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gejagt, aber heute sah die Sache ganz anders aus. Sie war sein Zugpferd und die meisten Kunden fragten speziell nach ihrem Service. Darunter befanden sich Geschäftsleute oder Abgeordnete, aber manchmal hatte sie auch einen richtig dicken Fisch an der Angel. Das war dann ein hochrangiger Politiker oder ein Diplomat, aber die waren meistens am Schlimmsten. Daher wusste Reynaldo nur zu gut, was er an ihr hatte und vor allem, dass er sich 100 prozentig auf sie verlassen konnte. Und das wiederum hatte ihr gemeinsames Geschäftsverhältnis zu ihren Gunsten verändert. Sie war so etwas wie sein Partner geworden.

      Reynaldo brachte den Kaffee. Milagros zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch. Dazu nippte sie an dem Kaffee, stand aber ganz plötzlich auf, ging zur Toilette, überprüfte ihr Makeup, kam wieder zurück, setzte sich und trank ihre Tasse aus. Danach zündete sie sich eine zweite Zigarette an und drückte den Stummel in den Aschenbecher, nachdem sie den Glimmstengel nur bis zur Hälfte geraucht hatte. Es waren gerade einmal fünfzehn Minuten vergangen.

      „Ich geh jetzt rüber zu ihm“, sagte sie entschlossen.

      „Ist noch ein bisschen früh Milagros.“

      „Ach was, ich habe keine Lust mehr noch länger zu warten. Ich mach halt langsam. Mit den Stöckeln hier kann ich sowieso nicht schnell laufen.“ Sie zeigte auf ihre hohen Absätze. Reynaldo nickte ihr zu. „Ist schon gut. Du tust ja doch, was du für richtig hältst. Aber vergiss nicht die Schwesterntracht mitzunehmen.“ Er legte ihr eine gefüllte Plastiktüte auf den Tisch, die Milagros sogleich in ihre geräumige Handtasche stopfte.

      „Si Senor!“ Dann stand sie auf und stöckelte anmutig aus dem Raum. Ihre Absätze klapperten noch, als sie am Ende des Ganges in den Aufzug stieg. Reynaldo konnte sich ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. Er wusste was er an ihr hatte.

      Die neuen Hochhäuser befanden sich in der Calle Venecia, nur zwei Blocks von Reynaldos Büro entfernt. Milagros passierte die schwere Drehtür im Foyer und ging, ohne sich beim Wachmann anzumelden, hinüber zum Aufzug. Niemand kümmerte sich ernsthaft darum was sie hier tat, oder zu wem sie wollte. Dafür sorgten unter anderem Reynaldos kleine Zuwendungen. Der Mann, den sie besuchen wollte, hieß Robert Werner. Was oder wer er war, wusste sie nicht. Es hätte sie auch nicht groß interessiert. Der Zimmernummer nach zu urteilen, musste er vermögend sein. Es war die 44. Die vierer Nummern bedeuteten viertes Stockwerk und hier befanden sich ausschließlich die Penthouse-Wohnungen. Sie fuhr hinauf und landete direkt vor seinem Apartment. Bevor sie an die Tür klopfte, überprüfte sie mittels eines kleinen Kosmetikspiegels, den sie immer in der Handtasche bei sich führte, abermals ihr Aussehen Alles war perfekt. Sie setzte ein verführerisches Lächeln auf und klopfte. Es kam keine Antwort. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war 20.30 Uhr.

      „Und wenn die Konferenz noch im Gange ist?“

      Sie klopfte nochmals und drückte automatisch gegen den Knauf. Zu ihrer Überraschung gab die Tür nach und ließ sich öffnen. Also musste dieser Werner bereits auf seinem Zimmer sein.

      Das war er auch, aber ganz und gar nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Er hing im Salon an der Decke, verschnürt wie ein Paket, mit dem Kopf nach unten und rührte sich nicht. Zuerst glaubte Milagros noch an einen perversen Scherz und näherte sich ihm vorsichtig, aber dann blickte sie in ein verzerrtes, blutleeres Gesicht und bemerkte die blutverklebten Haare, sowie die rote Lache, die sich unter ihm gebildet hatte und nun im Begriff war sich auf dem hellen Velourteppich auszubreiten. Das war die bittere Realität. Nur das Messer, welches hinten in seinem Rücken steckte, sah sie nicht mehr. Reflexartig drehte sie sich um und lief aus dem Raum. Sie befand sich bereits wieder auf dem Weg nach unten, als endlich der erste Schrei aus ihr herausbrach.

      Kapitel 2

      Peter Baumann war Frühaufsteher. Ganz besonders liebte er den Augenblick, wenn am Horizont das perlenfarbige Licht zu einem rötlich-gelben Streifen heranwuchs. Besonders dann vermochte er am besten nachzudenken und Gedanken zu ordnen, die ihm noch im Schlaf gekommen waren. Er arbeitete beim Auswärtigen Amt und obwohl die ganze Mischpoke bereits vor vielen Jahren nach Berlin gezogen war, hatte er es vorgezogen seiner Heimatstadt Bonn treu zu bleiben und sein eigenes Büro im langen Eugen zu behalten. Seitdem pendelte er zwischen den beiden Städten hin und her oder die Kollegen kamen zu ihm und blieben dann meist über Nacht. So geschehen auch am gestrigen Abend, als er zusammen mit Klaus Bertram bis spät in die Nacht zusammengesessen, diskutiert und Wein getrunken hatte. Dabei war es um neue Verordnungen gegangen, die ausländischen Geschäftsleuten weitreichende Reisefreiheiten bringen sollten. Der Kollege Bertram schlief sein Resultat des gestrigen Alkoholexzesses auf dem bequemen Klappsofa in seinem Wohnzimmer aus. Peter hatte noch nicht einmal halb so viel getrunken, wie Klaus, trotzdem fühlte er sich schlapp und irgendwie abgespannt. Er versuchte sich zu entspannen, spürte jedoch sogleich eine aufkommende Verkrampfung seiner Muskeln in den Beinen und im Rücken. Er brummte etwas vor sich hin und ließ sich missmutig aus dem Bett rollen. Dabei konnte er mit seinem Leben ganz zufrieden sein. In jungen Jahren war er aus dem Bergischen Land nach Bonn gekommen und hatte sich um einen Beamtenposten beim Auswärtigen Amt beworben. Und das war ein gutes Stück Arbeit gewesen, denn man hatte ihm zunächst nichts in den Schoß gelegt. Ganz im Gegenteil, die Konkurrenz war sehr zahlreich gewesen. Dabei handelte es sich meistens um Diplomatensöhne, Wirtschaftswissenschaftler, Angehörige von Akademikern und Politikern, die alle etwas besaßen, dass er nicht hatte. Das Vitamin B, sprich Beziehungen.

      Er seufzte vor sich hin, als er daran dachte, wie er gebüffelt hatte, während sich die andern im Schwimmbad oder in den Rheinauen vergnügten. Doch sein Motto lautete, den anderen immer ein Stückchen voraus zu sein. Schließlich wusste er, was er wollte. Ganz nach oben.

      Er schnappte sich seinen Morgenmantel und ging ins Bad. Das wechselnd heiße und kalte Wasser in der Dusche erweckten seine Lebensgeister. Rasch zog er sich an und ging nach unten, um die Morgenzeitung zu holen. Er öffnete die Haustür. Die Zeitung lag wie gewohnt auf der obersten Stufe. Er hob sie auf und schlenderte zurück in Richtung Küche. Dabei kam er an seinem Wohnzimmer vorbei. Die Tür stand offen. Der zusammengefaltete Klumpen auf dem Klappsofa war der Kollege Klaus Bertram. Peter lächelte, ging weiter in die Küche, legte die Zeitung auf den Tisch und stellte die Espressomaschine an. Vom Wohnzimmer aus drang Bertrams Schnarchen zu ihm herüber. Peter grinste und beobachtete, wie die braune Brühe aus der Espressomaschine in die kleine Tasse floss. Als ein einigermaßen trinkbares Gebräu zustande gekommen war, setzte er sich an den Küchentisch und griff nach der Zeitung. Ein vertrautes Geräusch drang in seine Ohren. „Sein tiefgezogener und rasselnder Atem hörte sich an wie das Grunzen eines wilden Tieres“, dachte er und fing an, ziellos in der Zeitung herum zu blättern. Es dauerte nicht lange, da vernahm er ein abruptes Stottern und ein Stöhnen. Klaus gähnte, reckte sich und starrte ihn an.

      „Guten Morgen, Herr Kollege! Wie geht es dir am ersten Tag deines restlichen Lebens?“

      „Du meine Güte“, Klaus räusperte sich. „Wie spät ist es überhaupt?“

      Peter schaute auf die Küchenuhr. „Gleich halb acht.“

      „Ach, doch noch so früh? Ehrlich gesagt, mir hat es wesentlich besser gefallen, als Irene noch bei dir wohnte. Da bist du niemals vor halb zehn hier unten erschienen. – Oh verdammt, es tut mir wirklich leid!“ Er bemerkte seinen Fehler sofort. Irene hatte sich erst vor kurzem von ihm getrennt und noch immer fühlte der den Schmerz ihrer Abwesenheit. Auch wenn sie sich in der letzten Zeit meistens nur noch gestritten haben. Das Stigma des Verlassenen saß tief in ihm drin. Klaus erhob sich von dem Sofa und trottete auf das Badezimmer zu. „Ich spring nur schnell in den Pool“, sagte er und strahlte Peter an. Der musste lachen und betätigte abermals den Startknopf der Espressomaschine. Diesmal hoffte er auf ein Getränk, dass nicht nach seinem eher masochistischen Kaffeegeschmack gebraut werden würde. Als er die kleine Tasse für Klaus auf den Tisch stellte und sich gerade setzen wollte, klingelte das Telefon. Das verdammte Ding stand mitsamt der Ladestation auf dem Kühlschrank. Peter sprang auf, ging hinüber zum Kühlschrank, nahm das drahtlose Gerät aus seiner Station und hielt es sich ans Ohr.

      „Ja, hallo?“


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