Frühlings Erwachen - kurze Fassung. Франк Ведекинд
Komm doch mit auf mein Zimmer. In dreiviertel Stunden habe ich den Homer, die Gleichungen und zwei Aufsätze. Ich korrigiere dir einige harmlose Schnitzer hinein, so ist die Sache im Blei. Mama braut uns wieder eine Limonade, und wir plaudern gemütlich über die Fortpflanzung.
moritz: Ich kann nicht. – Ich kann nicht gemütlich über die Fortpflanzung plaudern! Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann gib mir deine Unterweisungen schriftlich. Schreib mir auf, was du weißt. Schreib es möglichst kurz und klar und steck es mir morgen während der Turnstunde zwischen die Bücher. Ich werde es nach Hause tragen, ohne zu wissen, dass ich es habe. Ich werde es unverhofft einmal wiederfinden. Ich werde nicht umhin können, es müden Auges zu durchfliegen … falls es unumgänglich notwendig ist, magst du ja auch einzelne Randzeichnungen anbringen.
melchior: Du bist wie ein Mädchen. – Übrigens wie du willst! Es ist mir das eine ganz interessante Arbeit. – Du willst schon gehen, Moritz?
moritz: Arbeiten machen. – Gute Nacht.
melchior: Auf Wiedersehen.
Erster Akt, Dritte Szene
Thea, Wendla und Martha kommen Arm in Arm die Straße herauf.
thea: Dein Zopf geht auf, Martha; dein Zopf geht auf!
martha: Puh – lass ihn aufgehn! Er ärgert mich so Tag und Nacht. Kurze Haare tragen wie du darf ich nicht, das Haar offen tragen wie Wendla darf ich nicht, Ponyhaare tragen darf ich nicht, und zu Hause muss ich mir gar die Frisur machen – alles der Tanten wegen!
wendla: Ich bringe morgen eine Schere mit in die Religionsstunde. Während du »Wohl dem, der nicht wandelt« rezitierst, werd ich ihn abschneiden.
martha: Um Gottes willen, Wendla! Papa schlägt mich krumm, und Mama sperrt mich drei Nächte ins Kohlenloch.
wendla: Womit schlägt er dich, Martha?
martha: Manchmal ist es mir, es müsste ihnen doch etwas abgehen, wenn sie keinen so schlecht gearteten Balg hätten wie ich.
thea: Aber Mädchen!
martha: Hast du dir nicht auch ein himmelblaues Band durch die Hemdpasse ziehen dürfen?
thea: Rosa Atlas! Mama behauptet, Rosa stehe mir bei meinen pechschwarzen Augen.
martha: Mir stand Blau reizend! – Mama riss mich am Zopf zum Bett heraus. So fiel ich mit den Händen vorauf auf die Diele. – Mama betet nämlich Abend für Abend mit uns …
wendla: Ich an deiner Stelle wäre ihnen längst in die Welt hinausgelaufen.
martha: … Da habe man’s, worauf ich ausgehe! – Da habe man’s ja! – Aber sie wolle schon sehen – o sie wolle noch sehen! Meiner Mutter wenigstens solle ich einmal keine Vorwürfe machen können …
thea: Hu – Hu –
martha: Kannst du dir denken, Thea, was Mama damit meinte?
thea: Ich nicht. – Du, Wendla?
wendla: Ich hätte sie einfach gefragt.
martha: Ich lag auf der Erde und schrie und heulte. Da kommt Papa. Ritsch – das Hemd herunter. Ich zur Türe hinaus. Da habe man’s. Ich wolle nun wohl so auf die Straße hinunter …
wendla: Das ist doch gar nicht wahr, Martha.
martha: Ich fror. Ich habe die ganze Nacht im Sack schlafen müssen.
thea: Ich könnte meiner Lebtag in keinem Sack schlafen!
wendla: Ich möchte ganz gern mal für dich in deinem Sack schlafen.
martha: Wenn man nur nicht geschlagen wird.
thea: Aber man erstickt doch darin!
martha: Der Kopf bleibt frei. Unter dem Kinn wird zugebunden.
thea: Und dann schlagen sie dich?
martha: Nein. Nur wenn etwas Besonderes vorliegt.
wendla: Womit schlägt man dich, Martha?
martha: Ach was – mit allerhand. – Hält es deine Mutter auch für unanständig, im Bett ein Stück Brot zu essen?
wendla: Nein, nein.
martha: Ich glaube immer, sie haben doch ihre Freude – wenn sie auch nichts davon sagen. – Wenn ich einmal Kinder habe, ich lasse sie aufwachsen wie das Unkraut in unserem Blumengarten. Um das kümmert sich niemand, und es steht so hoch, so dicht – während die Rosen in den Beeten an ihren Stöcken mit jedem Sommer kümmerlicher blühn.
thea: Wenn ich Kinder habe, kleid ich sie ganz in Rosa, rosa Hüte, rosa Kleidchen, rosa Schuhe. Nur die Strümpfe – die Strümpfe schwarz wie die Nacht! Wenn ich dann spazieren gehe, lass ich sie vor mir hermarschieren. – Und du, Wendla?
wendla: Wisst ihr denn, ob ihr welche bekommt?
thea: Warum sollten wir keine bekommen?
martha: Tante Euphemia hat allerdings auch keine.
thea: Gänschen! – weil sie nicht verheiratet ist.
wendla: Tante Bauer war dreimal verheiratet und hat nicht ein einziges.
martha: – Wenn du welche bekommst, Wendla, was möchtest du lieber, Knaben oder Mädchen?
wendla: Jungens! Jungens!
thea: Ich auch Jungens!
martha: Ich auch. Lieber zwanzig Jungens als drei Mädchen.
thea: Mädchen sind langweilig!
martha: Wenn ich nicht schon ein Mädchen geworden wäre, ich würde es heute gewiss nicht mehr.
wendla: Das ist, glaube ich, Geschmackssache, Martha! Ich freue mich jeden Tag, dass ich ein Mädchen bin. Glaub mir, ich wollte mit keinem Königssohn tauschen. – Darum möchte ich aber doch nur Buben!
thea: Das ist doch Unsinn, lauter Unsinn, Wendla!
wendla: Aber ich bitte dich, Kind, es muss doch tausendmal erhebender sein, von einem Manne geliebt zu werden als von einem Mädchen!
martha: Bist du nicht stolz auf dich, Wendla?
wendla: Das wäre doch einfältig.
martha: Wie wollt ich stolz sein an deiner Stelle.
thea: Sieh doch nur, wie sie die Füße setzt – wie sie geradeaus schaut – wie sie sich hält, Martha! – Wenn das nicht Stolz ist!
wendla: Wozu nur?! Ich bin so glücklich, Mädchen zu sein; wenn ich kein Mädchen wär, brächt ich mich um, um das nächste Mal …
Melchior geht vorüber und grüßt.
thea: Er hat einen wundervollen Kopf.
martha: So denke ich mir den jungen Alexander, als er zu Aristoteles in die Schule ging.
wendla: Er soll der Drittbeste in seiner Klasse sein.
thea: Professor Knochenbruch sagt, wenn er wollte, könnte er Primus sein.
martha: