Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA. Michael Miller
„white flight“, die Abwanderung der weißen Bewohner und der Zuzug von Afroamerikanern, die Bevölkerung von Ferguson weiter segregieren, auf nun 67 Prozent Schwarze und 29 Prozent Weiße. Innerhalb von nur zehn Jahren wuchs die afroamerikanische Gemeinde um mehr als 150 Prozent an und sie konzentrierte sich nur auf bestimmte Wohngebiete. Mehr als 90 Prozent aller 230.000 afroamerikanischen Bewohner verteilen sich im gesamten St. Louis County auf Gemeinden, die in oder um Ferguson liegen. In diesen Ballungsgebieten wird wiederum der Kreislauf aus schlechter Bildung, hoher Kriminalität, wenigen Jobs und schlechter Perspektive fortgesetzt. Aber auch Einwanderer aus China, Bosnien und Indien kommen verstärkt nach St. Louis. Diese multikulturelle Gemeinschaft verbirgt jedoch eine soziale Spaltung der Bewohner, weil sie alle eine selbstgewählte Form der Isolation wählen. Es sind Parallelgesellschaften, die sich gegenseitig misstrauisch beäugen.
Die Segregation ist jedoch nicht auf „natürliche“ Weise entstanden. Viele Hausbesitzer in Ferguson sind hochverschuldet, weil ihre Hypotheken nicht den wahren Preis ihrer Häuser widerspiegeln. In der Vermögensbewertung kommen die Bewohner von Ferguson nur auf ein Drittel des Wertes im Vergleich zu den Bewohnern von St. Louis County. Niedrige Mieten ziehen finanzschwache Mieter an. Doch liegen die Gründe der ausgeprägten Segregation auch in der Lokalpolitik sowie diskriminierenden Maklerpraktiken, die kinderreiche zumeist schwarze Familien von innerstädtischen großen Wohnungen fernhalten. Vielmehr werden schon in finanzschwachen Stadtteilen weitere Sozialbauapartments gebaut, die zu einem Sog weiterer Armutszuzüge führen. Dieses Ungleichgewicht an sozialer Durchmischung von finanzstarken und finanzschwachen Bewohnern lässt solche Stadtviertel kippen und die Kriminalität markant anschwellen.
Der Bundesstaat Missouri selbst wird noch von der konservativen weißen Mittelschicht geprägt, die mit großer Mehrheit Abtreibungsgegner sind und den Gewerkschaften nahe steht. Es sind zumeist bodenständige, stark religiöse Weiße, die keine Gemeinsamkeiten mit den afroamerikanischen Vorstadtbewohnern sehen. Zumal die Kriminalität laut Statistik und nach dem „Gefühl“ der weißen Bewohner überwiegend aus den ärmeren afroamerikanischen Gemeinden kommt.
Auch der Stadt St. Louis hat die langanhaltende Wirtschaftskrise stark zugesetzt. Viele Häuser stehen leer, Ruinen säumen manche Straße. Nicht wenige Bewohner sehen die viertgrößte Stadt des Bundesstaats Missouri im Niedergang. Ihre Vorstädte und Gemeinden haben ebenfalls mit Arbeitsplatzverlusten und Wegzug ihrer Mittelschicht zu kämpfen. Der Staat investiert vielerorts nicht mehr in die Infrastruktur, wie in Straßen und Brücken. Im öffentlichen Nahverkehr fehlen Gelder für Instandhaltungen und dem Ausbau von neuen Strecken in urbane Gebiete. Auch wenn sich der Blick durch die Rassenunruhen auf St. Louis und Ferguson richtet, so werden die wirtschaftlichen Grundprobleme der Bewohner nach wie vor übersehen, von denen viele weiter von der Hand in den Mund leben werden.
Ferguson und andere Ballungsräume, die überwiegend von verarmten Familien und kriminellen Gangs bewohnt werden, sind tickende Zeitbomben in den USA. Neben den Großstädten wie Detroit, Los Angeles und Oakland sind es nun auch die kleinen Vorstädte, die gewaltsame Unruhen auslösen können. Denn rund 40 Prozent der landesweit 46 Millionen Armen der USA leben in Vororten von größeren Städten und Metropolen. Sie alle verbindet eine hohe Arbeitslosigkeit, grassierende Obdachlosigkeit, Gangkriminalität und polizeiliches Fehlverhalten. Und ihre ethnische Zusammensetzung besteht überproportional häufig aus afroamerikanischen und hispanischen Bewohnern. In der Kommunalpolitik haben sie jedoch aufgrund ihrer unterdurchschnittlich schwachen Wahlbeteiligung keine Interessenvertretung und werden daher schlichtweg ignoriert. Diese Unterrepräsentanz ihrer Belange spiegelt sich negativ in allen Lebensbereichen ihres Wohnumfeldes wider. Vom sozialen Wohnungsbau und öffentlichen Nahverkehr über die Schulbildung bis hin zu einfachen Infrastrukturmaßnahmen werden diese Stadtviertel übergangen. Die Ausgrenzung dieser Gemeinden geht soweit, dass ihre Bewohner keine direkte öffentliche Anbindung an Gewerbegebiete und arbeitsplatzintensive Regionen haben. Vielmehr erhalten die Regionen Fördermittel und Subventionen, die schon zu den wohlhabenderen Regionen zählen und eine hohe Wahlbeteiligung aufweisen. Und dort leben zumeist weiße Bewohner.
Michael Browns Lebenslauf gleicht dem eines typischen afroamerikanischen US-Bürgers aus einer Sozialbausiedlung. Brown wohnte in einem Neubauviertel mit überwiegend einkommensschwachen Familien. Die Armut sowie die Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen sind hoch. Der Cannabiskonsum unter den arbeitslosen Jugendlichen, die in Gruppen in den Wohngebieten lungern und nicht selten die Bewohner belästigen, ist höher als im US-Durchschnitt. Wohnungseinbrüche, Autodiebstähle, Drogenhandel, Gewaltdelikte wie schwerer Raub, Körperverletzung mit Todesfolge sowie Vergewaltigungen kommen in den Armutsrevieren der Vorstädte überproportional häufig vor. In den dicht bewohnten Häuserschluchten sind Konflikte vorprogrammiert, die nicht selten auch mit der Schusswaffe ausgetragen werden. Gemeindepfarrer beklagen den fehlenden Zusammenhalt in diesen Gemeinden, doch wollen die Bewohner zumeist in den Sozialbauwohnungen häufig nur wieder wegziehen.
Die Polizei hat solche Gebiete speziell auf dem Radar. Ein ungeschriebenes Gesetz sagt aus, dass jeder Bewohner dieser Sozialsiedlungen ein potentieller Krimineller sein könnte. Die Jugendarbeitslosigkeit in den Sozialbausiedlungen ist sehr hoch und viele Jugendliche werden aufgrund fehlender Einkommensmöglichkeiten kriminell. Die vorhandenen Stereotype werden dann von den Polizisten nur bestätigt und auf alle Bewohner dieser Stadtviertel übertragen. Damit ist der Grundstein der Diskriminierung der gesamten überwiegend afroamerikanischen Bewohner gelegt. In den schwarzen Sozialbausiedlungen ist der Anteil von legalen und illegalen Waffenbesitzern hoch und ein erschossener männlicher Jugendlicher ist fast schon keine Nachrichtenmeldung in der Lokalpresse mehr wert. Die Gangkriminalität ist ein ernsthaftes Problem, doch der überwiegende Teil der schwarzen Jugendlichen hält die Polizei für den eigentlichen Feind. Nicht wenige halten sie für die größte Bedrohung ihrer Gesundheit und nicht die eigentlich bedrohlich grassierende Gangkriminalität. Die regelmäßigen grundlosen Kontrollen von Autofahrern und das Filzen von Schülern auf dem Weg zur Schule oder auf dem Heimweg durch die Polizei, macht sie zu einem großen Feindbild. Es suggeriert den Bewohnern, dass sie ständig mit Kontrollen zu rechnen haben und beobachtet werden. Wer ständig von den Strafverfolgungsbehörden als möglicherweise kriminell eingestuft wird, ohne jemals in Konflikt mit dem Gesetz gekommen zu sein oder nur aufgrund des Tragens von szenetypischen Kleidungsstücken, wie dem Hoodie, wird einfach kein Verständnis für diese Polizeitaktiken entwickeln. Vielmehr lernen die Kinder und Jugendlichen von der Polizei, sie zu meiden und Informationen an sie nicht weiterzuleiten. Selbst bei den Ermittlungen im Fall Michael Brown, gibt Justizminister Holder während der Bundesuntersuchungen zu, dass viele afroamerikanische Zeugen nicht mit der Polizei kooperieren wollen und ihre Aussagen verweigern. Sie haben einfach zu viel Misstrauen und Hass gegenüber der Polizei.
Denn die Polizei tritt in den Armenvierteln anders auf, als in wohlhabenderen Bezirken. Das „stop and frisk program“ ist eine solche Vorgehensweise. Aus dem fahrenden Polizeiauto werden Fußgänger ausgewählt und zum Anhalten aufgefordert. Bei sogenannten „sprung outs“ springen mehrere Polizeibeamte plötzlich aus dem anhaltenden Streifenwagen aus und durchsuchen und befragen Bewohner ohne ersichtlichen Grund. Dabei wird mit knappen und bissigen Befehlen die Person zur Kooperation gezwungen und mit mehreren Polizisten in kugelsicheren Westen samt Schusswaffen umstellt. Nicht selten werden durchsuchte Bewohner an die Wand gedrückt oder bei verdächtigen Funden gezwungen sich auf den Boden zu legen. Nach einer solchen anlasslosen Prozedur bleiben viele Betroffene mit einem mulmigen bis wütenden Gefühl zurück, dass die Polizei nicht der Freund und Helfer ist und Afroamerikaner nur Bürger zweiter Klasse sind. Viele Anwohner selbst können von Erfahrungen über Rucksackkontrollen mit anschließender Entleerung des Inhalts auf der Straße und das Abtasten von Kleidungsstücken berichten. Und diese Kontrollen können alle Afroamerikaner betreffen, ob Mann oder Frau, Schulkinder oder Greise. Bei einer Gruppe von schwarzen Jugendlichen gehen die Polizisten bei einer solchen Aktion davon aus, dass der eine oder andere etwas vor der Polizei zu verbergen hat.
Viele Afroamerikaner haben im Freundeskreis oder in der Familie von Fällen zu berichten, in denen Schwarze auf den Boden geworfen, teilweise mit Tasern attackiert und festgenommen wurden, nur aufgrund der Frage nach dem Grund der Kontrolle. Schläge und Tritte sind auch nach der Verhaftung durch Polizeibeamte keine Seltenheit. Es ist ein hohes Maß an Gewalt durch Polizeibeamte dokumentiert. Beschwerden und Klagen gegen Polizeibeamte häufen sich seit