Braunes Eck. Hans-Jürgen Setzer
noch. Paffrath wird sicher mit dir zufrieden sein“, versuchte er zu beschwichtigen und endlich wieder Arbeitsbereitschaft herzustellen.
„Ich fühle mich wie ein alter abgestellter Besen. Abgestellt in deiner Besenkammer im Turm“, sagte sie mit verheulten Augen.
„Vanessa, zunächst einmal sind wir richtig gute Kollegen. Was darüber hinaus werden wird, bringt ganz einfach die Zeit. Du bist sehr attraktiv und verführerisch obendrein. Bitte sei nicht so ungeduldig. Es war eine reine Verstandesentscheidung, dass gestern nichts passieren sollte, schon aus Respekt vor dir und meiner jüngeren Vergangenheit. Ich bitte dich inständig, mir einfach noch etwas Zeit zu geben. Du bist bildhübsch und ein ganz wertvoller Mensch. Das werden dir sicher schon viele Männer gesagt haben. Du weißt es bestimmt auch selbst“, sagte er. „Lass es mal so stehen, wie es wirklich gewesen ist. Es war ein sehr schöner Abend, für mich jedenfalls“, fügte er an. „Zu schön, um durch einen Quickie zerstört zu werden.“
„Ja, für mich war der Abend auch sehr schön. Danke Leon, sei bitte nicht sauer. Bitte, bitte“, sagte sie und schaute ihn mit großen flehenden Augen an und klappte flehend die Handflächen aufeinander.
„Alles gut. Wollen wir jetzt mal so langsam an die Arbeit gehen, wir haben gar nicht mehr so lange?“, leitete er den Arbeitstag ein und beendete das Drama. „Hast du einen Verdacht nach deinem Gespräch mit Milena?“, fragte er.
„Zum Täter meinst du?“
„Ja, genau. Gab es irgendeinen Anhaltspunkt oder einen dezenten Hinweis, wo wir vielleicht weitersuchen könnten?“, fragte er.
„Sollte das nicht besser die Polizei machen? Wir sind schließlich Journalisten und sollten eigentlich nur Bericht erstatten“, stellte sie fest.
„Investigativer Journalismus ist megaspannend. Wir von der Presse haben häufig einen ganz anderen Status und werden von vielen nicht so wie die Polizei als pure Gefahr wahrgenommen. Außerdem haben wir ein ganz anderes Informationsnetzwerk als die Polizei“, erklärte Leon.
„Okay. Das ist im Sport tatsächlich ganz anders. Dort gibt es nur selten spektakuläre Erkenntnisse, die durch die Presse an die Oberfläche gebracht werden“, seufzte sie.
„Höre jetzt einmal ganz auf deine weibliche Intuition. Wo führt sie dich gerade hin? Wo könnten wir weiter recherchieren?“, fragte Leon.
„Hm, Tobi war in der Sporthalle seines Sportvereins, als er starb. Ich finde, wir sollten zuerst die Kameraden seines Sportvereins befragen. Vielleicht haben die ja eine Erklärung dafür, warum Tobi genau dort hing“, sagte sie nach kurzer Überlegung.
„Klingt sinnvoll. Gut, dann machen wir das genau so. Auch wenn noch nicht bewiesen ist, an welchem Ort er tatsächlich gestorben ist. Glaube mir, es geht nichts über ein gesundes Bauchgefühl. Vor der Pressekonferenz wird es etwas knapp. Heute ist aber Freitag. Die meisten dürften sicher früher Feierabend haben. Wir versuchen nachher den einen oder anderen ausfindig zu machen und zu interviewen“, erklärte Leon seinen Plan.
„Ich suche schon mal im Internet, auf der Vereinsseite, in den sozialen Netzwerken und nach Freunden“, kündigte sie an.
„Gut, dann rufe ich in der Zeit bei einigen Vereinsfunktionären an und frage nach Hinweisen über Vereinskameraden von Tobi. Vielleicht können wir mit Adressen und Namen bewaffnet nach der Pressekonferenz gleich durchstarten. Viel Neues erwarte ich dort ohnehin nicht.“
Gesagt, getan. Jeder machte konzentriert seinen Teil der Arbeit, bevor sie dann mit flottem Reifen und Vanessa am Steuer zur Pressekonferenz im Polizeipräsidium fuhren. Leon stellte Vanessa einige Kollegen anderer Blätter und diverser regionaler Radio- und Fernsehsender vor. Dann wurde es langsam spannend: Kriminaloberrat Unterbeck, der Polizeipräsident, die Pressesprecherin und zwei weitere unbekannte Personen betraten das Podium und nahmen dort Platz. Die ersten Minuten berichteten sie nur über die Fakten, die Vanessa und Leon bereits kannten.
„Gleich wird es spannend. Der Rechtsmediziner aus Mainz ist auch dabei. Mal sehen, ob der Obduktionsbefund etwas Neues hergibt“, flüsterte Leon Vanessa ins Ohr.
„Herr Professor Menk vom rechtsmedizinischen Institut der Universität Mainz wird uns nun die wichtigsten Erkenntnisse aus der Obduktion zusammenfassen“, kündigte die Pressesprecherin an und übergab das Wort an einen hochgewachsenen schlanken dunkelhaarigen Herrn mit Mittelscheitel.
„Ja, danke. Meine Damen und Herren, auf einige Details kann ich aus ermittlungstaktischen Gründen und nach Absprache mit der Mordkommission hier leider nicht eingehen. Zweifelsfrei handelt es sich nicht um einen Suizid, wie man aufgrund der Situation beim Auffinden vielleicht glauben könnte. Der junge Mann wurde ohne jeglichen Zweifel ermordet.“ Ein Raunen ging durch den Saal. „Der Tod trat zwar schlussendlich durch das Ersticken im Rahmen des Erhängens ein, zuvor wurde der durchtrainierte muskulöse Mann aber betäubt und dann erst durch Fremdeinwirkung erhängt. Wie die Betäubung genau durchgeführt wurde, soll hier nicht dargestellt werden, ist uns aber prinzipiell bekannt. Der Todeszeitpunkt muss etwa vier bis fünf Stunden vor dem Auffinden eingetreten sein.“ Der Professor legte seine Papiere vor sich auf das Pult und nickte der Pressesprecherin zu.
„Danke Herr Professor Menk für die Ausführungen. Gibt es bis hierhin Fragen?“ Sie schaute in die Runde. Aus wenigen Wortmeldungen wurden zunehmend mehr. „Frau Bündgen, Radio Koblenz“, sagte sie und zeigte auf eine dynamisch wirkende Dame in der ersten Reihe.
„Gibt es schon irgendeinen Verdacht zum Täter“, fragte die junge langhaarige Blondine.
„Eigentlich meinte ich Fragen zum Obduktionsbefund. Aber trotzdem kurz zu Ihrer Frage: Nein, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Die Obduktion konnte erst heute Vormittag abgeschlossen werden. Bis dahin war ein Suizid noch nicht ausgeschlossen. Sie haben gerade ganz frisch und fast zeitgleich mit uns die neuesten Erkenntnisse erfahren. Viel mehr haben auch wir noch nicht – leider. In den nächsten Stunden und Tagen werden nun konzentriert die weiteren breit angelegten Ermittlungen durchgeführt werden, nachdem jetzt eindeutig die Fremdeinwirkung bewiesen werden konnte“, führte die Pressesprecherin nichtssagend aus. „Wir werden mit Hochdruck daran arbeiten den oder die Täter zu finden“, soviel kann ich versprechen.
„Herr Walters, Koblenzer Tageskurier“, erhielt er mit einem Fingerzeig das Wort.
„Gibt es bisher Erkenntnisse, ob der Tod des jungen Mannes im weitesten Sinne etwas mit dem bekannten wohlhabenden Vater des Opfers zu tun hat?“, fragte Leon.
„Gut, wie ich sehe, sind wir bereits in der allgemeinen Fragerunde. Herr Professor Haberkorn ist ein hoch geachtetes Mitglied unserer Stadt. Natürlich hat die Familie auf die Todesnachricht sehr betroffen reagiert und war mit Rücksicht hierauf in den ersten Stunden nicht direkt vernehmungsfähig. Wir ermitteln wie immer in alle Richtungen. Es gibt aber bislang keine Erkenntnisse darüber, ob der Tod von Tobias Haberkorn irgendetwas mit der Funktion des Vaters zu tun hat, wie beispielsweise ein Racheakt oder ähnliches. Ich nehme an, ihre Frage zielte in diese Richtung, Herr Walters, da der Vater seit vielen Jahren als Arzt praktiziert“, führte Kriminaloberrat Unterbeck aus.
„Ja, genau. Danke. Führten denn die Tatsachen weiter, dass sich das Opfer sehr unter Leistungsdruck zu befinden schien und auch offensichtlich bei Gleichaltrigen nicht sehr beliebt war?“, schob er als Fragen nach.
„Bitte jeder erst einmal nur eine Frage, damit alle eine Chance haben und wir zügig durchkommen, Herr Walters. Nein, um die Frage dennoch zu beantworten. So weit sind wir noch nicht. Wir sind erst ganz am Anfang“, antwortete der Kriminaloberrat trotzdem.
Der Rest der Pressekonferenz brachte wie erwartet keine wirklich neuen Informationen. Sie führten noch ein wenig Smalltalk mit einigen Kollegen und gingen dann zügig zu ihrem Wagen.
„Wohin fahren wir jetzt?“, fragte Vanessa und schaute Leon mit großen fragenden Augen an.
„Wir sind noch recht früh dran. Viele werden jetzt sicher noch auf der Arbeit, an der Uni oder unterwegs nach