Etwas ist immer. Ben Worthmann

Etwas ist immer - Ben Worthmann


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zu etwas gebracht haben. Nichts an ihm verriet auch nur entfernt etwas von jenen im weitesten Sinne kreativen Fähigkeiten, die man bei einem Konstrukteur und Designer von Bauwerken gemeinhin doch wohl erwarten darf. Er trug eine eiterfarbene Hose mit verstellbarem Bund und Gesundheitsschuhe und sein braunes Polohemd war drei Nummern zu eng. Er bot einen entsetzlichen Anblick. Mit solchen Leuten hatte ich normalerweise nichts zu tun. Ich war, um es einmal so auszudrücken, optisch und akustisch stark befremdet.

      Er wirkte auf mich wie ein Parvenü, der es in Abendkursen und über zweite und dritte Bildungswege irgendwie geschafft hatte, sich Architekt nennen zu dürfen. Warum, ging es mir durch den Kopf, mussten wir unter hundert Möglichkeiten, uns ein Haus entwerfen zu lassen, ausgerechnet die Variante Stawitzki auswählen? Was dabei herauszukommen drohte, sah man ja an seinem eigenen Haus und an seinem Büro: alles protzig und teuer, aber ohne Stil. Dunkles Holz unter den Decken und pseudomodernes Stahlrohrmobiliar vor rustikalen Eichenwänden, wo in den Regalen ein paar Lexika und Reiseführer und etwas Nippes die Staffage bildeten – das Ganze sah schlimmer aus als aus einem Einrichtungskatalog. Die Antwort auf „warum Stawitzki?“ war indes verhältnismäßig einfach: Er war uns empfohlen worden, und zwar von unserer Bausparkasse. Und Tatsache war, dass wir über keinerlei Erfahrung verfügten, wie man Empfehlungen von Bausparkassen erfolgreich in den Wind schlägt, um die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen.

      Stawitzki wusste irgendwoher, dass ich bei der Zeitung im Politikressort arbeitete, und er begann sogleich auf die Regierung zu schimpfen. Es ist merkwürdig, aber einige Leute meinen, sie müssten einem irgendetwas bieten, sobald sie mitbekommen haben, dass man Journalist ist. Offenbar haben sie die Vorstellung, ein Journalist würde unentwegt mit Block und Stift durch die Welt laufen und alles notieren, was er hört und sieht. Sie denken, wenn sie jemandem wie mir etwas erzählen, das sie selbst für interessant oder gar originell halten, dann wird es vielleicht wie durch Zauberei irgendwie „in die Zeitung kommen“. Es ist wirklich absurd, welche Vermutungen in weiten Kreisen der Menschheit auch im sogenannten Medienzeitalter immer noch darüber existieren, wie eine Zeitung entsteht und worin die Beschäftigung von Journalisten besteht. Ich habe längst aufgehört zählen, wie oft ich schon äußerst unhöfliche Reaktionen unterdrücken musste, weil wieder einmal jemand, der Ärger mit seiner Autowerkstatt oder mit dem Finanzamt hatte, mir gönnerhaft den Rat geben zu müssen meinte: „Das sollten Sie mal in Ihrer Zeitung schreiben.“

      Zu Stawitzki sagte ich, dass ich auch kein großer Freund der Regierung sei und seine diesbezüglichen Aversionen gut verstehen könne, aber genauso wenig sei ich ein Freund ausufernder Gespräche über Politik während meiner arbeitsfreien Zeit, denn mit Politik hätte ich dienstlich schon genug zu tun. Ich sagte das keineswegs in einem unfreundlichen Ton. Anna brauchte mir keinen ihrer ermahnenden Blicke zuzuwerfen, wie sie es meistens tut, wenn ich gegenüber anderen Leuten nicht so verbindlich bin, wie ich es ihrer Ansicht nach eigentlich sein sollte. Ich sagte zu Stawitzki, außerberuflich sei ich durchaus auch an anderen Dingen als an Politik interessiert. Ich wollte damit auf weiter gar nichts Besonderes hinaus. Welchen Anlass hätte ich auch gehabt, diesem Mann die Gewissheit zu ermitteln, dass er einen potenziellen Kunden mit breit gefächerten Interessen vor sich sitzen hatte? Doch prompt fragte er uns, ob wir uns für Musik interessierten. Natürlich bestätigten wir ihm das, ohne lange darüber nachzudenken. Es stimmte ja auch, und wer würde eine solche Frage schon mit Nein beantworten? Wir ahnten auch noch nichts weiter, als Stawitzki uns in ein Nebenzimmer bat, in dem außer ein paar Stühlen nur ein monströser nussbaumfarbener Kasten stand.

      „Meine neue Orgel“, erklärte er uns. „Habe ich mir gerade gekauft.“ So, so, dachte ich bei mir, das ist also seine neue Orgel, aber muss mich das wirklich etwas angehen? Er indes nahm Platz, klappte den Deckel auf, hantierte an Schaltern und Knöpfen herum und begann, während das Instrument seinen Betrieb aufnahm, zu singen. Ich erstarrte innerlich. Ich wagte nicht, Anna anzuschauen, ich wäre am liebsten aus dem Fenster gesprungen. In diesem Moment beneidete ich die hysterischen Damen des Rokoko, die in unerfreulichen Situationen einfach eine Ohnmacht vortäuschen und theatralisch hauchen konnten: „Frau Nachbarin, das Fläschchen bitte.“ Ich hatte nicht die geringste Chance. Ich musste bei vollem Bewusstsein hier durch, das war mir klar.

      Der Architekt in der eiterfarbenen Hose und dem zu engen Polohemd sang „I did it my way“, und ich kann bis heute nicht sagen, was das Schlimmste daran war: sein Orgelspiel, sein Singen oder sein Englisch. Alles zusammen erfüllte zweifellos mehrere Tatbestände des deutschen Strafgesetzbuchs, aber es gelangte zur Aufführung, ohne dass weit und breit vom Arm des Gesetzes auch nur eine Manschettenspitze zu entdecken war. Stawitzki seinerseits war offenkundig begeistert von seinem Tun. Er schwelgte förmlich in falschen Akkorden, falschem Gesang und falschem Englisch. Ich bin immer wieder erstaunt, wie heil manche Menschen ihr ungebrochenes Selbstwertgefühl aus Kindertagen bis in die mittleren Jahre hinüberretten und welch unterschiedliche Auffassungen doch in der Bevölkerung darüber bestehen, was eine erhebliche Peinlichkeit ist und was nicht.

      Als Stawitzki geendet hatte, fragte ich ihn, wo die Toilette sei, und indem ich mich an Anna vorbei in den Flur verdrückte, raunte ich ihr zu: „Wenn seine Häuser so sind wie seine Lieder, sollten wir uns schleunigst davonmachen.“

      Sie raunte zurück: „Schließlich ist unser Haus nicht das erste, das er baut. Und wenn er nicht seriös wäre, würde die Bausparkasse ihn nicht empfehlen.“

      Weil uns gegen diese Logik kein schlagendes Argument einfiel, jedenfalls nicht auf die Schnelle, saßen wir einige Minuten später, trotz allem, einigermaßen gefasst auf unseren Stühlen vor Stawitzkis Schreibtisch und drehten die Köpfe, um, seinem wurstförmigen Zeigefinger folgend, in uns aufzunehmen, was er uns hinsichtlich des Bauvorhabens mitzuteilen hatte. „Die Einheit umfasst drei Reihenhäuser“, sagte er, „aber das Ganze wirkt im Prinzip wie ein einziges großes Haus, sehen Sie? Der Bauplatz ist übrigens ganz in Ihrer Nähe. Sie wohnen doch jetzt an der anderen Seite des Stadtparks, das sind nur ein paar hundert Meter.“

      Wir betrachteten den Lageplan, dann die Frontskizze. Sie war sehr anschaulich, ein Bauzeichner aus Stawitzkis Büro hatte sich wirklich Mühe gegeben , im Vorgarten standen sogar schon schraffierte Büsche und Bäumchen, und eine Frau im Trench und Kinder waren auch darauf zu sehen. „Nach hinten raus sind Terrassen und Gärten“, fuhr Stawitzki fort.

      Wir betrachteten die Skizze der Rückseite. „Zwei Stockwerke, und den Keller und das Dach können Sie auch noch ausbauen, wenn Sie wollen.“

      Wir betrachteten die Etagengrundrisse.

      Das sah eigentlich alles ganz ordentlich und überzeugend aus. Ich blickte Anna an und meinte in ihren Augen Zustimmung zu lesen. Außerdem las ich, dass sie ihrerseits Zustimmung in meinen Augen zu lesen meinte, und folglich nickten wir beide beifällig. Ich wollte wissen, wer denn die beiden anderen Bauherren außer uns seien. Oh, da gebe es zahlreiche Interessenten, aber im Prinzip seien Schneiders, eine Familie mit ebenfalls zwei Kindern, sowie Assmanns, ein Ehepaar, entschlossen, sich zu beteiligen, sodass es wohl auf uns drei hinauslaufen werde. Woher er die Gewissheit nahm, dass wir tatsächlich schon gewillt waren, blieb mir in diesem Augenblick zwar rätselhaft, ich widersprach aber auch nicht.

      Im Prinzip, sagte ich, seien wir durchaus interessiert. Wenn ich geahnt hätte, welchen fatalen Beigeschmack die Floskel „im Prinzip“ beim Bauen ganz generell und besonders bei einem Bauvorhaben wie diesem annehmen kann, hätte ich es vermutlich als frivol empfunden, sie einfach so zu verwenden. Eigentlich wollte ich auch nur testen, wie Stawitzki, bei dem jeder zweite Satz ein „im Prinzip“ enthielt, reagierte, wenn man auf diese Marotte anspielte. Ich treibe hin und wieder gern solche kleinen psychologischen Studien, um herauszufinden, wie empfindlich meine Mitmenschen für harmlose Sottisen sind. Stawitzki erwies sich als absolut resistent. Er hatte offenbar das Gemüt eines Fleischerhundes. Ich wusste nicht, ob es vorteilhaft oder eher von Schaden ist, sich in die Hände eines Baumeisters zu begeben, dessen Sinne so unentwickelt und stumpf sind, dass er sich erstens mit Hilfe einer nussbaumfarbenen Heimorgel an Frank Sinatra vergeht und zweitens nicht bemerkt, wenn man ihn auf die Schippe nimmt. Ich wusste, genau wie Anna, vom Bauen so gut wie gar nichts.

      „Wir sollten dann möglichst bald einen Termin mit Haltemeier vereinbaren“, sagte Stawitzki.

      „Wer ist denn das?“,


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