeinde DITIB Landesverband Hamburg
Der weitere, auf lokaler Ebene fast nur aus türkisch - stämmigen Mitgliedern bestehende bundesweite Dachverband ist die DITIB, die hier auf mittlerer Ebene als Landesverband auftritt. Das gemeinsame Bekenntnis, das in diesem Verband geübt wird, ist der sunnitische Islam mit Anlehnung an die in der Türkei beachtete hanifitische Rechtsschule, die gegenüber den anderen Rechtsschulen 36 als die „liberalste“ angesehen wird. Die DITIB unterscheidet sich jedenfalls deutlich von der glaubensmäßig orthodoxen Ausrichtung des VIKZ.
Weiterer Unterschied ist, dass der VIKZ in der laizistischen Türkei immer. wieder von staatlichen Stellen bedrängt worden ist 37 , während die DITIB von der staatlichen Religionsbehörde Diyanet unterstützt und angeleitet wird 38 . Aus diesem Hineinregieren staatlicher Stellen in eine Religionsgesellschaft ändert sich ihr Charakter jedoch nicht, wenn die „ewigen Wahrheiten“, hier des Islam,, abgeleitet aus Koran und Sunna 39 , unberührt bleiben und von den Mitgliedern geübt werden. So hat das Hineinregieren staatlicher Stellen im europäischen Staatskirchentum, etwa in Österreich mit dem sog. Josephinismus 40 , auch nichts am Wesen der christlichen Kirchen geändert.
Für den Dachverband kann allerdings zweifelhaft sein, inwieweit dort ein (gegebenenfalls auch arbeitsteiliger) identitätsstiftender Glaubensvollzug stattfindet. Zwar widmet sich die obere Ebene nach eigenem Selbstverständnis 41 vornehmlich und umfassend der „Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der angeschlossenen Vereine“. Aus diesen vielfältigen Förderungen und Koordinierungen 42 kommen als eigene religiöse Betätigungen in Betracht die Telefonseelsorge, die Erstellung religiöser Gutachten, die Verrichtung der religiösen Dienste (z. B. gemeinschaftliche rituelle Gebete, religiöse Unterweisung in den Grundlehren des Islam) und die Ausbildung von Islamtheologen sowie, mangels einer Lehrautorität im Islam, die wissenschaftliche Pflege der Religion 43 und die in § 3 der Landesverbandssatzung aufgezählten Tätigkeiten.
Die Ausbildung von Islamtheologen wird nunmehr als eigene, von den wenigsten Moscheegemeinden ausführbare Ausbildung angesehen, § 2 Satz 3 der Satzung. Einige Islamtheologen stehen bereits „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung“. Das besagt indes auch, dass diese noch keineswegs als Imame in den DITIB – Moscheegemeinden eingesetzt werden. Nach wie vor werden für die Moscheegemeinden hauptamtliche Vorbeter aus der Türkei für einige Jahre zur Verfügung gestellt 44. Bei diesen Vorbetern handelt es sich um in der Türkei ausgebildete Religionsbeauftragte der dortigen Religionsbehörde, die für eine befristete Zeit zur religiösen Betreuung der türkischen Muslime ins Ausland entsandt werden. Die Ausbildung und Einstellung eigener Imame wird für die Bejahung des Status einer Religionsgemeinschaft für die Anstalt DITIB von Bedeutung sein. Darüber hinaus geht die Zugehörigkeit zur DITIB eindeutig aus der Vereinssatzung hervor. Sie folgt bei den meisten DITIB-Vereinen einem Satzungsmuster, in das lediglich der Name des Vereins und das Gründungsdatum eingefügt werden. Die Unterstützung aus der Türkei und der vornehmlich im kulturellen und politischen Leben 45 gegebene Zugang zur türkischstämmigen Gemeinschaft in Deutschland lässt die DITIB auch als einen politischen Verband erscheinen 46 .
5. SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.
Für die auf Landesebene gebildete SCHURA Hamburg ist erforderlich , dass für die Identität einer Religionsgesellschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden als Teil eines gemeinsamen, alle diese Gläubigen umfassenden, spirituell durchdrungenen Glaubensvollzuges. Hieran kann es zunächst schon fehlen, wenn dem Dachverband in erheblichem Umfange Mitgliedsvereine angehören, die religiösen Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen . Da von den 42 Mitgliedern der SCHURA Hamburg jedoch 31 Moscheevereine als Glaubensgemeinschaften vorhanden sind, kann von einem ausreichenden personale Substrat auf der lokalen Ebene ausgegangen werden 47.
Für die Tätigkeit des übergeordneten Verbandes, die als Vollzug des gemeinsamen Glaubens angesehen werden kann, ist auch hier Ausgangspunkt die Satzung 48 , nach deren § 2 die Vereinigung ein Zusammenschluss der in der Freien und Hansestadt Hamburg bestehenden islamischen Gemeinden und Vereine als islamische Religionsgemeinschaft ist. Zweck der Vereinigung ist „die Förderung der islamischen Religion“. Die dort näher bezeichneten Tätigkeiten von Informationen und Förderung der Zusammenarbeit der Muslime und Interessenvertretung lassen indes kaum einen unmittelbaren Glaubensvollzug erkennen, mögen diese Tätigkeiten auch auf den Glaubensgrundsätzen des Islam beruhen. Ein relevanter und arbeitsteiliger Glaubensvollzug auf der Ebene des Dachverbandes ist auch hier die Einstellung von Imamen und Lehrkräften und deren Ausbildung und Weiterbildung, § 2 der Satzung, sowie die Erstellung islamischer Rechtsgutachten, § 9 der Satzung 49 . Es muss näher nachgefragt werden, was die Rechtsgutachten bewerkstelligen können.
Die SCHURA Hamburg kann trotz ihres Konglomerats von nichtreligiösen und religiösen Mitgliedervereinen wegen des Übergewichts letzterer als Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz angesehen werden .
6. Repräsentanz der Muslime
Eine weitere Frage, wenn auch nicht so gewichtig wie die nach dem Status einer Religionsgemeinschaft, ist für alle genannten Gruppierungen, inwieweit die islamischen Vertragspartner die islamische Gemeinschaft von ca. 120 000 Muslimen in Hamburg repräsentieren. Dass sie praktisch alle Muslime im juristischen Sinne vertreten, ist ohnehin nicht erkennbar 50. Die islamischen Vertreter ziehen sich darauf zurück, dass sie jedenfalls die Mehrheit der „praktizierenden Muslime“ repräsentieren. Dieser schwammige Begriff kann indes statistisch konkret hergeleitet werden wie bei den christlichen Kirchen. Was dort die Zahl der Sonntagsgottesdienstbesucher ist, kann hier die Zahl der Teilnehmer an den Freitagsgebeten sein 51 . Für die staatliche Seite ist dies kein Hindernis für den Vertragsabschluss, da er in dieser Frage nicht von seiner Verfassung begrenzt wird 52 . Im Übrigen gibt es auch im öffentlichen Recht das Institut des Vertrages zugunsten Dritter, so dass etwa vereinbarte Schulbefreiungen für alle muslimische Schüler gelten. Umgekehrt sind Verträge zulasten Dritter unwirksam: Hätten sich etwa die drei islamischen Vertragsparteien gegenüber dem Staat verpflichtet, die baurechtlich zulässige Höhe für Gebäude, d. h. insbesondere für Minarette, wegen der Vorbehalte in der Bevölkerung nicht voll auszuschöpfen 53, so sind Moscheebauvereine, die nicht einem dieser Islamverbände angehören, rechtlich nicht gehindert, die Vorgaben eines staatlichen Bebauungsplanes in vollem Umfange zu nutzen.
Da das Gutachten von Klinkhammer zum Ergebnis kommt, dass die drei islamischen Dachverbände als Religionsgemeinschaften angesehen werden können 54, ist es dem Staat nicht verboten, diese jedenfalls als qualifizierte „Sachwalter“ oder Treuhänder für die islamischen Belange in Hamburg im Interesse schließlich auch der großen Zahl von Muslimen selbst zu behandeln.
7. Staatsvertrag
Umstritten ist, ob eine Vereinbarung des Staates mit den Muslimverbänden, sämtlich als rechtsfähige Vereine organisiert, ein Staatsvertrag sein oder jedenfalls so bezeichnet werden kann.
Nach Art. 123 Abs. 2 Grundgesetz kann der Heilige Stuhl für die „neuen Staatsverträge“ und damit aus dem Verfassungsprinzip der Parität heraus auch die evangelischen Landeskirchen mit dem Staat (Bund oder Länder) kontrahieren wie es fast zweihundertjähriger Übung entspricht. Dies wird für