Ziegelgold. Tom Brook

Ziegelgold - Tom Brook


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Dach bedeckt wurde. Gulfhof wurde diese Art von Bauernhäusern genannt, erinnerte Alex sich an den Sachkundeunterricht aus der Grundschulzeit. Es drang nur wenig Tageslicht in den alten Speicherraum. Sie fanden mehrere Kartons mit alten Schulbüchern, ein Paar Armeestiefel, ein Schaukelpferd aus Holz, mehrere Stühle, eine Stehlampe und weitere Dinge, die sie nicht weiter interessierten. „Was ist das da hinten, das große Ding?“ Tim leuchtete mit der Taschenlampe in eine dunkle Ecke. Die Freunde sahen sich kurz an und bewegten sich vorsichtig durch das herumstehende Gerümpel, um Tims Großvater nicht durch unnötigen Lärm auf sie aufmerksam zu machen. Sie erreichten eine, von einer dicken Staubschicht bedeckte, große braune Kiste. Sie sah aus, als wäre sie aus Leder und war mit einem altmodischen Schloss verriegelt.

      „Warte, das kriege ich schon auf“, sagte Tim großspurig und drückte Alex die Taschenlampe in die Hand. Umständlich holte er sein Schweizer Offiziersmesser aus der Tasche und versuchte das Schloss zu knacken. „Du hast zu viele James Bond Filme gesehen“ lästerte Alex, als Tim das Schloss nach einigen Minuten immer noch nicht geöffnet hatte. Ein leises Klicken und der triumphierende Blick seines besten Freundes ließen ihn aber schnell verstummen. Vorsichtig öffnete Tim die Kiste. Mit einem lauten Quietschen gaben die eingerosteten Scharniere nach. Atemlos leuchtete Alex in die dunkle Kiste. Dort lag etwas rundes, flaches Schwarzes, eingebettet auf cremefarbenen Stoff. „Was ist denn das?“, fragte Tim und nahm die merkwürdige Scheibe heraus. Er drehte sie vorsichtig herum. Auf der anderen Seite war die Scheibe nur am Rand schwarz und in der Mitte weiß. In der Mitte der weißen Fläche war ein Viereck aufgenäht. Tim nahm Alex die Lampe ab und leuchtete genau auf die Stelle, um die kleinen Buchstaben zu entziffern. Dann musste er laut lachen. Er gab Alex mit einem vielsagenden Grinsen die Taschenlampe zurück und schlug die schwarze Scheibe kräftig auf seinen linken Unterarm. Mit einem satten Plopp veränderte die Scheibe schlagartig ihre Form: Tim hatte einen Zylinder in der Hand. „Wir haben die Hochzeitskiste gefunden“, lachte er und setzte den Zylinder auf. Alex musste ebenfalls lachen und nahm den hellen Stoff aus der Kiste, der sich als altes Brautkleid herausstellte.

      Das laute Zuschlagen der Stalltür ließ die Jungen schlagartig verstummen. Zwei bekannte Stimmen näherten sich langsam. „Können wir nicht morgen nachsehen, Herr Doktor?“ Es war die Stimme von Tims Großvater. „Tut mir leid. Ich muss morgen zu einem Kongress nach London, einen erkrankten Kollegen vertreten. Mir wäre sehr daran gelegen, die Dokumente heute noch einzusehen.“ Die Stimme des falschen Dr. Eyken klang kühl und ließ keinen Widerspruch zu. „Wo verwahren Sie denn ihre persönlichen Dinge?“ Alex und Tim konnten keine Antwort hören, aber als sie das Knarren der alten Leiter hörten, wussten sie, dass die Männer auf dem Weg nach oben waren. „Scheiße. Los, hier lang“, zischte Tim seinem Freund zu und zog ihn weiter ins Dunkel des Speichers. Ohne das Licht der Taschenlampe zogen sie sich zurück. Von dort beobachteten sie, wie die Männer verschiedene Gegenstände begutachteten.

      Dr. Eyken wirkte unzufrieden: „Sie haben doch gesagt, dass sich der Koffer ihres Vaters hier auf dem Speicher befindet.“ Tims Opa blieb auffallend freundlich. Der vermeintliche Doktortitel seines Gegenübers flößte ihm anscheinend Respekt ein. „Ich hab' das alte Ding seit Jahren nicht gesehen, Herr Doktor. Aber irgendwo wird er schon stehen.“ Die Männer gingen weiter in den Speicher hinein. Dr. Eyken hatte eine große amerikanische Taschenlampe in der Hand, die den Jungen schon bei der alten Ziegelei aufgefallen war. Auf allen Vieren krochen die Freunde weiter, um nicht entdeckt zu werden. Sie hatten das Ende des Dachbodens fast erreicht. „Komm, wir haben noch eine letzte Chance“, flüsterte Tim und wies auf den Schornstein.

      7

      Sonntag 16:51 Uhr

      Zwischen dem Schornstein und den Dachsparren war eine kleine dreieckige Lücke. Alex wusste, was sein Freund vor hatte und tippte sich an die Stirn. Die Lücke war höchsten 40 cm breit. Da würden sie nie und nimmer durchpassen. Tim reagierte überhaupt nicht auf die unqualifizierte Geste seines Freundes. Mit Schwung fädelte er seine Beine in das Loch und robbte langsam rückwärts hinein. Bald konnte Alex nur noch den Kopf seines Freundes erkennen, der dann dann auch im Dunkel verschwand. „Was ist? Brauchst du eine Sondereinladung? Nun komm schon“, vernahm Alex Tims schärfer werdende Stimme aus der Dunkelheit. Er wollte gerade protestieren, als die Stimme Dr. Eykens näher kam. Diese hörte sich sehr verärgert an und Alex hatte keine Lust, ein zweite Mal von dem falschen Doktor entdeckt zu werden. Schnell fädelte er sich in das Loch, so wie er es bei Tim gesehen hatte. Leider war er etwas kräftiger als sein schmal gebauter Freund. Bis zur Hälfte ging es recht gut, doch dann blieb er wegen seiner breiten Schultern stecken. „Arme hoch, Ausatmen und Luft anhalten“, raunte Tim von hinten. Alex seufzte und streckte sich lang wie beim Kopfsprung, als ihn Tim kräftig an den Knöcheln anpackte und unsanft in das finstere Loch zog.

      Kaum war Alex' Kopf in dem Versteck verschwunden, liefen schon Tims Großvater und Dr. Eyken an ihrem unfreiwilligen Verlies vorbei. „Los, hier geht es noch ein paar Meter weiter“, flüsterte Tim kaum vernehmbar und kroch weiter in das staubige Versteck. Alex folgte ihm nur widerwillig. Sie erreichten einen kleinen, völlig schwarzen Raum, der kaum ein Meter hoch war und stark nach Rauch stank.

      „Was ist das für eine Öffnung?“, hörten sie auf einmal die Stimme Dr. Eykens direkt vor dem Eingang ihres Schlupfwinkels. „Wo?“ Die schweren Schritte des Großvaters kamen langsam näher. „Ach das. Dahinter ist eine alte Räucherkammer. Der Rauch des Schornsteins wurde früher dort hinein geleitet, um Speck und Schinken zu räuchern. Die ist aber vor über 50 Jahren zugemauert worden.“ Tims Großvater machte eine Pause. Er schien etwas entdeckt zu haben. „Warten Sie mal. Dort hinten steht ja der Koffer.“ Die Schritte von Tims Großvater entfernten sich wieder. Die Jungen hielten die Luft an und hörten, wie die beiden Männer etwas aus dem Gerümpelstapel zogen.

      „Wunderbar!“ Die Stimme von Dr. Eyken klang auf einmal deutlich freundlicher. „Lassen Sie uns den Koffer mit nach unten nehmen, da können wir in Ruhe nachsehen, ob ich die Unterlagen für meine Forschungsarbeit gebrauchen kann.“ Die Freunde saßen regungslos in ihrem schwarzen Loch und wagten es nicht, sich zu bewegen. Erst als sie das Knarren der Treppe und das laute Zuschlagen der Stalltür vernahmen, platzte es aus Alex heraus: „Verdammt! Warum haben wir den Koffer nicht gefunden? Wir waren doch vor ihnen da.“ Er schlug voller Wut mit der Faust auf den Boden der Räucherkammer. Der morsche Holzboden gab mit einem lauten Krachen nach. Instinktiv versuchte er, seine Hand zurück zu ziehen, doch sie steckte fest, und die scharfen Holzsplitter ließen keinerlei Bewegung zu.

      „Warte, ich helf' dir.“ Tim machte die Taschenlampe an und sah, wie Alex bis zum Ellenbogen in dem verrotteten Holzboden fest steckte. Vorsichtig bog er die zerborstenen Holzsplitter von Alex' Arm weg, so dass der vorsichtig seinen arg verschrammten Unterarm herausziehen konnte. Während Alex seine lädierte Hand rieb, leuchtet Tim mit seiner Taschenlampe noch einmal in das Loch im Boden und lachte. „Anscheinend hast du gerade einer Mäusefamilie das Dach vom Kopf gefegt. Sieh mal, wie die flitzen.“ Alex lächelte gequält. Tim wollte gerade seine Lampe aus dem doppelten Boden herausziehen, als er ein schwaches Glitzern bemerkte.

      „Mensch Alex, da ist was.“ Tims war ganz aufgeregt. „Zeig her.“ Alex drängte seinen Freund zur Seite, nahm ihm die Taschenlampe ab und leuchtete in das dunkle Loch. Er konnte nicht erkennen, was es war, aber es befand sich eindeutig ein metallischer Gegenstand in dem doppelten Boden der Räucherkammer. Alex richtete sich auf, soweit es die niedrige Kammer zuließ. Kräftig fasste er eines der angebrochenen Bodenbretter an und versuchte es nach oben zu ziehen. Das Brett bewegte sich keinen Millimeter. Tim eilte ihm beherzt zur Hilfe, und nun zogen beide Freunde aus Leibeskräften daran. Mit einem lauten Krachen gab die Diele endlich nach. Tim leuchtete in das vergrößerte Loch im Boden. „Das scheint eine alte Stahlkassette zu sein. Der funkelnde Gegenstand ist wohl der Haltebügel“, rief Tim aufgeregt. „Die kriegen wir so nicht raus“, sagte Alex. „Los weiter. Zwei Bretter müssen noch runter.“ Mit vereinten Kräften brachen sie weitere Bretter ab. Dann lag die Kassette direkt vor ihnen. Sie hatte die Größe eines großen Schuhkartons. Die Freunde sahen sich erwartungsfroh an. Alex griff bedächtig nach dem Bügel und zog die Kassette ehrfürchtig und mit großer Anstrengung aus ihrem Jahrzehnte alten Versteck.

      „Die wiegt mindestens zwanzig Kilo“, ächzte er.


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