Nesthäkchen und ihre Enkel. Else Ury

Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury


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      »Oh, moito bonito! Sehr schön! Auf Wiedersehen bei Tische!« Milton Tavares verließ das Zimmer.

      Er war heute noch ein schöner Mann. Ja, seiner Frau gefiel sein gereiftes, männliches Aussehen noch besser als seine dereinstige Jünglingsschönheit. Anita war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Nur ihre Augenfarbe verleugnete die deutsche Abstammung ihrer Mutter nicht.

      Seit dem Tode des alten Tavares, des Seniors des weltberühmten Kaffee-Exporthauses, hatte Milton eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Alle Fäden des großen Betriebes mündeten in seiner Person. Und wenn ihm sein Schwager, Don Fernando Janqueiro, der Gatte seiner Schwester Margarida, auch geschäftlich zur Seite stand, die Hauptperson, der Mittelpunkt des Exporthauses Tavares blieb Don Milton. Die Männer in Brasilien pflegten sich nicht allzu sehr bei der Arbeit anzustrengen. Die lähmende Einwirkung der Tropentemperatur trug wohl dazu bei. Auch Don Fernando saß lieber im Kaffeehause als in der Kaffeebörse und überließ seinem Schwager Milton, der in Deutschland ernste, pflichttreue Arbeit kennengelernt hatte, den Löwenanteil derselben. Morgens, gleich nach dem Frühstück, fuhr Milton Tavares nach Santos, dem berühmten Kaffeehafen hinunter. Die Mittagsmahlzeit nahm er dort ein. Erst das Essen um sechs Uhr abends versammelte die ganze Familie.

      Es war eine Festtafel im kleinen, an der man Platz nahm. Silber, Kristall, herrliche Früchte und Blumen. Auf letztere legte die Frau des Hauses ganz besonderen Wert. Als sie vor Jahren, als junge Frau, das Tropenland betreten hatte, kannte man dort Blumenschmuck bei den täglichen Mahlzeiten nicht. Man war in Amerika ausschließlich auf das Praktische eingestellt. »Die Hauptsache, es ist etwas Gutes für den Magen auf dem Tische, mein Kind«, pflegte sich die Schwiegermutter, in deren Hause man zuerst gewohnt hatte, zu äußern, wenn das junge Frauchen zu jeder Mahlzeit die schönsten Tropenblüten des Gartens geschmackvoll in eine Vase ordnete. Das war gerade das Gegenteil davon, was die junge Frau daheim im deutschen Elternhause kennengelernt hatte. »Auch die einfachste Mahlzeit mundet einem noch einmal so gut, wenn sie nett angerichtet ist, wenn der Tisch zierlich gedeckt ist und Blumen denselben schmücken.« So hatte Ursels Mutter jenseits des großen Wassers den Kindern von klein auf eingeprägt. Auch hierin, wie in vielem anderen, wurde die junge Deutsche für die brasilianischen Frauen mustergültig.

      Milton Tavares liebte diese Stunde der gemeinsamen Mahlzeit, die er gern im Kreise seiner engsten Familie verlebte. Heute war es ganz besonders gemütlich, da Miß Smith nicht an dem Essen teilnahm. Keiner konnte es sich verhehlen, daß die Anwesenheit der steifen Engländerin stets etwas lähmend auf die Stimmung wirkte. Anita, die nicht gewöhnt war, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gab dem auch unverhohlen Ausdruck.

      »Schade, daß Migräne nur vierundzwanzig Stunden anhält. Sie müßte ebenso viele Monate dauern!« wünschte die gemütvolle junge Dame.

      »Pfui, Nita, die arme Miß!« rief ihre Zwillingsschwester. »Zum Sterben elend fühlt sie sich, sagte sie mir soeben, als ich mich nach ihr umsah. Sie sah so weiß aus wie das Tischtuch.«

      »Das ist die Strafe dafür, daß sie uns mit ihren langweiligen Anstandsregeln so arg peinigt. O shocking indeed, Anny!« Das blühende, lustige Gesicht des jungen Mädchens nahm im Augenblick grämlichen Ausdruck an.

      Milton Tavares lachte. Die sprühende Anita hatte nun einmal einen Stein bei dem Vater im Brett. Er verzog sie unbedingt. Eigentlich aber alle drei. Frau Ursel vermochte dem nicht zu steuern, trotz all ihrer Energie. Sie drohte der Übermütigen.

      »Miß Smith wird wohl bei dir alle Ursache zu ihren Shockingausrufen haben, Nita. Du bist wie ein junges, ungebärdiges Füllen, das nur zu oft über die Stränge schlägt. Meine einzige Hoffnung sind die Großeltern in Deutschland. Daß die noch etwas Vernünftiges aus dir machen werden.«

      »Ich bin Amerikanerin!« Anitas kurzes, schwarzes Haargelock flog impulsiv in den Nacken. »Für mich gibt es keine engen europäischen Grenzen – auch bei den deutschen Großeltern nicht!«

      »Aber Nita!« Die Zwillingsschwester vergaß vor Schreck die Palmitopastete mit Oliven, die der Mulatte ihr darbot, zu nehmen. »Nita, du kränkst unsere Mammi«, setzte sie leiser hinzu.

      Anita blinzelte ein wenig unbehaglich zur Mutter hin. Das hatte sie nicht gewollt, die Mutter in ihrem Heimatsgefühl verletzen. Nein, sie liebte sie ja mit der ganzen Heftigkeit ihres Temperamentes. Aber sie war zu stolz, ein Wort der Entschuldigung zu finden.

      Zum Glück erklang jetzt Juans Stimmchen dazwischen. Er hatte in der Kinderstube zu Abend gespeist, durfte aber am Familientisch nicht fehlen. Ab und an schob ihm der Vater ein besonders leckeres Häppchen zu.

      »Papi, ist das wahr, daß die Palme sterben muß, weil wir die Palmitopastete essen?« fragte der Kleine. »Die Kinderfrau hat es gesagt.« Er blickte zweifelnd auf das Pastetenstückchen, das der Vater ihm darbot

      »Freilich, die Palme, von der die zartesten Spitzen zur Palmitopastete genommen werden, geht ein. Darum ist dieses Gericht besonders kostbar.« Der Vater ließ es sich schmecken. Sein Söhnchen aber schob das ihm Zugeteilte energisch beiseite.

      »Juan will nicht schuld sein, daß die arme Palme sterben muß. Gib mir lieber Doces, Papi!« Das war der süße Nachtisch.

      Milton Tavares lachte und nickte seiner Frau belustigt zu. »Ursel, das deutsche Blut verleugnet sich nicht bei unserem Sprössling. Auf mein Konto kommt diese Sentimentalität nicht.«

      Frau Ursel zog ihren kleinen Jungen zärtlich zu sich heran. »Mein Hansi, mein kleiner! Erhalte dir nur dein warmes Herz!«

      »Nein, Mammi, das ist gar kein guter Wunsch. Ein amerikanischer Junge muß kühlen Verstand haben, kein warmes Herz«, ereiferte sich Anita. Sie war ihren Jahren entschieden voraus.

      »Beides, Nita. Beides muß ein tüchtiger Mann miteinander verbinden. Euer Vater vereinigt es ja auch in sich.« Ein liebevoller Blick streifte den Gatten und wurde in verstärktem Maße zurückgegeben.

      Marietta, die bei den Worten der Schwester schon wieder erschreckte Augen gemacht hatte, atmete erlöst auf. Ihr harmonisches Wesen war stets auf Ausgleich bedacht. Sie vermochte keinem Wesen wehe zu tun und ihrer Mutter am wenigsten.

      »Ei, Jetta, du ißt ja heute so wenig. Die Pastete hast du schon vorübergehen lassen. Diesen Perutruthahn mit Forosse möchte ich dir sehr empfehlen«, erinnerte sie der Vater.

      »Unsere Jetta kann die arge Hitze in der Stadt nicht vertragen, gerade so wie ihre Mutter.« Frau Ursel sah zärtlich besorgt zu ihrem blassen Mädel hinüber. »Draußen auf der Fazenda werden wir beide wieder mehr Appetit haben, nicht wahr, mein Herz? Ich mag bei dieser Siedehitze auch nicht viel Fleisch essen. Das habe ich in den sechzehn Jahren meines Aufenthaltes im Tropenlande immer noch nicht begreifen gelernt, daß ihr Brasilianer vor allem der Fleischnahrung huldigt, Milton. Die Bewohner der heißen Zone pflegen doch Pflanzen und Früchten sonst den Vorzug zu geben.«

      »Das eine tun – das andere nicht lassen. Das ist auch Nitas Ansicht, nicht wahr? Diese Doces de Caju müßt ihr beide aber auch versuchen, Ursel. Freilich, Juan, dieses Tellerchen ist für dich. Du brauchst dich gar nicht so nachdrücklich in Erinnerung zu bringen, mein Sohn.« Der kleine Juan hatte beim Auftragen des süßen Nachtisches den Vater energisch an seinem bastseidenen Ärmel zu zupfen begonnen.

      »Darf ich meinen Nachtisch nicht dem alten Cico hinüberbringen, Papi?« fragte Marietta bittend. »Er ist krank, erzählte Homer. Diese Doces werden ihn sicher erquicken.«

      »Was fehlt dem Alten, Pedro?« wandte sich der Vater statt einer Antwort an den servierenden Mulatten.

      »Oh, Don Tavares, ist schlimm, sehr schlimm. Schüttelt Cico, wie Sturm schüttelt Schiff in Ozean. Armer Cico friert bei Hitze.«

      »Homer soll sogleich den Arzt rufen, Pedro. Marietta, du betrittst Cicos Häuschen nicht. Du kannst dich anstecken. Keiner von euch darf zu Cico gehen, bis ich den Arzt gesprochen habe. Sage Homer, Pedro, daß er selbstverständlich, solange der Großvater krank ist, hier in der Stadt bei ihm bleibt. Später kann er uns zur Fazenda nachkommen.«

      »Homer muß zu Hause bleiben? Ohne Homer ist es gar nicht lustig auf der Fazenda. Dann hat Juan ja kein Pferdchen


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