Wächter des Paradieses - Teil 3. Matthias Hahn
zurückge’en.“
Er legte einen Arm um Tabea und führte sie an den Lagerplatz zurück. Dort setzte er sich hinter sie und begann, ihren Nacken zu massieren.
„Du bist ein wenisch verspannt, ma chérie. Tut das gut?“
„Ja. Nicht aufhören.“
Richard fühlte einen Stich im Herzen. Er hörte, wie Tabea leise Laute von sich gab, die zeigten, wie sehr sie die Massage genoss. Ihm gefiel es nicht, wie Victor sich an sie heranmachte. Wie gerne würde er selbst an dessen Stelle sitzen und ihren Nacken kneten … Nur ruhig, ermahnte er sich. Tabea war eine gute Freundin, er hatte sie gern, aber er liebte eine andere, oder? Er blickte zu Theo, der mit träumenden Augen ins Feuer starrte. Dachte sein Freund ebenfalls an die Schöne? An den Traum, den sie beide geträumt hatten? Richard spürte, dass ihm ihr Bild heute nicht vor seinem inneren Auge erscheinen wollte. Er sah nur Tabea, und wie der Franzose sie anmachte.
„Wir alle geraten allzuleischt in Furscht an einem so un’eimlischen Ort wie diesem“, säuselte Victor ihr zu. „Doch es gibt ein unfehlbares ’eilmittel gegen die Angst. Eine Therapie, die man nur zu zweit durchführen kann, mein Schatz.“ Sanft küsste er Tabeas Nacken, während seine Hände sich ihre Wirbelsäule entlang hinunterarbeiteten, zu tieferen Regionen, was Tabea mit einem wohligen Seufzen beantwortete.
„Soll isch weitermachen, chérie?“
Nein, dachte Richard.
„Ja“, hauchte Tabea.
„Dann lass uns in mein Zelt gehen. Da kannst du disch bequem ausstrecken.“
„Das wäre schön.“ Tabea machte Anstalten, sich zu erheben. Victor reichte ihr galant die Hand.
„Was ist eigentlich mit Sophia, Victor?“ Richards Stimme klang schneidend.
„Sophia?“ Victor versuchte, so unschuldig wie möglich zu blicken.
„Deine Freundin. Seid ihr denn etwa nicht mehr zusammen?“
Victor ließ von Tabea ab, die sich verärgert zu Richard drehte.
„Isch ’abe dir doch erklärt, dass es nur eine Bezie’ung auf Zeit war“, erläuterte Victor.
„Und Nathalie? Und Amélie? Deine Freundinnen in Frankreich? Wie geht es ihnen denn so?“
„Jetzt reischt es aber.“ Victor ging auf Richard zu. „Was soll das?“
Plötzlich ernüchtert, stand Richard auf. Genau, was tat er da eigentlich? War er verrückt geworden? Tabea konnte doch schließlich machen, was sie wollte. Zerknirscht bemerkte er ihren wütenden Gesichtsausdruck und schaute zu Boden. Victor legte ihm einen Arm auf die Schulter. „Komm mit, mein Freund!“, verlangte er. „Wir zwei müssen uns einmal unter vier Augen unter’alten.“
Richard nickte. Zusammen entfernten sie sich vom Feuer.
„Und was soll jetzt das?“, rief ihnen Tabea hinterher.
Theo, der die ganze Szene beobachtet hatte, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, drehte ihr den Kopf zu. „Männer!“, seufzte er, Tabeas Tonfall perfekt imitierend.
„Warum ’ast du mir nischts davon gesagt?“, forschte Victor leise, als sie sich allein fühlten.
„Was denn?“
„Dass du in sie verliebt bist.“
„Wie bitte?“ Richard war wirklich perplex.
„Dann ’ätte isch selbstverständlisch die ’ände von ihr gelassen.“
„Ich bin nicht in sie verliebt.“
„Nischt? Und was sollte dann diese Szene eben?“
„Ich mag sie. Ja. Aber ich bin nicht in sie verliebt. Ich kann es nur nicht ausstehen, wie du dich an sie heranmachst.“
„Du ’ast es noch nischt einmal dir selbst eingestanden? Ihr Deutschen macht es eusch wirklisch schwer.“
„Ich liebe eine andere.“
„Ja?“ Victor klang nicht sehr überzeugt.
„Ja.“ Richard wandte sich ab. Was hatte ihn nur geritten, Victor von seinen innersten Geheimnissen zu erzählen? Aber vielleicht musste er einfach mit jemandem darüber sprechen. Warum nicht mit Victor, dem Experten?
„Sie ist … ein Traum“, druckste er herum.
„Ein Traum?“
„Ich habe sie gerade zwei- oder dreimal gesehen, in der Wirklichkeit gesehen, meine ich. Ich weiß nicht, wie sie heißt, was sie macht, woher sie kommt, ich weiß gar nichts über sie. Wir haben nie ein Wort miteinander gewechselt, nur einmal einen Blick. Aber dann ist sie mir in meinen Träumen begegnet. In Edirne, als ich im Fieber lag, in dieser Hütte im Dorf. Sie war der Engel, der mir den Eingang zur Höhle gezeigt hat. Der Traum war so intensiv, als wäre alles in Wirklichkeit passiert. Wir haben uns geküsst, doch dann wurden wir gestört.“
„Und?“
„Das war’s. Im Wesentlichen.“
„Du bist krank, mein Freund. Das Fieber aus Edirne scheint noch immer in dir zu stecken. Wie kann man nur in einen Traum verliebt sein? Wo du doch die Realität nur mit den ’änden zu greifen brauchst.“
„Vielleicht hast du ja Recht. Ich sollte darüber nachdenken.“
„Nachdenken? Du denkst sowieso schon zuviel, mein Freund. Ihr Deutschen denkt alle zuviel. Das Volk der Dichter und Denker, sagt man. Und wo bleibt das Leben?“
„Du hast ja Recht. Lass mir bloß noch etwas Zeit.“
„Zeit? Irgendwann ist das Leben vorbei, wenn du andauernd nur am Nachdenken bist. ’ör auf das, was du fühlst.“
Richard schwieg. Das war so leicht gesagt. Aber wenn er auf seine Gefühle hörte, müsste er dann nicht seinem Traum folgen? Dann dürfte er sich doch gar nichts aus Tabea machen. Und warum hatte er sich dann eben so aufgeführt? Er dachte schon wieder nach, fiel ihm auf. Grübelte er wirklich zu viel?
„Und, was fühlst du?“, fragte Victor.
„Nur, dass ich müde bin. Lass uns zu Bett gehen.“
Victor bedachte ihn mit einem äußerst skeptischen Blick.
„Wenn du meinst“, bemerkte er.
„Was sollte denn vorhin diese Szene?“, nörgelte Tabea leise, aber heftig, als sie und Richard sich in ihre Schlafsäcke gewickelt hatten und an den schweren Atemzügen Theos erkennen konnten, dass dieser schon ins Reich der Träume hinübergeglitten war.
„Ich möchte schlafen“, knurrte Richard.
„Warum hast du dich so kindisch aufgeführt?“ Tabea ließ nicht locker.
„Ich? Ich habe mich aufgeführt? Und du? Was schmeißt du dich so an diesen Kerl ran? Vor allen Leuten?“
„Und? Was geht dich das an?“
„Nichts. Ich weiß. Aber so was macht man einfach nicht. Das ist billig.“
„Du bist blöd. Ich kann immer noch rüber gehen, in sein Zelt, wenn du nur noch am Nerven bist.“
„Dann geh doch. Ist mir doch egal.“
Tabea wand sich aus ihrem Schlafsack. „Wie du willst.“ Sie rollte den Schlafsack zusammen und ging zum Zelteingang.
„Viel Spaß auch“, flüsterte Richard zum Abschied.
„Schlaf schön“, gab sie zurück und verschwand.
Natürlich wusste Richard, dass er heute Nacht kein Auge würde zutun können. Zu tief bohrte die Wut in seinem Bauch. Wut auf Victor, auf Tabea und vor allem auf sich selbst. Warum regte ihn diese Geschichte bloß so auf? Tabeas Verhalten ging ihn wirklich nichts an. Hoffentlich waren sie wenigstens nicht