Faktor Mensch. Tanja Kewes
mit Witz und Verstand, regen die Texte stets an zum genauen Hinschauen und Überdenken. Aus der langen Tradition unseres Bankhauses weiß ich, wie wichtig es ist, alte Denkmuster immer wieder infrage zu stellen und so zu neuen Wegen in der Geschäftsausrichtung wie im persönlichen Verhalten zu gelangen, wobei letzteres ohne Frage das Schwerere ist.
Die Kolumnen von Tanja Kewes sind nicht nur gescheit, sondern klug – lebensklug. Das macht ihren Reiz aus. Der Sprachwitz, unterstützt von elegant eingestreuten Zitaten, begleitet durchaus ernsthafte Anliegen: Dass auch im Arbeitsalltag jeder in erster Linie Mensch ist, mit individuellen Stärken und Schwächen, und nicht nur funktioniert. Dass Unternehmer, Geschäftsführer, Banker oft gefangen sind in ihrer eigenen Welt, was den Blick nach draußen verengt. Dass es sich lohnt, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und aus alten Denkstrukturen auszubrechen. Mehr kann eine Kolumne nicht leisten.
Friedrich von Metzler ist persönlich haftender Gesellschafter der Privatbank B. Metzler seel. Sohn & Co. KGaA.
1. Arbeit ist unser Leben
Ich arbeite, also bin ich
Unser Beruf steht nicht mehr nur auf unserer Visitenkarte.
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hristian Wulff hat es geschafft. Als Bundespräsident a.D. erhält er nun bis ans Ende seiner Tage 199.000 Euro Ehrensold im Jahr, braucht dafür aber, bitte schön, nicht (mehr) zu arbeiten. Wer von uns hat davon noch nicht geträumt?
Geträumt, nicht mehr arbeiten zu müssen, in den Tag hineinzuleben und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen?! Und jeden Monat schickt uns ein „big spender", in Wulffs Fall Vater Staat, einen schönen, dicken Scheck. Gegenleistung? Bitte keine, außer vielleicht die Erwartung, dass wir uns nicht völlig danebenbenehmen.
Aber ich sage Ihnen: Sie und ich, die meisten von uns, wären nach spätestens einem halben Jahr total unglücklich. Denn: Ohne Arbeit kann der moderne Mensch nicht leben. Kurzum: Arbeit ist geil.
In der Aufklärung hieß es einst: Ich denke, also bin ich. Anders als damals reicht uns das stille Selbstgespräch nicht mehr. Wir wollen schaffen und schöpfen, tätig sein. Leerlauf, Zeit, um in der Nase zu bohren, wie wir gerne abfällig bemerken, ist uns ein Graus. Arbeit ist unser Leben.
Die in der Industrialisierung von Karl Marx einst kritisierte Entfremdung von der Arbeit haben wir nicht nur überwunden, wir haben sie umgekehrt: Heute identifizieren wir uns mit unserer Arbeit. Wir gehen wie freischaffende Künstler und Genies vollkommen in ihr auf, sie ist ein Teil von uns, und wir sind ein Teil von ihr. Und dabei ist es ganz egal, ob wir angestellt oder selbstständig sind.
Heute heißt es: Ich arbeite, also bin ich. Schauen Sie sich mal um, und seien Sie ehrlich zu sich selbst.
Unserem Arbeits- und Schaffenstrieb ordnen wir vieles, wenn nicht gar alles unter. Wir verbringen nicht nur viele, viele Stunden im Büro, auf Geschäftsreisen und in Meetings, nein, selbst in unserer Freizeit, wenn wir privat sein wollen und sollen, checken wir E-Mails, lesen Fachzeitschriften, kaufen wir uns einen neuen Nadelstreifenanzug, polieren die Lacklederschuhe für den Neujahrsempfang. Zu guter Letzt stählen, straffen, optimieren wir unseren Körper auf dem Laufband, an der Hantelbank, im Schwimmbecken. Denn, und das weiß jedes Karrierekind: Wer gut, im Sinne von gepflegt und selbstbewusst aussieht, ist erfolgreicher. Erfolg macht sexy – und andersherum.
Wir lassen auch keine Chance aus, um aufzusteigen. Schnell und teuer wird ein MBA gemacht, eine neue Sprache gelernt, eine Zweitwohnung genommen – und die (eigentlich) große Liebe und Familie im Stich gelassen. Es zählt nur eines: Top-Performance im Job. Alles andere wird gut und gerne ausgeblendet - und zwar längst nicht mehr nur Montag bis Freitag und von neun bis 17 Uhr.
Unsere Arbeit ist unser ein und alles, unser Ich. Unser Beruf steht längst nicht nur auf unserer Visitenkarte. Selbst im Privatleben, auf der Gartenparty des Nachbarn, Schwiegermutters Geburtstag, der Elternpflegschaftssitzung steht er schnell im Mittelpunkt. Die Frage nach Name und Herkunft ist abgelöst worden durch die Erkundigung: „Was machen Sie eigentlich beruflich?" Das geht so weit, dass, wenn wir auf neue Bekanntschaften angesprochen werden, wir weder Gesicht noch Name vor Augen haben, wohl aber wissen, ob derjenige Jurist, Arzt oder Pilot ist.
Diese Absolutsetzung von Arbeit und Arbeitseuphorie ist gefährlich. Es ist ja nicht nur so, dass Arbeit krank machen kann, wie die vielen Fälle von Burn-out in jüngster Zeit zeigen. Die größte Angst in modernen Leistungsgesellschaften wie der unseren ist ja: arbeits- und damit wertlos zu sein. Ja, es ist für viele schlimmer, den Job zu verlieren als Frau oder Mann und Haus. Überlegen Sie sich das mal. Ist das nicht Wahnsinn?
Tja, was ist nun also Herrn Wulff zu wünschen? Dass er es schafft, unser aller Traum zu leben und guten Gewissens nichts mehr zu tun? Oder dass er bald eine neue Betätigung findet?
Aber vielleicht brauchen wir uns darüber unseren Kopf nicht zu zerbrechen. Unser Bundespräsident a. D. hat genug gute Freunde, die ihm sicher auch jetzt beistehen werden. Mit Rat und Job.
Erschienen am 02.03.2012 im Handelsblatt
Geweint? Explodiert? Verliebt?
Auch im Büro wollen und sollen wir Menschen sein.
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ine Weihnachtsfeier brauchen wir nicht, um aus unserer Professionalität zu fallen. Auch im Alltag schaffen wir es immer mal wieder, uns danebenzubenehmen. Oder sind Sie noch nie vor Wut explodiert, haben Sie nie geweint, sind einem Lachkrampf erlegen oder haben sich in einen Kollegen oder Geschäftspartner verguckt?
Bei der vielen Zeit, die wir im Job verbringen, dem Druck, der Geschwindigkeit kann das man und frau schon mal passieren. Mir ist das auf jeden Fall schon fast alles einmal passiert. Nur, was dann? Aus Scham kündigen? Wohl kaum ...
Fangen wir mal mit dem Gängigsten an. Das Vor-Wut-Explodieren ist zwar auf dem Rückmarsch. Schließlich sind die meisten von uns ja nur zeitlich befristet angestellt und haben eine gute Manager-Haftpflicht. Warum also aufregen? Und als Choleriker oder Furie zu gelten ist zudem ziemlich uncool. Dennoch passiert es dem einen oder anderen, hin oder wieder mal ... – und wie! Die Halsschlagader schwillt an, der Blick wird starr, die Lippen sind erst aufeinander gepresst, und dann weit aufgerissen. Laute böse oder leise gemeine Worte fallen, die Hand haut auf den Tisch, vor den Kopf oder die Tür zu.
Dann der Lachanfall: Irgendjemand macht einen Witz oder auch nur eine komische Bemerkung, und wir prusten los und kriegen uns – meist ist noch ein Gegenüber mit im Spiel – nicht mehr ein. Unsere Mundwinkel zucken, alles Zähne-Zusammenbeißen hilft nichts. Wir schauen weg, an die Decke, auf den Boden, fangen an, uns Flusen von der Hose zu zupfen, Weihnachtsgeschenke zu überlegen. Es überkommt uns immer wieder. Wie ein Teenie kichern wir weiter vor uns hin. Legendär ist der Lachanfall der früheren Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff. Nachdem sie aus dem WCT-Turnier das WC-Tennisturnier gemacht hatte, vergluckste sie die Lottozahlen.
Das Gegenteil: das Losheulen wie ein kleines Kind, dem ein anderes im Sandkasten die Schaufel weggenommen hat. Es wird einem kalt, dann heiß, die Mundwinkel fangen wie beim Lachen an zu zucken - nur blöderweise nach unten – und das Schluchzen bahnt sich durch den Hals seinen Weg, unaufhaltsam, leider unaufhaltsam.
Schließlich das Verliebtsein. Eigentlich das schönste Gefühl der Welt - selbst zwischen Akten, in Werkshallen oder auf dem Bau. Und dann nimmt man, frau allen Mut zusammen und gesteht dem geliebten Kollegen, Mitarbeiter, Geschäftspartner irgendwie noch verklausuliert, aber doch ziemlich eindeutig seine Gefühle. Und dann? Wenn es keine Gegenliebe gibt? Peinlich, peinlich, peinlich.
Dieses Entprofessionalisieren muss uns jedoch nicht vor Peinlichkeit im Boden versinken lassen. Das ist schon ganz anderen passiert. Beispiele für Ausraster gibt es viele. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble etwa kanzelte in aller Öffentlichkeit seinen Sprecher ab, Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger soll mal vor Wut ein Handy an die Wand geschmissen haben,