Herz, Schmerz und Gänsehaut. Dieter Adam

Herz, Schmerz und Gänsehaut - Dieter Adam


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Ein paar Gläser Wein später forderte er sie erneut auf. Wieder tanzte er auf Tuchfühlung, wieder überhäufte er sie mit zärtlichen Komplimenten und Anspielungen.

       Und Tina, die sich unterdessen wegen ihres Seelenschmerzes einen herrlichen Schwips angedudelt hatte, genoss es plötzlich, von ihm auf so eindeutige Weise umworben zu werden.

       "Was wäre, wenn ich...?", überlegte sie. "Wenigstens ein einziges Mal. Ich sehne mich doch so sehr danach. Seine Frau würde bestimmt nie etwas davon erfahren."

       "Was halten Sie davon?", mischte er sich flüsternd in ihre unschamhaften Gedanken, und als seine Lippen dabei flüchtig ihr Ohr streiften, durchzuckte es sie wie ein Stromschlag. "Wollen wir uns nicht abseilen?"

       "Aber wir können doch nicht...", widersprach sie matt. "Was würden die anderen von uns denken?"

       "Von denen können die meisten sowieso kaum noch denken", meinte er. "Außerdem ist es mir egal. Ich bin schließlich der Chef und kann tun und lassen, was ich möchte; sogar von hier verschwinden, wenn ich die Schnauze voll habe."

       "Und wenn Ihre Frau davon erfährt?"

       "Ach was", winkte er ab. "Die werden sich hüten, mich zu verpetzen. Gutbezahlte Arbeitsplätze sind rar. Ich mache mir deswegen keine Sorgen."

       "Nun", wisperte Tina, "wenn Sie sich keine Sorgen machen, sollte ich es eigentlich erst recht nicht tun. Verschwinden wir also."

       Sie nahmen sich ein Taxi, ließen sich gemeinsam auf dem Rücksitz nieder und nannten dem Fahrer ihre Heimatadresse.

       "Ganz schön weit", meinte der Fahrer. "Das wird nicht ganz billig."

       "Halten Sie mich für zahlungsunfähig?", fragte Claus unwillig.

       Der Fahrer schwieg und konzentrierte sich auf den Verkehr.

       Claus konzentrierte sich auf Tina. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie zärtlich an sich.

       "Schön", flüsterte er. "Davon habe ich den ganzen Tag über geträumt."

       "Wovon?"

       Sie hob ihr Gesicht zu ihm empor und schaute ihn mit verhangenen Augen an.

       "Davon!"

       Er nahm behutsam ihren Kopf zwischen seine Hände und küsste sie.

       Für Tina war es, als öffne sich das Tor zum Siebenten Himmel für sie, und sie erwiderte seine Küsse, die immer stürmischer und fordernder wurden, mit der gleichen Leidenschaft.

       "Bitte nicht", hauchte sie, als er an ihrer Bluse zu nesteln begann. "Der Fahrer!"

       "Ach, der!", versuchte Claus ihre Bedenken zu zerstreuen. "Der ist so etwas gewöhnt. Der sieht das schon gar nicht mehr."

       Endlich war er an das Ziel seiner Wünsche gelangt und konnte erfreut feststellen, dass er nicht auch noch einen störenden BH zur Seite räumen musste. Mit geübten Fingern begann er sie zu streicheln und liebevoll zu kneten. Leise aufstöhnend ließ ihn Tina gewähren und vergalt ihm seine Zärtlichkeiten, indem sie ihre Hand auf jene Stelle legte, hinter der sich mit einiger Gewissheit nicht sein Haustürschlüssel verbarg.

       Dies wiederum animierte ihn, noch kühner zu werden. Er ließ seine Hand nach unten gleiten und...

       "Wir sind da", verkündete der Taxifahrer. "Macht zweihundertsechsundfünfzig Mark und achtzig Pfennige."

       "Das ging aber schnell", brummte Claus, während er ihn entlöhnte und Tina sich, tiefrot wie eine Tomate, die Bluse zuknöpfte. "Sind Sie geflogen?"

       "Nein", erwiderte der Fahrer. "Aber wenn man liebt, vergisst man halt Zeit und Raum. Viel Spaß noch, die Herrschaften."

       Es war wie selbstverständlich, dass Claus das Mädchen in dessen Wohnung begleitete. Ein hübsches Einzimmerappartement mit Küche und Bad war es, in dem sie seit einem halben Jahr allein lebte.

       Und es war auch wie selbstverständlich, dass sie hier fortsetzten, was im Taxi so aufregend und wunderschön begonnen hatte. Bis zum frühen Morgen liebten sie sich und ließen erst voneinander, als die Sonne ihre ersten Strahlen ins Zimmer sandte.

       *

       "Danke!", stand auf dem Zettel, den Tina, als sie gegen Mittag erwachte, auf dem Tisch fand. "Du warst ein Erlebnis. Wir werden es bald und so oft es geht wiederholen."

       Nein, dachte Tina und schüttelte heftig den Kopf. Das musst du dir abschminken, mein lieber Claus. Was heute Nacht geschehen ist, war eine einmalige Sache und wird sich bestimmt nicht wiederholen. Ich muss von allen guten Geister verlassen worden sein, dass ich mich überhaupt darauf eingelassen habe.

       Ihr schlechtes Gewissen trieb ihr die Tränen in die Augen. Aufschluchzend warf sie sich auf das von ihren heißen Liebeskämpfen zerwühlte Bett, presste ihr glühendes Gesicht ins Kissen, das noch einen leichten Geruch nach seinem herben Rasierwasser verströmte, und weinte bitterlich.

       Im Laufe des Tages reifte ein Entschluss in ihr, der sie zwar ebenfalls schmerzte, aber an dem wohl kaum etwas zu ändern war.

       Am Montagmorgen bat sie Claus um eine Unterredung und begab sich, als dieser zustimmte, mit klopfendem Herzen in dessen Büro.

       Er saß hinter seinem Schreibtisch, erhob sich, als sie eintrat, und kam ihr mit ausgestreckter Hand entgegen. Durch nichts ließ er erkennen, ob ihm diese Begegnung irgendwie peinlich war. Freundlich, aber dennoch zurückhaltend wie immer, benahm er sich.

       "Na, Fräulein Becker, haben Sie den Betriebsausflug gut überstanden?", fragte er lächelnd. "War sehr nett, nicht wahr?"

       "Nett?" Tina glaubte nicht recht zu hören und starrte ihren Chef fassungslos an. "Na also, ich weiß nicht. Jedenfalls möchte ich fristlos kündigen."

       "Sie wollen kündigen?" Claus hob erstaunt die Augenbrauen. "Das verstehe ich nun wirklich nicht. Ist Ihnen denn jemand zu nahe getreten während des Ausflugs? Seien Sie bitte offen zu mir. Ich werde den Entsprechenden dann schon zur Rechenschaft ziehen."

       "Claus, also das geht nun wirklich etwas zu weit" rief Tina und funkelte ihren Chef empört an. "Du spielst das Unschuldslamm, obwohl du genau weißt, weshalb ich gehen möchte. Ich finde das charakterlos von dir und beschämend für mich."

       "O Gott!", stöhnte Claus. "Ich ahne Fürchterliches. Deshalb will ich Ihnen ein Geständnis ablegen."

       "Das brauchst du nicht", entgegnete Tina. "Mir ist schon klar, dass du nur deine Frau liebst und mich nur zu einem flüchtigen Abenteuer benutzt hast."

       "Eben darum geht es", erklärte Claus. "Ich habe nämlich gar nicht am Betriebsausflug teilgenommen, weil mir solche Festivitäten zuwider sind und ich außerdem etwas anderes mit meiner Familie vorhatte."

       "Das wird ja immer toller", fauchte Tina. "Willst du mir jetzt einreden, dass ich das alles nur geträumt, und ich nicht mit dir im Bett gelegen habe?"

       "Hast du auch nicht", kam eine andere Stimme von der Tür her, die sich unbemerkt geöffnet hatte. "Der Lümmel, der dich verführt hat, war ich!"

       Tina fuhr herum und begann plötzlich an ihrem Verstand zu zweifeln. An der Tür stand eine zweite Ausgabe von Claus, die sie fröhlich angrinste.

       "Gestatte, dass ich mich vorstelle", flötete der zweite Claus und kam langsam auf sie zu. "Ich heiße Harald und bin der Zwillingsbruder dieses schrecklichen Menschen da. Ich habe schon öfters für ihn an Betriebsausflügen teilnehmen müssen, weil er keine Lust hatte. So schön wie dieser war aber noch keiner. Bist du mir sehr böse?"

       "Eigentlich müsste ich's sein", schmollte Tina. "Mich so hinters Licht zu führen. Mein schlechtes Gewissen hat mich gestern fast umgebracht. Warum hast du mir bloß nicht die Wahrheit gesagt?"

       "Ich kam einfach nicht dazu", erklärte er schmunzelnd. "Wir waren schließlich laufend mit anderen Dingen beschäftigt. Und als ich dann fort musste, hast du so süß geschlafen, dass ich es nicht übers Herz brachte, dich zu wecken."

      


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