"Take Care!". Hermine Stampa-Rabe
Kopf über mich und wie sie sagten, „solche verrückte Tour“.
Meine 86jährige Mutter konnte gar nicht verstehen, wie ich meinen lieben Mann überhaupt so lange allein lassen konnte und mochte. Ganz abgesehen davon, daß ich sie sonst regelmäßig besuchte und alles für sie tat, um sie glücklich und so gesund wie möglich zu erhalten. In der kommenden Zeit würde das nämlich wegfallen. Da mußten dann meine Geschwister für mich einspringen.
Meine Tochter Gudrun und meine Schwester Ursel konnten mich verstehen. Sie glaubten an mich und hofften inständig, daß ich alles so schaffen werde, wie ich es mir vorgenommen hatte.
1998 war es endlich soweit. Bei meinem amerikanischen Radsportverein "ADVENTURE CYCLING" meldete ich mich für die erste Gruppe TRANS AMERICA 1998 an. Am 4. Mai 1998 sollte ich abends zum Treffpunkt in Williamsburg sein, das östlich von Richmond in Virginia liegt. Mein Flugzeug brachte mich sicher über "den großen Teich". Und dann begann mein lang ersehntes und heiß begehrtes Fahrradabenteuer. Ich konnte es kaum erwarten, starten zu dürfen.
Hermine Stampa-Rabe
1. KAPITEL - VIRGINIA
Der Sprung über den Atlantik
Hamburg - Richmond
Ganz aufgeregt, daß es nun endlich losging, wickelte ich Ende April 1998 am Vorabend des Abfluges auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel alle Formalitäten ab und gab schon mein verpacktes, treues Fahrrad und den Seesack mit allen meinen Utensilien auf.
„Kläuschen, meine Füße tun mir so weh, als würde ich in meinen neuen Fahrradschuhen an den Außenseiten wie auf einer stumpfen Messerschneide laufen. Wenn ich dieses Problem schon heute habe, muß ich sofort wieder nach Kiel zurückfahren und sie gegen meine alten Ledertumschuhe austauschen. Dazu passend werde ich auch gleich meine alten Mountainbike-Pedalen mitbringen.“
Am folgenden Morgen wieder in Hamburg-Fuhlsbüttel angekommen, nahm ich mit einem sehr schlechten Gewissen von meinem Mann, der in Deutschland bleiben mußte, Abschied. Es war eine schwere Trennung. Aber mein Wunsch, quer durch die Vereinigten Staaten zu radeln, war größer als hierzubleiben.
„Sei vorsichtig und paß gut auf dich auf. Auf jedem vom Verein angegebenen Postamt wird ein Liebesbrief auf Dich warten, mein Liebstes. Und melde Dich bitte, wenn Du angekommen bist.“
Eine letzte liebevolle Umarmung, ein Winken, dann mußte ich durch die Sperre, denn mein Flugzeug wartete schon auf mich. Mit meinem Fernweh im Gepäck wagte ich den langen Flug über den „großen Teich“, den Atlantik, nach Chicago, U.S.A.
Anschließend nahm ich mein Gepäck in Empfang und ließ ich mich von der dem Chicagoer Flughafen eigenen Bahn zum angegebenen Flugplatz-Terminal bringen. Mein Versuch, von einer Telefonbox aus nach Kiel zu telefonieren, schlug dauernd fehl. Den Operator am anderen Ende der Leitung konnte ich nicht verstehen, weil er viel zu schnell Englisch sprach. So gab ich ganz geknickt auf. Nach einer langen Wartezeig konnte ich in eine kleinere Maschine umsteigen, die mich nach Richmond in Virginia, meinem Ziel-Flughafen, bringen sollte.
Während des Fluges mußte ich mindestens eine Stunde geschlafen haben. Als ich aus dem Fenster schaute, umgab mich Nacht. Hin und wieder sah ich tief unter mir auf der Erde viele kleine Lichter leuchten, die in einem Dorf oder einer Stadt brannten.
Mit der Uhrzeit an meinem Handgelenk konnte ich nichts anfangen; denn die Zeit, die im Flugzeug angegeben wurde, differierte um eine ganze Stunde. Der nette Herr an meiner rechten Seite beobachtete mein Erstaunen und sagte:
„Wir haben eine Zeitverschiebung durchflogen. Sie reisen in Fahrradgarderobe. Haben Sie auch Ihr Fahrrad mit im Gepäck?“
„Ja, am 5. Mai möchte ich in Yorktown, Virginia, mit einer Fahrradgruppe die Vereinigten Staaten per Fahrrad mit Packtaschen und Zelt überqueren.“
„Das ist aber eine sehr lange, anstrengende und abwechslungsreiche Tour, glaube ich. Ihrem Akzent entnehme ich, daß Sie nicht aus Amerika kommen.“
„Nein, ich bin Deutsche und wohne in Kiel an der Ostsee hoch im Norden Deutschlands zwischen der Dänischen Grenze und der bekannten Hafenstadt Hamburg.“
„Vor einigen Jahren verlebte ich mit meinem Sohn einen Urlaub in Heidelberg. Dort hatte es mir sehr gefallen. Die Deutschen waren alle sehr nett zu mir.“
Er lächelte in Erinnerung daran in sich hinein.
Bevor wir in Richmond landeten, bat ich ihn:
„Könnten Sie bitte für mich von der Telefonbox aus bei meinem schon von Deutschland aus gebuchten Hotel anrufen, damit ich abgeholt werde? Hier in Amerika komme ich mit dem Telefon nicht zurecht. Das muß ich erst noch lernen.“
„Aber gem.“
In Richmond angekommen, rief er für mich per Telefon beim Hotel an.
„Das Taxi kommt bald. Und passen Sie bitte sehr gut auf sich auf. Take care!“
Dann verabschiedete er sich lächelnd und wünschte mir viel Freude bei meiner Amerika-Durchquerung.
Nachdem ich meinen Seesack und meinen Fahrradkarton in Empfang genommen hatte - das Hoteltaxi wartete schon - stellte ich fest, daß die linke Handbremse einen gehörigen Schlag bekommen hatte. Der Bremsgriff war verdreht. Fassungslos schaute ich darauf.
Vor dem Flughafen umschmeichelte mich warme, laue Luft. Welch ein Unterschied zu dem feuchten und kühlen Wetter in Schleswig-Holstein, dem ich gerade entronnen war.
Der junge Taxifahrer lud alles ein und brachte zwei andere Fluggäste und mich zum Hotel, wo ich ganz interessiert erwartet wurde.
Hinter dem Empfangstisch stand ein junger Mann, bei dem ich mich vorstellte.
„Welches Zimmer haben Sie für mich vorgesehen?“
„Sie sind die Frau, die unsere Vereinigten Staaten mit dem Fahrrad mit Packtaschen und Zelt durchqueren möchten?“
„Ja, das habe ich fest vor.“
„Diese wunderschöne Tour habe ich vor zwei Jahren auch schon gefahren. Unterwegs werden sie sehr viele interessante und nette Menschen kennenlemen, so wie ich.. Und mit dem kleinen Fahrrad wollen Sie das große Abenteuer bestehen?“
„Ja, da ich nur 1,56 m groß bin, brauche ich ein so kleines Rad.“
In der Zwischenzeit hatten sich der Hotel-Chef und einige Angestellte um mich versammelt und staunten über mich.
Der Chef fragte mich mit ganz großem Respekt in seinen Augen und der Sprache:
„Wie sind Sie eigentlich auf diese Idee gekommen?“
„1990 durch die Ankündigung in einem amerikanischen Fahrrad-Magazin. Und weil ich für drei Monate auf meiner Arbeitsstelle keinen Urlaub bekommen konnte, nahm ich mir vor, 1998 dieses große Abenteuer zu wagen, wenn ich in Rente gekommen bin. Und nun bin ich hier und kann es gar nicht erwarten, starten zu dürfen. Darf ich bitte mein Fahrrad mit auf meine Zimmer nehmen, so, wie ich es per Telefon von Deutschland aus schon gefragt hatte?“
„Aber selbstverständlich.“
Voll der neuen Eindrücke hatte ich das unbedingte Bedürfnis, mit Kläuschen per deutscher „freecall-Karte“ zu telefonieren. Die Sehnsucht nach ihm zehrte in mir. Das Telefonieren funktionierte aber damit nur nach Deutschland und nicht innerhalb der Vereinigten Staaten. Die Uhr zeigte hier kurz vor 24.00 Uhr. Niemand nahm zu Hause ab.
„Ach ja,“ dachte ich bei mir, „durch die Zeitverschiebung ist es in Kiel augenblicklich sechs Stunden früher, also mittags 12.00 Uhr. Er befindet sich auf der Arbeitsstelle.“
So sprach ich auf das Band. Anschließend