Das Gesetz des Rudels. Dani Merati

Das Gesetz des Rudels - Dani Merati


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       „Wo ist mein Sohn? Ich will ihn zurück. Er verdient es, bei seiner wahren Familie zu sein.“

       „Joshua mag nicht von meinem Blut sein, aber wir sind seine Familie“, grollte mein Vater, als er das Gewehr sinken ließ und langsam auf den anderen Mann zuging. „Jeremy, du von allen Leuten müsstest es am Besten wissen, dass es nicht das Blut ist, das eine Familie ausmacht, Liebe tut das.“

       Jeremy stieß ein tiefes Knurren aus, bevor er seine Schultern einzog und sich auf den Boden fallen ließ, um seine Wandlung einzuleiten. Mein Vater reagierte rasch, schlang eine Hand um Jeremys Genick, ehe der sie vollziehen konnte. Er schüttelte ihn heftig.

       „Sieh mich an!“, brüllte mein Vater, die volle Wucht seiner Alphakräfte vibrierte in der ganzen Luft. Jeremy hatte keine Wahl, als sich dieser Macht zu beugen und starrte hoch in die Augen seines Rudelführers.

       „Ist es das, was du wirklich willst, Jeremy? Dass Joshua in derselben Familie aufgezogen wird wie du? Du erinnerst dich doch an den Missbrauch, den eiskalten Hass und die Bitterkeit, die du gerade so überlebt hast. Du willst, dass dein Sohn all dem auch ausgesetzt wird? Denk nach, Jeremy! Kämpfe gegen den Wahn und denke nach!“

       Nach mehreren Knurrlauten, die zum Ende hin immer leiser wurden und einigem kräftigen Schütteln seitens meines Vaters schienen die Rage und der Wahnsinn von Jeremy abzufallen. Er sackte in dessen Griff zusammen.

       „Was habe ich getan? Du lieber Gott, was habe ich getan?“, stöhnte er.

       Sein Kopf hob sich, Schmerz und Verzweiflung erfüllten die Umgebung. „Michael, hilf mir bitte.“

       Mein Vater schien zu wissen, was Jeremy wollte, was er brauchte, denn er nickte nur. Seine riesigen Hände umfassten Jeremys Gesicht, er beugte sich zu ihm herunter und wisperte etwas in sein Ohr. Einen Herzschlag später ertönte ein lautes Knacken und Jeremys regungsloser Leib sackte zu Boden.

       Mein Vater hob seinen Kopf, schnüffelte und stieß plötzlich ein entsetzliches Heulen aus. Er rannte zu unserem Haus, die anderen Wölfe ihm dicht auf den Fersen. Ich beobachte, wie er drinnen verschwand, nicht in der Lage ihm nachzurufen oder hinterherzulaufen. Als ich es schaffte, meine Füße zu bewegen, erschütterte eine gewaltige Explosion mein Zuhause. Ich wurde von den Beinen gerissen, Hitze überrollte mich und die Welt um mich herum wurde schwarz.

      Diesen Morgen erwachte ich von meinem üblichen Albtraum deutlich ängstlicher und besorgter als sonst. Sie plagten mich seit meinem sechsten Lebensjahr. Über die Jahre hatten sie sich verändert, bauten sich von alleine aus, wurden mit jedem Mal grauenvoller. Für die meisten Menschen wäre der Verlust seiner Familie durch eine verheerende Explosion bereits schlimm genug, aber mein Unterbewusstsein hatte endlos Nahrung. So kam es, dass immer mehr grauenhafte Bilder dazukamen, Ereignisse sich vermischten und ein Grauen erzeugten, dem ich mich keine Nacht entziehen konnte.

      Das letzte Jahrzehnt hatte mir etwas Frieden zurückgegeben. Seit ich beschlossen hatte, als Wolf zu leben, kamen die Albträume nicht so häufig und meine Existenz erschien so einfacher. Doch ich wandelte mich mindestens einmal am Tag zurück, um mich zu erinnern, dass es mich, Joshua Campbell, noch gab.

      Ich raste aus meinem Bau und versuchte die Beklemmung abzuschütteln, in die mich die Erinnerungen gerissen hatten. Ich war sehr glücklich gewesen, diese Höhle vor acht Jahren zu finden und hatte bisher nie Probleme hier gehabt.Die ersten Jahre nach der Trennung von Tyler wanderte ich hauptsächlich im Nordosten der Staaten umher, aber es gab dort zu viele Rudel mit weitläufigen Territorien. Da ich im zarten Welpenalter allerdings schon die Schnauze voll vom Rudelleben hatte, suchte ich andere Wege. Anstatt deshalb in eins der Reviere einzudringen, war ich weiter gerannt, bis ich über meine Höhle praktisch gestolpert war.

      Die meisten Wölfe mussten Teil eines Rudels sein, brauchten das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Rangordnung. Ab und zu spürte ich ebenfalls die Sehnsucht danach, doch meine menschliche Seite erinnerte sich dann immer daran, wie mein Leben im Harrison-Rudel ausgesehen hatte und ich beherrschte meine Wolfsinstinkte, so gut es ging.

      Während ich heute rannte, erreichte mich eine seltsame, unbekannte Witterung. Ich stoppte und schnüffelte eine Weile, aber vermochte sie nicht einzuordnen. Ich jagte wieder los, konnte jedoch an nichts anderes als an diesen Geruch denken, er zog mich an und ängstigte mich gleichzeitig. Eine Hälfte war besessen davon, die Herkunft der Duftmarke herauszufinden und die andere schrie mich an, wegzurennen und nie mehr zurückzukommen.

      Anstatt auf eine der beiden Möglichkeiten zu hören, rannte ich einfach weiter, bis mir der Duft eines leckeren Kaninchens in die Nase stieg. Die Jagd war eröffnet. Das verdammte Ding war rasend schnell, doch irgendwann ging ihm die Puste aus. Stolz auf mich tauchte ich kurz im nahegelegenen Fluss ab und döste danach etwas im Schatten.

      Nach mehreren Stunden trank ich erneut das klare Wasser und begab mich dann auf den Heimweg. Die Beute hatte meinen Hunger nur ein wenig gestillt, trotzdem rollte eine merkwürdige Energie über mich hinweg.

      Ich achtete nicht sonderlich auf meine Umgebung, doch kurz vor meiner Höhle, erreichte wieder die köstliche Duftmarke meine Nase. Ich erstarrte, unsicher, wie ich mich verhalten sollte.

      „Joshua.“ Eine tiefe Stimme, viel zu nah, rief nach mir.

      Sobald ich meinen Namen hörte, schüttelte ich den ersten Schock ab und mein Fluchtinstinkt sprang an. Ich raste so schnell los, wie ich konnte. Wieder schlug ich die Richtung zum Fluss ein, folgte ihm eine Weile. So panisch ich auch war, etwas in mir weigerte sich jedoch, meinen Bau aufzugeben. Das war mein Zuhause, verdammt!

      So blieb ich in der Nähe, kroch durch die Büsche und versuchte zu erkennen, ob der Mann mir gefolgt war. Irgendein Instinkt in mir zog mich zu meiner Höhle, zu dem Eindringling, der in mein Revier eingebrochen war. Ich verstand nicht, wieso. Der Drang den Fremden anzugreifen, ihn zu bestrafen, weil er in mein Territorium eingedrungen war, für meine Angst und für das Durcheinanderbringen meiner täglichen Routine, wurde immer stärker. Jahre waren verstrichen, bis ich mich einigermaßen sicher fühlte, bevor die Albträume so zurückgingen, dass ich wenigstens ein paar Stunden am Stück schlafen konnte. Der Unbekannte hatte diesen Frieden zerstört, den ich für mich gefunden hatte. Der rasende Zorn, der dabei in mir aufstieg, überrollte mich.

      Zuerst war Flucht meine erste Reaktion gewesen, doch als ich jetzt zurück zur Höhle jagte, setzten andere Instinkte ein. Der Trieb zu kämpfen, mein Revier zu verteidigen. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich anderen untergeordnet, meinen Bauch gezeigt. Ich hatte keinen Wirbel verursachen wollen, versucht, unbemerkt zu bleiben.

      Da ich nicht sehr groß war, und auch nicht besonders schwer, war mein Wolf leider kleiner als die meisten. Nach unzähligen Prügeln hatte ich endlich gelernt, dass ich in einer physischen Auseinandersetzung keine Überlebenschance besaß, also vermied ich alle weiteren Konfrontationen. Aber jetzt kam die jahrelang unterdrückte Wut in einer riesigen Welle zurück und drängte mich dazu, um mein Zuhause zu kämpfen.

      Doch als ich mich der Höhle näherte und der Duft des Mannes stärker wurde, löste sich meine Wut langsam auf. Aus irgendeinem Grund roch der Fremde wie Heimat für mich. Ich kam noch näher heran und der Duft von geschnittenem Gras und Blumen warf mich zurück in meine frühe Kindheit. Zurück in die einzige Zeit, in der ich Glück gekannt hatte. Ich stolperte und wäre gefallen, aber riesige Arme schlangen sich um mich und ich wurde an die breiteste Brust gedrückt, die ich je gesehen hatte.

      Panik durchfuhr mich, als ich gegen die physische Fessel ankämpfte. Die glücklichen Erinnerungen meiner Kindheit verwandelten sich in die Momente, wo ich gegen meinen Willen festgehalten wurde und das gab mir den Extrakick an Adrenalin, den ich brauchte, um zu entkommen.

      Ein scharfer Biss in den Oberarmmuskel des fremden Mannes ließ diesen keuchen und er lockerte seinen Griff ausreichend, dass ich


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