Der Garten der Welt. Ludwig Witzani
auch immer mehr eine Stadt der Sünde geworden ist, die wunderbaren Inseln und Strände des südchinesischen Meeres und der Norden um Chiang Mai und Chiang Rai, wohin es die Thailand-Novizen zieht, die in Indochina nicht nur beachen sondern auch ein wenig trekken wollen. Davon handelt der Bericht „Lächeln nur gegen Bares“.
Wer sich die Mühe macht, von Chiang Mai aus nicht direkt, sondern etappenweise nach Bangkok zurückzufahren, kann seine Tour wie eine Zeitreise gestalten. Zuerst nach Sukothai, zur ersten Hauptstadt Thailands, dann nach Ayutthaya, der zweiten Hauptstadt, um schließlich in Bangkok, der aktuellen Metropole, anzukommen. „Für Buddha sind tausend Jahre wie in Tag“ beschreibt eine solche Reise durch die thailändische Geschichte.
In Bangkok aber endet das Begreifen. Gegenüber der ausufernden Zehnmillionen-Metrople am Chao Praya versagen die Verständniskategorien. So oft habe ich mich in Bangkok aufgehalten, ohne wirklich einen dauerhaften Zugang zu dieser Stadt zu finden. „Bangkok, du machst mich fertig“ spiegelt diese Hilflosigkeit ein wenig wieder.
Ein deutscher Bundespräsident hat die Menschen seines Landes einmal in „Helldeutschland“ und „Dunkeldeutschland“ eingeteilt. Wenn man so will, gibt es auch in Thailand einen „dunklen“ Bereich, der aber vielleicht mehr über einen bestimmten Typ von Besucher als über das Land selbst aussagt: Pattaya, eine der weltweit bekanntesten Anlaufadressen des Sextourismus. „Melancholie am Golf von Siam“ beschreibt eine Begegnung mit Pattaya und dem mit dieser Stadt unauflösbar verbundenen Sextourismus.
Seine zauberhafteste Seite aber zeigt Thailand zweifellos in seinem Süden, in der Wunderwelt der Berge von Phangh-Nga, in Phi-Phi-lsland, das sich inzwischen von den Verheerungen des großen Tsunamis erholt hat, in Krabi, Surathani oder auf den Inseln des südchinesischen Meeres. Einen Einblick in diese Welt der Strände von Ko Samui, Ko Tau, Krabi oder wie immer diese Orte auch heißen mögen, werden sie in diesem Buch nicht finden, weil es an diesen Stränden vornehmlich um die Touristen und nicht um Thailand geht. Einen alternativen Einblick in die Tropenregion des Südens bietet stattdessen das Kapitel über „Die Affenschule von Surathani.“
Seenlandschaft in Phang Nga / Südthailand
BANGKOK, du machst mich fertig
Ein Stoßseufzer
,,Den ganzen Tag sieht man Buddhas" schreibt Ces Nooteboom über Bangkok ,,In der Halle des Hotels, im stinkenden Bus oberhalb des Rückspiegels, im Süßwarenladen, in der Vitrine." Ach, wenn es doch so wäre! Die Wahrheit ist: in Bangkok sieht man viel mehr Automobile als Buddhas. Scheppernde, lackierte, rostige, zerbeulte, aufgemotzte, überfüllte, hupende Fortbewegungsmittel auf zwei, drei oder vier Rädern, die sich wie eine bösartige Prozession über die Hauptverkehrsstraßen quälen - das ist der erste Eindruck, den der Besucher auf seiner Fahrt vom Don Muang Airport in die Innenstadt erhält. Wo er das Land des Lächelns erwartete, empfangt ihn der permanente Verkehrskollaps, und statt des ewigen Frühlings erwartet ihn die Schwüle einer Zehn-Millionen-Stadt.
Bangkok, Du Schöne, wo dereinst die keusche Anna mit dem König flirtete - was ist aus Dir geworden? ,,Ein gigantischer mobiler Parkplatz", sagen die einen, denn die Gesamtheit der zugelassenen und nicht zugelassenen Fahrzeuge ergibt aneinandergereiht die zwanzigfache Länge des städtischen Straßensystems. ,,Die Welthauptstadt der üblen Gerüche" ergänzen die anderen, denn wo früher am Chao Phraya Grünflächen die schmucken Häuser umgaben, da stinkt der träge Strom heute beinahe so zum Himmel wie die Abgase aus Millionen Auspufftöpfen. Hochstraßen, die entweder nicht fertig werden oder wegen der Mautgebühren nur von wenigen befahren werden können, Hochhausruinen, die seit der Asien-Krise des Jahres 1998 verrotten, Energie-, Müll- und Abwassersysteme, die unter der Beanspruchung der Millionen regelmäßig zusammenbrechen - man kann es drehen und wenden wie man will: aus Bangkok, der zauberhaft-verschlafenen Hauptstadt der siamesischen Hinterwelt, ist ein urbaner Moloch geworden, der im eigenen Blech und Beton zu ersticken droht. Trotzdem besuchen alljährlich Millionen ausländischer Touristen vollkommen freiwillig und ganz ohne Bezahlung die Stadt. Wie ist das möglich?
Mit den Touristen, die eine Stadt besuchen, verhält es normalerweise wie mit den Gästen, die in einem Lokal verkehren - man passt irgendwie zusammen, ohne dass man recht weiß, wieso. Nicht so in Bangkok, das zwar millionenfach besucht wird, mit seinen Touristen aber in Wahrheit genauso wenig am Hut hat wie diese mit der Stadt. Die meisten Pauschalurlauber erleben von Bangkok ohnehin nur die Prospektfassade: Tempelbesuche, Klong-Ausflüge, Sightseeing-Touren und der Besuch der unsäglichen schwimmenden Märkte von Damnoen Saduak bestätigen in ihrer Gesamtheit genau die Klischees, die die Besucher vom exotischen Siam erwarten. Gehorsam wie eine Herde Lämmer verspeisen sie in Touristenlokalen ihr grotesk überwürztes Thai-Food, lassen sich von ihren Fremdenführern in Souvenirläden schleppen und sind heilfroh, endlich ihren vorgebuchten Badeurlaub in Phuket oder Kosamui anzutreten. Die Individualtouristen haben mit der Stadt genauso wenig im Sinn. Als würden ganze Nester dieser juvenilen Spezies in Bangkok ausgebrütet, wohnen sie zu Tausenden in und um die Khan San Road, legen vor oder nach anstrengenden Reiseetappen durch Java, Burma oder Vietnam in der exzellent organisierten Travellerszene von Bangkok die Beine lang und lassen sich vom musikalischen, sprachlichen und kulinarischen Ambiente der fernen Heimat verwöhnen. Je mehr Länder diese weitgereisten Westler auch gesehen haben, desto mehr scheinen sie sich zu gleichen: ärmelloses T-Shirt, Germanenschwänzchen, Reispflückerhose, Sandalen und Bauchtasche - so sitzen die Kinder von Tony Wheeler und Paul Theroux in den Restaurants und achten mit Argusaugen darauf, dass kein Baht zu viel in den Taschen der Frauen landet, die ihnen die Wäsche waschen, das Essen kochen und die Zimmer schrubben.
Werden die Pauschalurlauber mit ihren eigenen Klischees und die Individualreisenden mit den Vibrationen ihres eigenen Milieus befriedigt, bleiben für die Sextouristen, die in unbekannter aber sicher beachtlicher Zahl tagaus tagein in Bangkok einfallen, nur die Fiktionen. Im Umkreis des Rotlicht- und Vergnügungsviertels rund um die Patpong Road ist nichts wirklich das, was es zu sein vorgibt: die Thai-Boxer präsentieren nichts weiter als eine artistische Show, und die jungen Frauen, die die Getränke ausschenken, machen den westlichen Dickbäuchen schöne Augen. Umlagert von rösigen Junggesellengemeinden aus Bombay, Hamburg oder Taipeh tanzen blutjunge Mädchen in völlig verspiegelten Sälen, die Lichtorgel flackert, die Bässe dröhnen und über der ganzen Szene liegt eine derartige Aura der Tristesse dass man heulen könnte: wie seelenlose Barbiepuppen agieren die Frauen, und die Gier steht der internationalen Kundschaft wie ein Kainsmal im Gesicht geschrieben.
Gibt es denn in Bangkok außer der Khao San und der Patpong rein gar nichts zu sehen? Doch schon, aber nur wenn es nicht zu heiß ist und wenn man genügend Zeit mitbringt. Aber Hand aufs Herz: wer findet wirklich einen Bezug zu den steinernen Tempelwächtern, den Mandalas und all den Glöckchen an den Klostersimsen? So eklektisch und elektrisch wie den Wat Phra Keo stellen sich die meisten Touristen die Regierungssitze von Aliens vor, und fast schon wieder sehenswert in seiner scheußlichen Geschmacklosigkeit ist der Königspalast neben dem Wat Phra Keo, ein schrilles Neuschwanstein, in dem die Touristengruppen in ihren grellen Klamotten einherwandeln wie eine farblich abgestimmte Staffage. Weltsehenswürdigkeiten wie die Schwedagon-Pagode in Rangun oder den Bayon Tempel in Angkor wird man in Bangkok vergeblich suchen- allenfalls am Wat Arun, dem Kloster der Morgenröte, oder auf der Aussichtsempore des Wat Saked auf dem Goldenen Hügel, wird man kurz nach Sonnenaufgang und in der Abenddämmerung ein wenig von jenem Glück empfinden können, das Asien seinen Besuchern in so reichem Maße schenken kann.
Doch was die Touristen auch immer treiben mögen, die überwiegende Mehrheit seiner Bewohner kümmert es wenig. Marktfrauen und Tuk-Tuk-Fahrer, Busschaffner, Garküchenköche, Schuhputzer, Lastenschlepper - all die Menschen, die im Unterschied zu den touristischen Dienstleistern nicht vom ausländischen Besucherstrom profitieren, haben genug damit zu tun, sich von morgens bis abends