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meine Gedanken und lenkt die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung.

      Dort stolziert ein Uniformierter mit strenger Miene umher. In der rechten Hand hält er einen schwarzen Stock, den er respekteinflößend umherschwenkt. Raffael Fabian Samwe steht ganz offensichtlich auf der Seite der Macht, die Einheimischen befolgen jede seiner Anweisungen. Scharenweise strömen sie weiter in den Bahnhof und lassen sich ehrfürchtig, ohne die geringste Gegenwehr, bei der Suche nach einem Sitzplatz führen. Bloß nicht aus der Reihe tanzen. Wer keinen Bahnhofstuhl findet, sucht schnell und möglichst unauffällig einen freien Flecken auf dem gekachelten Boden oder den mitgebrachten Taschen und Säcken.

      Ob stehend, sitzend oder liegend, wir alle sind durch ein gemeinsames Ziel verbunden. Wir wollen Zug fahren. Vier Mal pro Woche erwacht der Bahnhof kurz und heftig zum Leben. Freitag und Dienstag, wenn ein Zug abfährt. Sonntag und Donnerstag, wenn er zurückkommt. Anderntags herrscht gähnende Leere. An diesen Tagen reihen sich nur kleine Grüppchen geduldig vor den Ticketschaltern, hinter denen Fahrscheine noch handschriftlich ausgefertigt werden.

      Tanzania Zambia Railway Authority, kurz TAZARA, heißt der Betreiber der 1860 km langen Strecke nach Kapiri Mposhi in Sambia. The Great Uhuru Railway, der Zug der Freiheit, wie er einst hieß, ist eine afrikanische Idee, die in den Sechzigerjahren entstand, um den Export von sambischem Kupfererz zu erleichtern. Nachdem internationale Kapitalgeber ihre Unterstützung verweigerten, reisten die Präsidenten Tansanias und Sambias, Julius Nyerere und Kenneth Kaunda, nach China, stießen dort auf höchstes Interesse und traten die Rückreise an mit einem dreißigjährigen zinslosen Kredit in Höhe von unglaublichen 500 Mio. US-Dollar im Gepäck.

      »Die Bahnlinie wurde 1976 in Betrieb genommen«, erzählt Raffael freundlich, die wartende Menge nicht aus den Augen lassend. Schnell winkt er einen Drängler zur Ordnung. Rolf nimmt stumm Haltung an und schlägt die Hacken zusammen. Raffael lächelt milde. Er hat Gefallen an Rolfs Blödsinnigkeiten gefunden und beginnt ein Gespräch, während sich seine uniformierten Mitstreiterinnen in Position bringen. Korpulente Matronen mit grimmigen Gesichtern und strammen Waden, trotz Hitze mit dicker Wolle bestrumpft.

      Wir werden in ein Séparée geschoben, das für Fahrgäste der 1. Klasse vorgesehen ist, die VIP-Lounge. Nichts lenkt vom Warten ab. Wir sitzen auf festgeschraubten Stühlen mit speckigem Lederbezug und starren auf kahle Wände. Ein an die Wand geschraubter Fernseher verweigert den Dienst. Das spärliche Mobiliar einer entkernten Bar lässt Angebot und Nachfrage ganz sicher nicht zusammenkommen. Dann eben warten. Einfach nur warten.

      Mit uns dösen ein paar Einheimische sowie eine Handvoll Wazungu, auf Kiswahili die Bezeichnung für Fremde oder Weiße. Ein unscheinbares Pärchen Mitte dreißig. Daneben ein hagerer Grin mit Mohawk, sonnengegerbt, Typ einsamer Wolf, der ein unerhört dickes Buch liest. Ferner zwei elegant aussehende silbergraue Damen unbestimmbaren Alters. Französinnen mit Rollkoffer, Sonnenbrille im Haar und dezentem Goldschmuck an Hals und Gelenken, die sich mit sprudelndem San Pellegrino aus einer kühlen Glasflasche verwöhnen, während wir Lauwarmes aus verbeultem Plastik nuckeln. Respekt, Franzosen haben es einfach drauf.

      Eine halbe Stunde vor Abfahrt kommt Bewegung in die Masse. Die gewichtigen Matronen geben den Weg zum Bahnsteig frei. Eine Menschenmenge in bunten Kleidern und Tüchern strömt hastig in Richtung Zug. Dank Helmut Suitner, einem Österreicher, der seit zwanzig Jahren in Dar es Salaam lebt und hier bis Ende 2012 als Honorarkonsul tätig war, sind wir mit Platzkarten versorgt und trödeln der Masse gemächlich hinterher. Der Zug ist stets gut gebucht, Reservierungen müssen rechtzeitig erfolgen. Keine einfache Sache, wenn man nicht Wochen vor Abfahrt des Zuges anreisen kann und die lokalen Reisebüros an dem gewünschten Service kaum Interesse zeigen. Für Tansania können zwar aufwändigste Safari-Touren allerorten und zu jedem Preis gebucht werden, einfache Zugtickets hingegen nicht. Auch nicht über die gut sortierte Internetseite von TAZARA. Sie offeriert dem Interessierten Unmengen an Adressen, die sich jedoch als herrenlose Briefkästen erweisen. Keine meiner Mails wurde je beantwortet. Blieb das gute alte Netzwerk. Dr. Klaus Goebel, 2. Vorsitzender des Traditionsverbands ehemaliger Schutz- und Überseetruppen – Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e. V., half unermüdlich mit Informationen rund um die Liemba und stellte auch den Kontakt zu seinem langjährigen Bekannten Suitner her, heute Manager von Leisure & Safari Tours Ltd., der sich schließlich um unsere Platzkartenbuchung kümmerte. Ohne ihn hätten wir jetzt wohl ziemlich alt ausgesehen und mächtig um einen einigermaßen komfortablen Platz im Zug kämpfen müssen.

      13.50 Uhr. Unerwartet pünktlich schrillt eine Pfeife. Die stählerne Raupe startet ihren langen Weg gen Süden. Bei TAZARA reisen Männer und Frauen getrennt. Wer dennoch gemeinsam logieren will, muss ein ganzes Abteil buchen. Vier Liegen, zwei unten, zwei oben. Dazu gibt es Kuscheldecken, Kopfkissen und Bettlaken. Toiletten am Ende der Waggons, wo sich Löcher im Boden öffnen, wenn man auf ein Stück Metall tritt. Das Gleisbett rast vorbei. In bunten Plastikbottichen schwappt Spülwasser unruhig hin und her. Willkommen in Afrika.

      Die Trassenführung der Bahn, so heißt es, sei von chinesischen Fachleuten bei einem neunmonatigen Fußmarsch festgelegt worden. 30 000 Afrikaner und 16 000 Chinesen sollen an der Strecke gearbeitet haben. 300 Brücken, 25 Tunnel und 60 Stationen passiert der Zug. Meist gemächlich dahinruckelnd, während seine Insassen Bekanntschaft schließen und Reisegarn spinnen.

      Rolf hat den Mohawk ins Visier genommen. »Darren«, stellt der sich mit tiefer Stimme vor und zieht kräftig an einer Selbstgedrehten, bis der Qualm sein verlebtes Äußeres vollständig umnebelt hat. Tiefe Falten durchziehen das fahle Gesicht. Er scheint seit Jahrzehnten nichts anderes zu tun, als kettenrauchend Zug zu fahren. »Ihr wollt also mit der Liemba reisen?«, fragt Darren treffsicher, als wir vom Tanganjikasee berichten. Das unscheinbare Pärchen neben uns lauscht aufmerksam. Die beiden haben noch nie von dem Schiff gehört. Sie fragen uns Löcher in den Bauch und überlegen ernsthaft, ihre ursprünglich geplante Reiseroute in Richtung Malawi über den Haufen zu werfen.

      Wir starten eine Tour zum Bordrestaurant. Verwöhnt vom Dahinschweben deutscher ICEs, torkeln wir wie angetrunkene Yetis durch die schwankenden Waggons und stürzen bei jeder kleinen Kurve von einer Seite zur anderen. Ping. Pong. Nach einer Weile erreichen wir derangiert den dicht belagerten Tresen. Ping. Angeregt palavern Männer wie Frauen jeglichen Alters und trinken sich munter durchs Angebot. Pong. Standfestigkeit ist längst nicht mehr von Bedeutung. Schrill kracht Musik aus einer viel zu kleinen Box. Ping. Nur der Barkeeper hält sich wacker. Pong. Uns gelingt die Bestellung des Abendmahls: Hühnchen mit Chips und Gemüse. Lieferung ins Abteil, wenn das mal gut geht. Ping. Etwa eine Stunde später scheppert ein Rollwagen mit Zugbegleiter durch die Gänge und erreicht unfallfrei seine hungrigen Gäste. Pong.

      »Die Qualität des Zuges ist eine Schande«, sinniert Kiume in gutem Englisch, während er an einem mageren Huhn kaut. Er ist Grundschullehrer in Mlimba, hochgewachsen und hager. Reist in schwarzer Hose und Jacket, ohne Gepäck. Maalik, Mitte dreißig vielleicht, bleibt zunächst schweigsam und tippt eifrig auf seinem Laptop herum. Von Anfang an habe die Linie Verluste gemacht, sagt Kiume, weil sie aufgrund fehlender Wartung oft außer Betrieb war. 1983 seien die chinesischen Experten zurückgekehrt. Seitdem fahre sie verlässlich. »Dabei gilt TAZARA als eine der gut erhaltenen Eisenbahnstrecken Afrikas«, ergänzt Maalik, als der Zug kurz vor Kisaki abrupt zum Stehen kommt und plötzlich strenger Geruch in unser Abteil zieht. Junge Männer schreien sich aufgeregt an und laufen hektisch durch die Gänge. Einige klettern auf die Gleise und funzeln mit ihren Handys durch die Nacht. Bald treibt auch Kiume die Neugier nach draußen. Er verlässt unser Abteil, um wenig später mit aufgerissenen Augen wieder hereinzuschauen. »Es brennt!«

      Wo? Alle schnattern wild durcheinander, hängen gaffend an Fenstern und Türen. Der Rauch wird stärker, unklar, aus welcher Richtung. Ein Feuerlöscher wird vorbeigetragen und ins Dunkel gehievt, mitten hinein in den nächtlichen Park des Selous Game Reserve, ins Jagdrevier hungriger Raubtiere. Lichtkegel fallen auf die angespannten Gesichter der Ersthelfer. »Da läuft einer mit Gewehr!« Kiume zeigt in die Nacht und fragt einen Zugbegleiter nach Neuigkeiten. Die Bremsscheibe unseres Nachbarwaggons sei blockiert und habe während der letzten Kilometer zu glühen begonnen. Das dadurch ausgelöste Feuer sei unter Kontrolle. Nun müsse nur noch die verdammte Bremse gelöst werden.

      Eine Stunde später setzen die chinesischen Waggons ihre poltrige Fahrt


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