MINUS. Jon Pan

MINUS - Jon Pan


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fand anschließend keine Ruhe. Im Bett liegend, wälzte sie sich hin und her, stand wieder auf, setzte sich in die Küche, trank eine Tasse Tee.

      Wie sie so ins Schlafzimmer zurück ging und ihr Blick kurz ins verdunkelte Wohnzimmer fiel, atmete sie den Rest abgestandenen Zigarettenrauchs ein und konnte gar nicht glauben, dass sich ein Mann wie Hardmeier dort drinnen aufgehalten hatte!

      Als Violette am nächsten Morgen bei der Weinhandlung ankam, sah sie, dass das Tor zum Hinterhof offen stand. Vielleicht war Hardmeier schon da gewesen, früher als sonst? Oder Mangold, der bereits im Büro saß, hatte das Tor geöffnet. Aber wieso hätte er das tun sollen? Der Lieferwagen stand nicht hinten bei der Rampe.

      Nur wenig später klopfte Violette gegen die Tür des Buchhalters. »Ja, bitte«, hörte sie seine matte Stimme und trat ein. Sie hatte eine Rechnung in der Hand, eine kleine Unklarheit betreffend der Zahlungsmodalität, eigentlich unnötig, deswegen den Buchhalter zu fragen. Und das war auch nicht der Grund, warum sie den Mann aufsuchte. Die Sache mit der Rechnung war schnell geklärt. Schon bei der Tür angekommen, blieb Violette stehen und fragte: »Herr Mangold, haben Sie zufällig einen Schlüssel für das Tor zum Hinterhof?«

      Er hob den Kopf, schaute sie an: »Einen Schlüssel für den Hinterhof«, wiederholte er. »Nein. Das Schloss funktioniert sowieso schon lange nicht mehr.«

      »Dann haben Sie also das Tor gestern nicht geschlossen?«, fragte Violette weiter.

      »Nein«, antwortete Mangold, und sein Gesicht verriet, dass ihn diese Frage erstaunte. »Warum sollte ich das Tor schließen? Damit habe ich nichts zu tun. Es steht sowieso immer offen. Aber vielleicht hat Herr Hardmeier – «

      »Das glaube ich nicht«, unterbrach sie ihn und wollte das Büro verlassen.

      »Gibt es Probleme?«, wurde sie zurück gehalten. »Ich meine, wozu interessiert es Sie, ob das Tor zu oder offen steht? Das gehört nicht zu ihren Aufgaben!«

      »Ich dachte nur, es wäre zu gewesen, gestern, als ich nach Hause ging«, antwortete sie. »Aber es spielt ja keine Rolle.« Sie sah noch, wie Mangold ihr nachschaute, vielleicht wollte er noch etwas sagen, doch da war sie schon draußen.

      Hardmeier kam kurz vor zwölf die Post holen. Er verhielt sich unerwartet zurückhaltend und spielte in keiner Weise auf seinen gestrigen Besuch an.

      Sollte sie eine Bemerkung wegen dem Tor machen? Er hatte doch gelogen, war unter einem Vorwand bei ihr in der Wohnung vorbei gekommen. Sie sagte nichts. Aber die Gedanken um den Vorfall beschäftigen bis nach der Mittagspause, genau genommen bis zu dem Zeitpunkt, als Frau Werenfels angetrabt kam.

      Fünf nach drei Uhr war es genau, als die Tür zu Violettes Büro aufging und die unverkennbar Stimme der Frau des Chefs sich in die vorher so angenehme Stille hineinzwängte. Es folgte das Zeremoniell mit dem Pelzmantel, und Violette, unterwürfige Bereitschaft heuchelnd, hätte ihr vermutlich auch noch die Schuhe geputzt, wäre es in entsprechendem Ton von ihr verlangt worden. »Wo ist Herr Mangold?«, fragte Frau Werenfels, und ihr Blick wirkte heute etwas wirr.

      »Natürlich in seinem Büro«, rutschte es Violette heraus.

      »Was heißt hier natürlich!«, reagierte Frau Werenfels gleich. »Ich habe Sie etwas gefragt und will eine anständige Antwort! Bemerkungen dieser Art können Sie sich sparen, Fräulein«! Den Namen ließ sie weg. »Also rufen Sie ihn schon! Und nicht per Telefon! Es schadet nicht, wenn man seine Beine benutzt, ein so junges Ding wie Sie – also bitte!« Die runde Pelzmütze auf dem Kopf, starrte sie Violette an, sprühende Unzufriedenheit in einem käsigen, faltigen Gesicht. Ihre Hand fuchtelte kurz, als verscheuchte sie ein lästiges Insekt.

      Violette machte sich auf den Weg, um Mangold zu holen. Warum sie die Dame nicht einfach zu ihm begleiten konnte, begriff sie nicht. Mangold schien die Anwesenheit von Frau Werenfels sofort auf die Stimmung zu schlagen. Violette glaubte sogar, dass er noch bleicher wurde.

      »Ahh, Frau Werenfels«, begrüßte er sie mit gedämpfter Stimme, kaum stand er unter der Tür, um ihr dann zuvorkommend entgegenzueilen.

      »Ich werde Sie nun zur Rede stellen, Herr Mangold!«, wurde er jedoch sofort angekeift. »Wenn es sein muss, vor allen Mitarbeitern. Das geht nämlich zu weit!«

      Violette konnte beobachten, wie der Buchhalter in sich zusammensackte, wie seine freundliche Miene, die er sich mit aller Kraft aufgesetzt hatte, zu einer ängstlichen Grimasse verfiel Er glitt in eine lächerliche Kriecherpose hinein.

      »Sie können nicht eigenmächtig über die Firma verfügen!«, fuhr ihn Frau Werenfels an. »Sie glauben wohl, durch die Abwesenheit meines Mannes selber Dinge entscheiden zu können und Änderungen vorzunehmen, zu denen Sie überhaupt nicht berechtigt sind! Oder wer hat ihnen erlaubt, das Geld für die Löhne eigenmächtig bei der Bank auszubuchen?«

      Er wollte etwas einwenden, doch Frau Werenfels herrschte ihn weiter an: »Sie haben keine Vollmacht. Das sollten Sie wissen. Die Bank hat mich soeben informiert! Unterlassen Sie das in Zukunft, sonst wird es Konsequenzen für Sie haben, das garantiere ich ihnen!«

      Violette stand erstarrt da. Noch selten hatte sie eine solche Demütigung eines Menschen erlebt. Warum setzte sich Mangold nicht zu Wehr? Aber nein, er stellte sich nicht gegen diese gemeinen Attacken, die aus den blutleeren, trockenen Lippen der Frau des Chefs gegen ihn abgefeuert wurden. Stattdessen entschuldigte er sich für den Vorfall.

      »Gut, dass Sie das einsehen, Herr Mangold.« Frau Werenfels wurde unerwartet versöhnlich. Dabei wölbte sie ihre Brust etwas vor und drückte mit beiden Händen die Pelzmütze zurecht. »Kommen Sie mit!«, befahl sie dann dem Buchhalter. »Ich will etwas im Lager nachschauen, nicht dass dort die Hälfte fehlt!«

      Mangold schritt vor. Wie Frau Werenfels unter der Tür stand, drehte sie sich um und fuhr Violette an: »Schließen Sie die Tür! Wir heizen hier nicht für die Katz!«

      Wie lange konnte das so weitergehen? Fast ein wenig wehmütig dachte Violette an die Zeit zurück, als Herr Werenfels noch die Führung der Firma hatte. Er würde wieder kommen, aber wann, das war die Frage …

       Kapitel 4

      Violette verließ kurz nach halb sechs Uhr abends die Weinhandlung. Es hatte seit Tagen nicht mehr geregnet. Trotzdem trug sie zur Sicherheit den Regenschirm bei sich, da der Himmel stark bewölkt war. Die Dunkelheit senkte sich auf die Häuserreihen herab, ließ sie grösser und mächtiger wirken. Teils waren Fenster schon beleuchtet, gelbliches Licht schien in die noch immer feuchte Luft.

      Der heutige Nachmittag mit Frau Werenfels war äußerst mühsam gewesen. Violette fühlte sich müde und verbraucht. Es lag ein schlechter Tag hinter ihr, der schlimmste bisher, wie sie fand.

      War das möglich! Mangold stand schon bei der Bushaltestelle! Er musste die Firma vor Violette verlassen haben. Das tat er sonst nie. Hatte ihn die Demütigung, mit der Frau Werenfels ihn gequält hatte, dazu veranlasst?

      Sie durfte nicht langsamer werden, ihr Schritt musste konstant bleiben. Und etwas in ihr zwang sie dazu, den Kopf zu senken. Und doch sah sie deutlich das Bild des wartenden Buchhalters vor sich: halblanger, dunkler Mantel, dunkler Hut, der schmale Mund und die tiefliegenden Augen hinter dem Glas der randlosen Brille. Violette hätte die Straßenseite wechseln können, wenn auch ganz plötzlich und dadurch auffällig. Zu spät. Sie hob den Kopf und sagte laut und deutlich: »Gute Nacht und bis morgen, Herr Mangold.«

      »Ja, bis morgen«, sagte er leise zurück, und seine Brillengläser blitzten durch das Scheinwerferlicht eines vorbei fahrenden Wagens kurz auf.

      Sie befand sich genau auf seiner Höhe. Und blieb stehen, schaute kurz die Straße hinunter. Der Bus war nirgends zu sehen.

      »Warten Sie auch auf den Bus?«, fragte Mangold überraschenderweise, wobei er ihr sogar das Gesicht zu wandte.

      »Ich nehme doch nie den Bus«, antwortete Violette. Warum ging sie nicht weiter? Wäre der Bus gekommen, so hätte es Klarheit in die Situation gebracht. Aber der kam nicht. Jetzt musste sie sich entscheiden – ob weitersprechen


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