Blutendes Silber. Peter Raupach
Herzog August kannten das Versteck. Das Geheimnis verband sie beide. Aber Conrad wusste, dass diese Verbindung jederzeit durch den Erzbischof gekappt werden konnte. Mit zusammen gekniffenen Augen näherte sich damals zur Geburtstagsfeier der Herzog ihm langsam. Dabei hielt er eine dieser Medaillen zwischen Daumen und Zeigefinger. Mit der anderen Hand zeigte er auf die hochgehaltene Medaille. „Sag er mir ehrlich lieber Conrad“, flüsterte der Herzog vertraulich, „wollen wir beide wirklich wissen, woher das Silber für dieses Exemplarius stammt? Ich möchte es doch glauben, dass diejenigen auch ihre von Gott gespendete Jugend hatten. Ich war einen flüchtigen Moment geneigt zu denken, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ihr aus dem restlichen Bestande auch Medaillen der Freude hättet schlage lassen. Ich denke jedoch, dass selbst tausend neuangefertigte Stempel in unserer Münze dies nicht überlebt hätten. Ich glaube, es ist so viel Silber, dass alle entzwei gehen würden. Wobei der Gedanke mir sympathisch erscheint, die dann geschlagenen Medaillen unters Volk zu bringen und die Schuld damit millionenfach zu verteilen. Gleichwohl, sagt mir lieber Conrad, wiegt eine Schuld vor Gott geringer, wenn diese Schuld vor meiner Zeit war, wenn es denn einer meiner, wohlgemerkt nicht blutsverwandten, Amtsvorgänger war? Ach, Conrad, hat Euch eigentlich Euer gutaussehender Münzgeselle aus dem Braunschweigischen nützlich sein können? Ich hoffe doch für Euch, dass alles zu meiner Zufriedenheit zu Ende gebracht wird. Ach ja, die Schrift auf der Rückseite hier lässt eine, nun ja, sagen wir gewisse Unbeholfenheit im Stempelschnitt erkennen. Wie dem auch sei, geht nun und lasst mich Eure Medaillen an die Gäste verteilen.“ Heinrich fand das alles sehr merkwürdig. Fast war er enttäuscht. An einem Tag am späten Vormittag, als er zusammen gerechnet etwa tausend der großen silbernen Medaillen fertig hatte, erschien der Oberhofprediger. Er sagte ohne Begrüßung und ohne große Umschweife: „So, Lehrling Heinrich, Eure Arbeit endet hier. Ihr werdet umgehend diese Burg verlassen und Euch auf den Heimweg begeben.“ Danach legte er einen Beutel auf den Holztisch mit den Worten: „Nehmt dies zur Verpflegung und geht!“ Gleichzeitig bauten sich in der Tür zwei Grenadiere auf. Ehe Heinrich groß zum Nachdenken kommen konnte, befand er sich eskortiert von den beiden Soldaten vor dem Burggraben wieder. Achselzuckend und seinen Beutel über die Schulter werfend lief Heinrich hinab in die Stadt. Wollte er heute noch weiterkommen, musste er sich schnell um einen Platz in einer Reise- oder Postkutsche kümmern. Zum Glück hatte er noch etwas Geld vom Vater. Natürlich konnte er sich kein Pferd leisten. Doch hätte er mehr Geld gehabt, so hätte er eins reiten können. Dies verdankte er Jörg, dem Pferdeknecht seines Vaters. Jörg hatte ihm das Reiten beigebracht. Dies ging nur heimlich und vor allem, wenn der Vater auf der Messe in Frankfurt oder Hannover war. Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, hätte er nach der Lateinschule zuerst Goldschmied gelernt, dann eine weitere Lehre als Kaufmann absolvieren müssen und später wäre vielleicht Zeit für das Reiten gewesen. Nur weil er selber nicht richtig reiten kann, dachte Heinrich mit aufwallendem Zorn, durfte ich kein Pferd besitzen! Sein Magen knurrte vernehmlich. Trotzdem beeilte sich Heinrich. Den Beutel mit der Verpflegung würde er noch brauchen auf seiner Reise. Deshalb nahm er sich nicht die Zeit hineinzuschauen. Merkwürdig war es schon, schoss es Heinrich durch den Sinn. Weshalb gab ihm sein Auftraggeber selbst die Verpflegung und schickte ihn nicht einfach in die Küche der Burg? Er musste es wohl sehr eilig gehabt haben, mich los zu werden, dachte Heinrich, während er mit schnellen Schritten durch die schmalen Gassen in Richtung Markt lief. Eine gute Orientierung boten ihm die Doppeltürme der Marktkirche. Diese überragten weithin sichtbar die nur wenige Stock hohen Bürgerhäuser. Die Stadt musste durch ihren Salzhandel zu großem Wohlstand gekommen sein. Die Bürgerhäuser hatten auffällig gute Dächer mit aufwändigen Rinnen und Wasserspeiern, die Fenster und die Torbögen waren mit allerlei Schnitzereien verziert. Auch Bettler sah man wenig. Hier und da musste Heinrich einigen Abfallhaufen ausweichen, aber Hühnern und allerlei Vieh, wie in den Straßen von Goslar, begegnete Heinrich nicht. Vielleicht ist das so, weil ich hier in einer Residenzstadt bin, dachte Heinrich. Offensichtlich war man hier Fremde, weitgereiste Kaufleute und Gesandte anderer Fürstenhöfe auf den Straßen gewohnt. Gerade deshalb müsste es doch auch Reisegelegenheiten geben, dachte Heinrich. Das größte Problem wäre, wenn es heute keinen Platz mehr in einer Reisekutsche gab. Eine Fahrt von Halle direkt nach Goslar, würde es ohnehin nicht geben. Aber wenigstens die Richtung, das wäre schön, dachte Heinrich. Wenn nicht, wie dann weiter? Das Geld reichte nur für die Reise, nicht für eine Unterkunft in einem Gasthof. Essen hatte er vom Oberprediger zwar mitbekommen. Den üblichen Lohn selbst, für die Gesellentätigkeit, blieb er ihm schuldig. Weshalb handelte ein sonst ehrbarer Mann, zudem noch ein Kirchenmann, so? Jemandem Arbeit abverlangen, aber keinen Lohn zahlen! So etwas kannte Heinrich von seinem Vater nicht! Lass den Vater sein wie er ist, dachte Heinrich, mit aufwallender Wut, unehrbar war der Vater nie! Und eines musste er sich auch eingestehen, auch wenn er sonst so seine Schwierigkeit mit dem Thema Vater hatte. Der Vater war nie mitleidlos und unehrlich! Gertrude, die Magd, hielt ihm bei jeder Gelegenheit vor die Nase, dass er den besten Vater hätte, den er sich wünschen könnte. Pah! Dachte Heinrich, weshalb hat er mir dann kein Pferd mitgegeben? Selbst der Bäcker Krüger Hans hat seinem Sohn, Heinrichs Freund, ein Pferd mit auf die Gesellenreise gegeben! Nun gut, dachte Heinrich während er durch die Gassen eilte, es war nur ein Kaltblut. Ein Pferd was gewohnt war, Eisblöcke für die Küchen der Gasthöfe und Bürgerhäuser zu transportieren. Nun ritt sein dicker Freund auf so einem Pferd. Ohne es zu merken, hatte Heinrich schon den Markt erreicht. Schlagartig wurde es lauter. Hier überboten sich die Händler mit ihrer Stimme gegenseitig und priesen ihre Ware an. Die längsten Schlangen hatten sich an den Ständen der Salzhändler gebildet. Die großen aufgehäuften Kegel aus feinem schneeweißen Salz waren dicht umringt. Zwischenhändler versuchten hier, Salz zum günstigen Preis aufzukaufen. Das angebotene Salz war so weiß, dass Heinrich in der Sonne stehend, seine Augen mit der Hand beschatten musste, um das Feilschen beobachten zu können. Wo Händler sind sind auch Chancen zur Mitreise, dachte Heinrich. Langsam schob er sich durch die Menge näher heran an einen Stand. Vielleicht konnte er ja bei den Händlern einen hessischen oder braunschweigischen Dialekt hören. Er würde dann fragen müssen. Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Heinrich zuckte zusammen. Schnell versuchte er, sich so gut es bei dem Gedränge ging umzudrehen. Als ihm das gelang, erschrak er ein wenig. Er sah in ein von einer Narbe geschundenes Gesicht. Eigentlich nur in ein halbes. Denn ein Auge des Mannes war zudem mit einer Binde bedeckt. Vertrauenswürdig siehst du nicht gerade aus, dachte Heinrich und fragte etwas ungehalten: „Mein Herr, was wollt Ihr von mir?“ „Habt keine Sorge. Verzeiht mein Benehmen. Kommt bitte hier erstmal aus dem Gedränge heraus. Ich möchte Euch etwas fragen.“ Heinrich spürte, ohne geantwortet zu haben, eine kräftige Hand an seinem Unterarm, die ihn behutsam, aber doch zielstrebig, sprichwörtlich ins Freie zog. Heinrich kam sich leicht beschämt vor, aber ihm blieb nun fast nichts anderes übrig, als mit dem Fremden die wenigen Schritte mitzugehen. Vielleicht nützt es ja, dachte Heinrich. Passieren wird mir schon nichts, wir sind ja hier unter Leuten auf dem Markt. Ein wenig am Rande des Markttreibens, aber direkt neben dem Eingang zur Marktkirche, blieben sie stehen. Der Fremde, er mochte in Heinrichs Augen etwa doppelt so alt wie er sein, verbeugte sich kurz und sagte: „Gebt mir diesen Augenblick für meine Frage und mein Angebot. Mein Name ist Gottfried und ich suche jemanden, der bereit ist mir einen Gefallen zu tun. Ihr sucht etwas und ich habe etwas“. Heinrich blieb augenscheinlich der Mund offen stehen und wusste auf das gerade Gehörte keine rechte Antwort. Also fragte er: „Was sollte ich suchen? Und woher wollt ihr das wissen. Ich glaube ich bin der Falsche für Euch. Ich habe kaum Geld und…“ „Ihr sucht eine Reisemöglichkeit, einen Platz in einer Kutsche oder sogar ein Pferd. Woher ich das weiß? Nun ja, schaut Euch an! Einen Beutel über der Schulter, also habt ihr noch keine Schlafstatt. Eure Kleidung spricht für sich. Ihr habt etwas von einem Schmied, nein lasst mich raten. Eure Arme sind nicht muskulös, ach, und die Hände sind schmal. Nun gut, ihr mögt ein Goldschmiedelehrling sein. Eure Kleidung ist fein, das Tuch von ausgewählter Qualität. Es ist aber bestimmt kein sächsischer Schnitt, den Ihr tragt, nein Ihr seid Hesse oder Braunschweiger!“ Nun konnte Heinrich nicht mehr an sich halten: „Wenn Ihr so viel über mich zu wissen glaubt, dann sagt mir doch wie ich hier und bald aus dieser Stadt komme. Und sagt mir, was Ihr dafür begehrt!“ Die Antwort des Fremden war: „Ich benötige von Euch das wenige Geld, dass ihr habt. Davon erspiele ich Euch eine Reisemöglichkeit. Das ist natürlich nicht alles. Ihr fahrt, wenn mir heute Abend das Glück beim Würfelspiel hold ist, morgen mit einem Salzschiff nach Magdeburg. In Magdeburg übernehmt Ihr mein Pferd, welches ich in einer Posthalterei untergestellt