Die Hexe zum Abschied. Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach


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haben. Selbstverständlich setzt sie beim Gehen die Füße mit den gediegenen, braunen Pumps voreinander und lässt einen fein abgestimmten Hüftschwung folgen.

      Wetten, die Frau trägt bestimmt gern Kleider, einfach weil sie mag.

      Corinna in einem Kleid? Nur, wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Mona? Ebenso undenkbar. Beide sind attraktive Frauen, in meinen Augen jedenfalls. Aber ihre Alltagserscheinungen sind geschlechtsneutral wie die der zahllosen mehr oder weniger schlanken, durch Männer hindurchschauenden Business-Frauen in den Einganghallen der Geschäftshochhäuser oder in den Gängen der Fitness-Studios. Frau Conrad dagegen gewährt – so beiläufig wie wissend – einen Blick in Richtung ihres nicht besonders üppigen Busens. Ich zögere nicht, hinzuschauen; im Rahmen dessen, was die guten Sitten und mein Wunsch nach einen einvernehmlichen Umgang mit ihr gestatten. Den Anblick empfinde ich weder gewagt noch aufreizend. Sondern hübsch und zärtlich.

      Sie mustert mich ebenfalls unverhohlen, kommt aber gleich zur Sache.

      „Wenn ich Eins und Eins zusammenzähle, Ihre private Verbindung und Ihr überraschendes Auftauchen in der Klinik, wundert es Sie dann, wenn ich mich frage, wie Frau Sandner das Wort ,Dienstgeheimnis’ buchstabiert?!“

      Wieder diese klare, offene Stimme mit der leichten, genauen und beinahe heiter klingenden Aussprache. Aus einem ausgewogen rundem Gesicht mit gepflegten, gleichmäßigen Zähnen und einem arglosen Augenaufschlag. Gefährlich, in dem Beruf eine derart einnehmende Erscheinung.

      „Es ist schon vorgekommen, Frau Conrad, dass Menschen sich aus den falschen Gründen wundern.“

      Ob ich ein Stückchen von ihrer netten Stimme abhaben kann? Oder dem Blick; freundliche Herausforderung, beständig und kostenlos?

      „Sagen Sie mir ausnahmsweise die richtigen Gründe!“

      Zum Beispiel, woher ich den Namen Neskovaja und den Aufenthaltsort der Dame kenne und was ich bei ihr wollte. Für einen vertrauensvollen Umgang wäre das gewiss sachdienlich, meint die Conrad.

      Fein, die Dame denkt und redet gern hintersinnig.

      Das kurze Stück vom Königsteiner Kreisel bis hierher hat gereicht, um meine Lüge einzuüben.

      „Corinna hat den Namen der Dame am Samstag beim Abendessen beiläufig erwähnt. Zufällig kenne ich die Frau von früher.“

      Frau Conrad zieht die Augenbrauen zusammen, nimmt unschlüssig den Kopf ein wenig zurück.

      „Sagen Sie bloß, Sie waren einer ihrer Kunden?“

      Unwillkürliches Kribbeln in der Mitte meiner Stirn. Vorsicht, Berkamp. Kriminalistenwerkzeug, klassische Fragefalle.

      „Klingt irgendwie zweideutig, wie Sie das Wort Kunden benutzen. Von was für Kunden sprechen Sie, Frau Conrad?“

      „Wie, das wissen Sie nicht? Waren Sie bei ihr als Sado-Maso-Domina?“

      „Sehe ich wie eine Domina aus?“

      Sie kichert ansteckend vergnügt.

      „Ha, ha, Ulk-Nudel. Als ihr Kunde natürlich!“

      „Ach so?! Wie kommen Sie darauf, dass Frau Neskovaja ...“

      „Vergessen Sie es. Wir sind uns dessen ohnehin nicht mehr sicher. Also, woher kennen Sie die Frau?“

      „Aus der Orthopädie im Nordwest-Krankenhaus. Dort habe ich mal mit ihr gesprochen. Letzten Sommer, als ich Oberkommissar Schuster besucht habe, nach meinem Schuss auf ihn.“

      „Ehrlich?“

      Wieder der beinahe anhimmelnde Blick, jetzt ein wenig ungläubig.

      „Sie haben Schuster besucht? Das ist ja ein Ding. Sie trauen sich scheinbar etwas.“

      „Warum denn nicht? Ich wollte mich entschuldigen und ihm gute Besserung wünschen. Egal, die Frau war dort Assistenzärztin; eine nette Person. Als Corinna, also Frau Sandner, das jetzt erzählte, das tut mir einfach leid für die Frau.“

      „Worauf Sie ins Auto steigen und zielsicher in die schicke Privatklinik fahren?“

      Ein weiterer freundlich tadelnder Blick.

      Die Frau als ... Kollegin? Freundin? Ganz bestimmt. Wieso? Corinna, Mona und ich könnten sie zu uns einladen. Ohne Hintergedanken.

      „Hallo, Herr Berkamp! Woher wissen Sie ...?“

      „Ach so. Entschuldigung. Ich habe zunächst im Nordwest-Krankenhaus angerufen, weil ich annahm, sie wird dort behandelt. Statt dessen wurde mir die Klinik in Königstein genannt. Zufrieden?“

      Wie gesagt, man muss sich zu helfen wissen.

      Frau Conrad überlegt einen Wimperschlag lang.

      „Gut, gut, ich gebe mir Mühe, Ihnen zu glauben. Dann fahren Sie eben noch mal hin; ... beim nächsten Versuch werde ich Sie nicht stören.“

      „Oh, wollen Sie dabei sein?“

      „Das fehlte noch.“

      „Ich bin untröstlich. Dafür sind Sie mir eine kleine Wiedergutmachung schuldig. Verraten Sie mir, welche Verletzungen Frau Neskovaja zugefügt wurden?“

      Frau Conrad tritt einen großen Schritt näher, steht wieder mit dem Anklang von Weihrauchduft dicht vor mir, winkt erneut mit dem Zeigefinger und verkündet heiter tadelnd:

      „Das hatten wir doch bereits, was Dienstgeheimnisse sind. Also führen Sie mich nicht in Versuchung.“

      Den Gefallen tue ich ihr gern.

      Ich lasse meinen Blick hinabgleiten zu der Stelle, wo der V-Ausschnitt ihres Pullis zärtlich wird, und lächele.

      „Das würde ich niemals tun. Was immer Sie mir anvertraut haben, bleibt in der Familie. Mit einer Hauptkommissarin als meiner Frau und ihrer Chefin – wir zwei kämen in Teufels Küche, nicht wahr?!“

      Sie tritt zurück, sieht mich entrüstet an.

      „Ne, ne, ne, Herr Berkamp. Ich habe Ihnen überhaupt nichts gesagt.“

      „Das sagen Sie! Was ist, wenn ich das anders erinnere. Außerdem – was nicht ist, kann noch werden. Angenommen, rein theoretisch, ich weiß etwas, was für Sie ein Dienstgeheimnis darstellt. Ehrlich, ich könnte nicht beschwören, ob ich das von Ihnen oder von Frau Sandner erfahren habe, selbstverständlich völlig unbeabsichtigt.“

      „Das ist ganz schön hinterhältig,“ stellt sie heiter fest.

      Mir ist, als will sie weitersprechen. Doch sie zieht nur die Schultern zusammen und schaut durch mich hindurch.

      „Ist Ihnen kühl, Frau Conrad? Es ist nicht gerade warm hier draußen.“

      Sie blickt kurz auf ihre Armbanduhr.

      „Stimmt, es könnte wärmer sein. Also gut, Kaffee. Aber bitte nicht hier.“

      Sie deutet seitwärts auf den langgestreckten Flachbau des Restaurants „Opel-Zoo-Lodge“.

      „Das ist bestimmt zu voll, da drin.“

      „Außerdem kein angemessener Rahmen für Sie, Gnädigste.“

      Wenn sie schon meine dreisten Sprüche ertragen muss, dann in einem freundlichen Ambiente. Wir fahren ohnehin durch Kronberg.

      13

      Vergessen wir die Kriminalbeamtin. Eine Dame, die so nett spricht und freundlich guckt, darf ich ruhig etwas verwöhnen.

      Wenige Minuten später folgen unsere beiden Wagen einer geschwungenen Teerstraße hinter dem großen, schmiedeeisernen Tor an der Zufahrt. Die Wiesen im weitläufigen Schlosspark und zahlreiche, erkennbar alte Nadelbäume sind zwar satt grün. Aber die hohen Laubbäume wirken immer noch winterlich kahl, auch wenn die ersten Blätter hervorbrechen. Rechts auf dem sanft ansteigenden Grün sind


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