Glaube & Ansichten – Beiträge zur zeitgenössischen deutschen Geschichte. Joachim Gerlach
linken Theorien und Praxis nicht nur aus der Logik der marxschen Ökonomie und meinen eigenen Erkenntnissen aus kapitalistischer Arbeitspraxis heraus so korrekt finde. Auch aus dem schlichten, aber geradezu axiometrischen Grunde, dass seit Menschengedenken in den Religionen, Sagen, Märchen und Legenden der Erdenvölker ein Element als ganz besonders übel, schlimm und zutiefst verachtenswert herausragt: die menschliche Gier. Genau die aber ist es, die unter der moderaten Umschreibung des „unternehmerischen Gewinnstrebens“ in den dominanten Lehren der bürgerlichen Betriebs- und Volkswirtschaft als der eherne und in die Unendlichkeit reichende Dreh- und Angelpunkt von Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung ausgemacht wird.
Welch ein gigantischer, geradezu fataler Irrglaube!
Autowahn
(August 2008)
Ein Vorfall, obgleich lächerlich in seiner Art, heute erst vor wenigen Stunde erlebt, veranlasst mich, erneut zur Feder zu greifen. Das Thema diesmal: des, wie man sagt, Deutschen liebstes Spielzeug. Auch wenn ich mutmaße, dass von diesem Bazillus längst andere Völker im weiten Erdkreis befallen sind. Es handelt sich um das Auto.
Meine Haltung zu diesem Gefährt ist zwiespältig. Ich vermute, auch dies ist, wie manch anderes Statusdenken meiner Geschlechtsgenossen, meinem gegenüber dem Zeigefinger zu kurz geradenen Ringfinger geschuldet. Denn wie ich unlängst in einem der den Zeitungsmarkt überschwemmenden bunten Blättchen las, deutet eine solche Relation auf schwächelnde Mannhaftigkeit hin. Die Erkenntnisse, wenn sie denn hinreichend genug wissenschaftlich ausbalanciert sind, erklären, dass zum Zeitpunkt der Ausbildung der Keimdrüsen im männlichen Fötus auch gleichzeitig dessen Proportionen an Händen und Füßen definiert würden. Ein langer Ringfinger zeugt demzufolge von maskuliner Robustheit, Überzeugung und Durchsetzungskraft. Von im Wortsinn potenziellen Vorteilen im Zusammensein mit dem schwächeren, aber auch attraktiveren Geschlecht ganz zu schweigen. Wie es aussieht mündet mein zu kurz geradener Ringfinger auch in den Umstand, dass ich mich im Gegensatz fast aller meiner Geschlechtsgenossen für männerspezifische Zeitvertreibe wie Fußball und Formel-I-Rennen nicht die Bohne interessiere und mir Boxkämpfe eine wahres Greuel sind. Aber genug der Abschweifungen. Ein Auto ist und bleibt für mich schlichtweg ein Gebrauchsgegenstand, der Leute, kleine und große, sowie Güter effizient zu transportieren hat. Hinreichend bequem sollte es sein, pflegeleicht und energiesparend. Verkehrssicher natürlich auch. Und vor allem preiswert in Anschaffung und Unterhalt. Mehr nicht.
Im Vorfeld unserer abenteuerlicher Erlebnisse mit vierrädrigen Kraftfahrzeugen standen die nicht weniger aufregenden mit einem zweirädrigen, um es genau zu sagen: mit einem Motorroller. Den hatte ich für wenig Geld, ich glaube es waren um die 200 Mark, und an die 20 Jahre schon alt, als Student im ersten Semester gekauft. Das war 1975 und unser Sohn schon drei Jahre alt. Für den wurden Kindersitz und Windschutz installiert. Mit dem Roller gondelten wir zu dritt in der näheren Umgebung herum bis Dagi, zu diesem Zeitpunkt im dritten Monat mit Tochter Anja schwanger, verkündete: Auf diese Abtreibungsmaschine setze ich mich nicht mehr! Das war 1976. Ich fuhr alsdann damit allein, hin und wieder auch mit Sohnematz Steffen vor mir. Zu basteln gab’s daran in Hülle und Fülle. Das war, ich wusste es zu dieser Zeit noch nicht, ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten.. Auch bin ich mit dem Roller mehrfach ziemlich übel gestürzt, da der Schwerpunkt eines Roller ganz anders liegt als der eines richtigen Motorrades. Man sitzt darauf wie der Großvater auf dem Kackstuhl, pflegte mein Bruder zu sagen.
Unser erstes Auto, angeschafft gleich nachdem ich das Studium absolviert hatte und der bislang genutzte Motorroller nicht mehr der inzwischen zahlenmäßig gewachsenen Familienstärke Rechnung trug, war ein Saporoshez 965. Von denen mit dem längeren Ringfinger auch ‚Chruschtschows letzte Rache genannt ‘. Klein und bucklig kam es daher und vor allem laut. Ich kaufte es für 2.500 DDR-Mark von einem, dem man es anmerkte, dass er es schnell loswerden wollte. Ein Jünger Jesu oder dergleichen, wie es sich nachträglich herausstellte, der schon auf gepackten Koffern saß und der Ausreise ins Gelobte Land in den kommenden Tagen oder gar Stunden ungeduldig entgegensah. Das Armaturenbrett vollständig beklebt mit Gottesermahnungen und Sinnsprüchen aus der Bibel. Doch boten mir die frommen Sprüche allesamt keinen Schutz davor, dass der ‚Sapo‘, wie wir ihn bald liebevoll nannten, schon nach der zweiten Fahrt, einer ausgesprochen kurzen zur nächsten Tankstelle, diese Fahrt abrupt unterbrach und mit defekter Kupplung liegenblieb. Dank eines mitgelieferten, sehr umfangreichen Ersatzteilfonds, denn auch der Keller des gottesfürchtigen Landflüchtigen harrte der Beräumung, gelang es mir, zunächst mit fremder Hilfe, später zunehmend eigenständig, ‚Chruschtschows Rache‘ wieder flott zumachen. Dieser Reparatur folgten in schöner Regelmäßigkeit weitere: das rechte Hinterrad löste sich nach dem Bruch der Achse, zum Glück fast im Stand, dafür aber im bitter kalten Winter, was die Instandsetzung bei Schnee, Eis und stürmischem Wind auf offener Straße zur Tortur werden ließ. Das Pleuellager eines Kolbens schlug aus, da fast schon zu Staub zerrieben, dies während eines Urlaubs im Osterzgebirge. Ein Traktor schleppte uns heim. Mit meines Bruders und dem hinterlassenen reichhaltigen Ersatzeifonds des flüchtigen Gottesgläubigen Hilfe gelang es in endlosen Reparaturstunden, den Motor und damit des Fahrzeug wieder flott zu machen. Allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler: Zur fachgerechten Reparatur fehlte uns das fachgerechte Werkzeug, der neu zusammengebaute Motor konnte nicht ausgewuchtet werden. Infolge dessen führte seine nicht behandelte Unwucht bei schnelleren Umdrehungen, in Geschwindigkeit ausgedrückt bei etwa 50 Stundenkilometer, zu ganz erheblichen, aus unrundem Lauf resultierenden Rüttelungen. Ich verschaffte dem Problem Abhilfe, indem ich ein Bleigewicht an der Randung der Kupplung befestigte, so dass die Unwucht merklich vermindert werden konnte und auch Geschwindigkeiten über 50 möglich waren. Hin und wieder riss dieses Ausgleichsgewicht durch die zunehmenden Fliehkräfte während der Fahrt ab. Da standen wir vier Insassen mit einem Ruck im Auto und mussten die Reststrecke nach Hause mit 30 und darunter liegen Stundenkilometern zurücklegen. Zuweilen auch wieder am Haken des Traktors.
Die Motorhaube riss einmal während der Fahrt aus ihrer Verankerung und stand plötzlich kerzengerade vor der Windschutzscheibe. Von den ewigen, geradezu zur Routine gewordenen Zündpunkteinstellungen und Entlüftungen der Bremsanlage will ich gar nicht reden. Ein anderthalb Jahr beschäftigte mich dieses Gefährt nahezu jedes Wochenende und meine Hände glichen wieder denen, als ich zwischenzeitlich als Reparaturschlosser Diesellokgetriebe instandsetzte: rissig, Schmutz und Öl in jede Hautfuge eingerieben, dass auch die sonst erfolgreichen Waschpaste nicht half. Dazu Brandmale von den heißen Motor- und Abgasanlageteilen. Ich verkaufte den Sapo 965 mit 1000 Mark Verlust, aber durchaus erlöst. Trotzdem hatte er uns vier mehr oder weniger treu gedient und dazu beigetragen, unseren Wochenendgarten außerhalb der Stadt wenigstens hin und wieder aufzusuchen. Zumeist aber saß uns schon vor Antritt der Fahrt die Angst im Genick, wir könnten nicht ohne Störfall zurück nach Hause kommen oder die Schwungkraft des Bergab könnte für den Anstieg des Begauf nicht reichen. Des öfteren waren wir in dieser Zeit auch wieder mit dem Bus unterwegs, da der Sapo mangels benötigtem Ersatzteil auseinander montiert auf seinem Parkplatz vor unserem Haus stand. Hin und wieder mussten wir den Bus auch nutzen, wenn der Sapo unterwegs schlappmachte. Er folgte uns dann in bewährter Weise am Haken des Traktors nach. Vor allem aber hatte der Sapo mit seinen vielfältigen Tücken meine fast verschütteten Facharbeiter-Kenntnisse hinsichtlich der Reparatur von Maschinen und Anlagen wieder vollständig auf Vordermann gebracht. Den Sapo kaufte eine junger Leutnant der NVA. Der war Kfz-Offizier und hatte gleich jede Menge Ideen, wie er die ihm unterstellten Soldaten am Wochenende dazu motivieren könnte, den Sapo in einen nachhaltigen technisch-verkehrssicheren Zustand zu versetzen. Nach dem Kauf habe ich nie mehr wieder etwas gehört, weder von unserem Sapo noch von dem Leutnant. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest der Leutnant das Abenteuer heil überstanden hat.
Das auswärtige Wochenendgrundstück war für uns das, was man heutzutage Sachzwang nennt. Folglich musste ein neues, natürlich nicht im Wortsinn, also eher anderes, möglicherweise aber besseres, Auto her. Für 4000 Mark erstand ich ein solches. Diesmal vom staatlichen Gebrauchtwagenhandel. Wieder ein Sapo, aber ein Nachfolger des bisherigen, ein 966er. Farbe blau, dunkelblau, um es genau zu sagen, denn auch der vorherige war anfänglich blau. Hellblau allerdings, bevor ich ihn mittels Farbrolle bei heftigem Wind auf der Straße in ein schlichtes Safarigrün umtaufte. Der böige Wind hatte zur Folge, dass sich feine Staubkörnchen auf der noch frischen Lackfläche meiner Farbgebung