Abgelaufen. M.G. Seinfeld

Abgelaufen - M.G. Seinfeld


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brachte also auch nichts. »Vielleicht funktioniert ja das Laufgewand ohne IPOD nicht richtig?« überlegte ich. Also biss ich in den sauren Apfel und besorgte mir einen auf Leasing. Und tatsächlich, es lief sich wirklich leichter mit zugeknallten Ohren. Man lief wie auf Watte und konnte seine Schmerzen und die Umwelt dank »Run Run Away« von Slade gänzlich ignorieren.

      Nur der hupende blaue Skoda konnte damit nicht umgehen, dieser Blödmann. AC/DC waren dann so nett, mich mit »Highway to Hell« in das Krankenhaus zu begleiten und Mark Knopfler’s »Going Home«« begleitete mich nach 12 Tagen wieder nach Hause. Gott sei Dank hatte ich ja bei dem Unfall einen alkoholfreien Tag, sonst würde mir noch eine Anzeige wegen »Alkohol am Schuh« an den Hacken hängen.

      Doch ich musste wieder von vorne anfangen. Ich dehnte also die Dehnübungen ordentlich aus, kaufte mir noch einen Knieschutz, weil der erste jetzt am Unterboden des Skoda klebte und begab mich am nächsten Tag abends erneut auf den Laufparcours. Meine Laufgeschwindigkeit lag jetzt durchschnittlich knapp über dem Stehen. Gerade in dem Moment, als ich mir dachte, wenn ich jetzt noch ein bisschen langsamer werde laufe ich rückwärts, überholte mich rechts auf der Wiese ein Igel. Mein sportliches Ego war natürlich sofort auf das Tiefste gekränkt, also gab ich Vollgas.

      Nach ca. 100m war es dann soweit. Es schnalzte im Oberschenkel, ich wankte und fiel auf die Schnauze. Ich dürfte mich eindeutig überdehnt haben. Eigentlich hätte ich ja jetzt erwartet, dass mein rechter Schuh per GPS ein Signal an den Rettungsdienst sendet, aber es waren auch dort keine Batterien drinnen. Dafür war mein neues Laufgewand zerrissen. Mit der Abweisung von Asphalt war auch dessen Grenze erreicht. Ich habe mich dann entschlossen, meinen Bierbauch anderweitig loszuwerden. Ich trinke jetzt Wein.

      Sammelwut

      Manche Machenschaften der heimischen Industrie gehören eindeutig verboten. Das Sammeln von Verbraucherraten zum Beispiel und vor allem die psychologische Beeinflussung von erwachsenen Kindern wie mich.

      Es begann an einem ganz normalen Tag mit dem ganz normalen überflüssigen täglichen Einkauf. Ich stand an der Kasse, bezahlte meine Chips mit Dips, mein Fertigfutter für Fertigesser, 10 samtweiche Klopapierrollen für die reibungslose Verdauung dessen und noch einiges anderes unnützes Zeug. Ich zahlte gerade die gewohnte Unsumme, als mich die Dame an der Kasse fragte: »Sammeln Sie?«.

      »Was?«, fragte ich. »Rechnungen? Selbstmordgedanken? Haben Sie auch welche?«

      »Heute nicht«, antwortete die Kassiererin. »Ich spreche von unseren Fußballsammelkarten für die WM. Pro 10 Euro Ihres Einkaufes erhalten Sie ein Päckchen Sammelkarten. Möchten Sie welche?«

       »Nein Danke«, entgegnete ich, »ich bin erwachsen.«

       »Sind Sie sicher?«, fragte die freche Person.

       »Ganz sicher«, bestätigte ich meine 53 jugendlichen Jahre und verließ den Einkaufstempel.

      Allerdings, auf dem Nachhauseweg musste ich unweigerlich daran denken, wie ich im Alter von 12 Jahren diese Karten noch mit Begeisterung sammelte. Vor meinem geistigen Auge zogen die Fußballstars der 70er vorüber. Beckenbauer, Cryuff, Müller, und auch mein Vater, wie er meine Zimmertüre neu geschliffen und lackiert hat, nachdem er meine doppelten Bilder mühsam abkratzen musste und bei dieser Tätigkeit fast mit abkratzte.

      Und ich erinnerte mich daran, wie ich meinem Bruder sein Taschengeld klaute, um meine Sammlung zu vervollständigen, oder die Karten gleich unbezahlt einsteckte, weil mein Bruder pleite war. Oder an mein 1jähriges Betretungsverbot des Ladens, weil sie mich beim Klauen erwischt hatten. Hach, das waren noch Zeiten.

      Da ich am nächsten Tag wieder keine Fertigchips mehr hatte, weil die Fußball-WM schon voll am laufen und das WC-Papier für’n Arsch war, musste ich wohl oder übel noch mal in den Laden, um Nachschub zu besorgen. Und diesmal nahm ich Sammelkarten mit. Die ersten 150 waren ja noch nett zum Ansehen, aber dann brauchte ich doch dringend das Sammelalbum. Auch deswegen, weil meine Freundin mir verboten hatte, die doppelten Bilder auf die Schlafzimmertüre zu kleben. Auch der Hund war tabu.

      Und ich hatte noch ein Problem: »Messi war nicht da.« Auch Ronaldo war nirgends zu finden, ganz zu schweigen von Neymar, Piquet, Eto’o und Lampard. Und ein Sammelalbum muss komplett sein, sonst ist es nichts wert. Na ja, eigentlich ist es auch komplett nichts wert, aber hier geht es ums Prinzip.

      Also bestellte ich nach dem Öffnen der 350ten Packung für die wegen der Sammelkarten eingekauften verderblichen Waren einen zweiten Kühlschrank und benutzte das Schlafzimmer - das jetzt leer war, weil meine Freundin ausgezogen war - als Lagerraum für die unverderblichen Waren. Außerdem verlegte ich den Boden vom Wohnzimmer neu mit Brasiliens Mittelfeld.

      Leider war auch der Hund weg. Schade, mit ihm hätten Iniesta, Modric, van Persie und Drogba viel mehr Bewegung gehabt. Zwar rieten mir meine Freunde auf Grund meines blassen Aussehens, das Unternehmen aufzugeben, aber ich konnte ihre Ansicht nicht bestätigen, weil der Spiegel zugeklebt war. Außerdem fehlten mir noch immer fast ganz Griechenland, Teile Japans und einige Eckpfeiler Europas und Ostasiens.

      Und so überlegte ich mir, wie ich denn an die fehlenden Bildchen kommen könnte ohne meinem Prinzip »Keine zu kaufen oder zu klauen« treu bleiben könnte. Nachdem meine Freundin sowieso aus dem Familienalbum hinausgeflogen war, dachte ich mir, ich könnte ja stattdessen die Kassiererin vom Supermarkt rein kleben, die hatte wenigstens Beziehungen zur WM-Kartei. Und vielleicht konnte sie mir ja auch helfen, den Inhalt des eingelagerten Fertigfutters anhand des Strichcodes wieder zu identifizieren. Mein momentanes System reichte nur peripher zur Katalogisierung aus. Bilder von Hernandez kennzeichneten die Suppen, Özil die Nachspeisen, Schweinsteiger die Fleischgerichte und Balotelli die Nudelgerichte. Dann hatte ich noch mehrere Dosen mit Weight Watcher darauf, aber keine Ahnung, wo der spielte.

      Und so fügte ich meinem nächsten Einkauf ein Sträußchen Blumen im Sonderangebot hinzu und bezahlte mit Karte und einem Augenzwinkern. Die Karte wurde zwar abgelehnt, aber das Augenzwinkern angenommen.

      Nach Dienstschluss der netten Kassendame trafen wir uns auf einen Kaffee. Ich plauderte über dies, sie über das und beide hatten wir das Gefühl, wir könnten ein kleines Familienalbum füllen, wenn wir uns nur näher kommen würden. Und das kamen wir dann auch. Allerdings lief bei der trauten Zweisamkeit im Bett bei ihr zu Hause - weil bei mir wegen des immer akuter werdenden Platzmangels noch zu viel Chunk Food und WC-Papier lagerte - irgendetwas schief.

      Als sie mich nach dem Sex fragte, ob ich denn glücklich sei, antwortete ich wahrheitsgemäß: »Natürlich, mein Schöne. Ich hätte auch gerne ein paar Bilder von Dir, damit ich Dich immer bei mir habe.» Sofort schoss sie in ihr Wohnzimmer und kam mit ein paar ziemlich scharfen Fotos von ihr zurück.« Die Atmosphäre war also eigentlich sehr entspannt und voller Glücksgefühle. Erst als ich sie fragte, ob ich die 5 Fotos von ihr im Negligee gegen ein 10 Päckchen Sammelkarten tauschen könnte zogen dunkle Wolken auf. Und ich konnte mir einen anderen Supermarkt suchen.

      Ein schwerer Rückschlag, weil die WM nur mehr 3 Wochen dauerte und man nur in dieser Zeit die Glitzeredition bekam. Danach musste man dafür zahlen, was für mich überhaupt nicht in Frage kam, bei meiner weit blickenden Finanzplanung. Außerdem lief das Fertigfutter bald ab.

      In meiner Verzweiflung stürzte ich mich mit einem Schubkarren voller Sammelkarten in den Hof des Gemeindebaus und fragte jedes Kind dort, ob es denn nicht tauschen wolle. Der Andrang war enorm. Er endete erst, als der kleine Ibrahim von der Nebenstiege die Fotos von der Supermarktverkäuferin im Negligee herausangelte und damit zu seiner Mutter lief.

      Und auf der Polizeistation wollte keiner tauschen. Schade. Aber sie waren so nett, mich zwecks weiterer Untersuchungen in meine Wohnung zu begleiten und Lionel Messie-Alarm auszulösen. Die Kündigung durch den Hausverwalter war zwar nicht so schlimm, aber die 30 Kilo Gewichtszunahme machten mir dann doch zu schaffen. Ich lebe jetzt wieder bei meiner Mutter.

      Und falls jemand noch Sammelkarten braucht, ich tausche gerne. Auch WC-Papier und Fertigfutter.

      Ein kleiner Japaner

      Ich


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