DAS Erste Große BetrugsOpferBUCH. Hedwig v. Knorre
machen müssen. Die hätte dafür zu dieser Zeit jemand anders gemacht. Dann hätte ich mich nie mit dem ekligen Thema „Betrug“ beschäftigt und würde jetzt dieses Buch nicht schreiben.
Diese Entwicklung wäre mir viel lieber gewesen! Aber damals hatte ich nun einmal nicht den Zugang zu den relevanten Informationen. Und darum kam dann alles so, wie es kam.
Hätte ich damals mit meinen Kontrollen die Wahrheit über Jochem heraus gefunden, wäre meine Konsequenz die Tren-nung in diesem frühen Stadium der Beziehung gewesen, fast ohne Schaden, zumindest ohne materiellen, zumindest für mich.
Kontrollen müssen mit Konsequenzen verknüpft sein. Sonst machen sie keinen Sinn. Als Mutter kontrolliere ich die Hausaufgaben meiner Kinder. Sind sie unvollständig oder schludrig gemacht, bestehe ich aufs Weiterarbeiten. Am folgenden Tag kontrollieren die Lehrer die Hausaufgaben. Sind sie unvollständig oder schludrig gemacht, ist die Konsequenz, „nochmal machen!“ und oft sogar eine zusätzliche Strafarbeit.
Im großen Rahmen, in unserem Staat, ist die Justiz für Kontrollen und Konsequenzen zuständig. Als gutes Beispiel dient das Gewaltschutzgesetz, das 2002 verabschiedet wurde. Seither endet die Kompetenz der Polizei bei häuslicher Gewalt nicht mehr an der Wohnungstür. Ruft ein Nachbar bei der Polizei an, kommt sie, geht in die Wohnung und kontrolliert sie auf Anzeichen von Gewalt hin. Meist schlagen Männer zu Hause ihre Frauen. Meist steht in der Folge also ein Mann vor Gericht. Die Konsequenz / Strafe ist dann nicht, dass er ins Gefängnis kommt, sondern er muss einen Kurs „soziales Training für Täter häuslicher Gewalt“ absolvieren und selbst bezahlen. Da sind sie sehr human.
Das finde ich gut. Und die Straftat hängt nicht mit Geld zusammen. Bei Betrug läuft es anders.
Polizeiliche Ermittlungen im staatlichen Kontrollsystem.
Als die KommissarInnen gegen Jochem ermittelten, fanden sie vieles, was ich als schlimme Verbrechen werte. Nicht nur ich, auch alle meine FreundInnen. Doch Polizei und Staatsanwaltschaft waren sich einig, „das reicht nicht für einen Haftbefehl, für ein Gerichtsverfahren“. Erst als ein Kleinunternehmer Jochem anzeigte dafür, dass er ihn um 150.000 Euro Schwarzgeld betrogen hatte, wurde ein Strafverfahren angestrebt. Solch eine hohe Summe fand unsere Justiz nötig, um weiter zu kontrollieren, um Konsequenzen zu ziehen. Obwohl der Unternehmer keinen echten Schaden erlitt. Er fuhr weiterhin seine großen teuren Autos, weiterhin in Urlaube und baute sich sogar ein großes, schönes Haus. (Ich gönne es ihm.) Ich dagegen war durch Jochems Betrug hoch verschuldet, insolvent und verarmt. Oft wusste ich nicht, wie ich tanken sollte, um mit meinem alten Auto zur Arbeit zu fahren, oder wie ich die Strom-rechnung bezahle. Trotz extremer Sparsamkeit, versteht sich. Der Grund dafür war Jochems Betrug. Doch meine Summen waren der Justiz zu gering. Unser Schaden zählte bei der Justiz nicht. Für uns hat sie nicht kontrolliert. Nicht unseretwegen kam Jochem als Konsequenz ins Gefängnis.
Zuerst wollte die Justiz Jochem nicht kontrollieren.
Später gab es keine angemessene Konsequenzen für Jochems Verbrechen.
Frage: Warum?
Antwort: Weil es sich um Betrug handelte. Das hat Prinzip. Doch dazu später mehr.
Kontrolle und Strafen anstelle von Vertrauen
Wie schon gesagt, ist die Kontrolle mit ihren Konsequenzen das „Dach“ auf dem Haus sozialer Beziehungen. Nie darf ein Dach zu schwer werden für sein Fundament. Das gilt für reale Häuser ebenso wie für soziale Beziehungen. Und erst recht kann ein Dach kein Fundament ersetzen! Denn das starke, tragendes Fundament ist der wichtigste Teil des Gebäudes. Und wenn im Fundament etwas nicht stimmt, nützt es wenig, das Dach zu verstärken. Im Gegenteil, das wäre sogar kontraindiziert! Ein zu schweres Dach würde „den Riss“ vergrößern – und auf Dauer das Gebäude zum Einsturz bringen.
Ist das nicht eigentlich ein einfaches, logisches Grundwissen?
Darum wundere ich mich immer wieder, wenn ich erlebe, dass gegen Jugendgewalt und -kriminalität mit restriktiver Polizei-gewalt und härteren Strafen vorgegangen werden soll. Haben diese Jugendlichen nicht längst viel zu viel Überdruck erlebt, viel zu wenig Gutes? Ist nicht klar, dass sie nun re-agieren auf jahrelang erlebte Gewalt statt Fürsorge, mit tiefem Misstrauen re-agieren auf mangelhaft erlebte Vertrauenswürdigkeit?
Der häufigste Grund dafür, dass „schwierige“ Kinder und Jugendliche „schwierig“ sind, ist die Tatsache, dass sie keine ausreichende Vertrauenswürdigkeit erlebt und darum nur eine entsprechend schwache Vertrauensfähigkeit entwickelt haben. Logischerweise müsste also an diesem fundamentalen Geschehen angesetzt werden. Die „schwierigen“ Kinder und Jugendlichen bräuchten ausgebildete Erwachsene, die das Vertrauen-Lernen mit ihnen nachholen. Nachhilfe im Vertrauen-Lernen, sozusagen. Da gibt es gute Ansätze, aber im breiten öffentlichen Bewusstsein ist dieser Gedanke nicht verankert. Es wäre die bessere und unterm Strich auch die billigere Variante.
Beispiel aus meiner Berufspraxis
Nachdem ich zum Betrugsopfer wurde und das Denken der Justiz kennen lernte, beobachtete ich meine Umgebung gründlich auf die Elemente „Vertrauen – Kontrolle“ hin. Damals war es auf meiner Station üblich, dass die jeweilige Schichtleitung im rotierenden System den Giftschrankschlüssel um den Hals und in dieser Schicht die Verantwortung für den Giftschrank trug. Im Giftschrank wurden sowohl die genehmungspflichtigen Medikamente wie Methadon als auch Rezepte usw eingeschlossen, also alles, was zu Missbrauch verführen könnte und darum besonderer Bewachung bedurfte. Auch in der Funktion der Schichtleitung mussten wir unsere normale Arbeit in den Zimmern tun. Nachdem einmal ein paar Tropfen Methadon fehlten, führte die Stationsleitung ein neues Kontrollsystem ein. Es bestand aus einer Liste mit allen Inhalten des Giftschranks. Bei jedem Schichtwechsel sollten die beiden Schichtleitungen alle Methadon-Tropfen usw zählen und eintragen, ebenso das Geld in der Stationskasse, die Rezepte usw. und anschließend unterschreiben. Das dauerte bei hoher Konzentration knapp 20 Minuten. Natürlich war das im sowieso überlasteten Krankenhausalltag nicht zu leisten. Meist übertrugen wir einfach die Zahlen aus der vorigen Spalte und unterschrieben schnell. Weiter war es üblich, dass eine Kollegin, die etwas aus dem Giftschrank benötigte, sich mit diesem Anliegen an die Schicht-leitung wandte. Nach der Einführung des neuen Kontrollsystems war ich einmal als Schichtleitung in einem meiner Zimmer zur Erstmobilisierung einer „frischen Sectio“. Eben hatte ich einer Frau feinfühlig geholfen, mit ihren starken Schmerzen erstmals nach ihrem Kaiserschnitt aus ihrem Bett aufzustehen und ich achtete auf Anzeichen, ob sie womöglich kollabiert, da kam eine Kollegin herein gestürmt: „ich brauch' ein Rezept, gibst du mir den Gift-schrankschlüssel“. Ich nahm ihn vom Hals und reichte ihn ihr, sie stürmte aus dem Zimmer. Ich begleitete „meine Frau“ weiter und leitete sie an... und vegass, wie üblich, im stressigen Stations-getriebe den Giftschrankschlüssel bis zum Schichtwechsel. Ich wusste ihn ja wie immer bei der Kollegin gut aufgehoben. Doch die gestrenge Stationsleitung tadelte mich: „den kannst du doch nicht einfach aus der Hand geben! ...musst doch kontrollieren!“ Ich dachte mit: „die frische Sectio wieder zurück ins Bett – solange muss die Kollegin auf mich warten. Dann neben ihr stehen, ihr auf die Finger schauen. Das dauert. Dann zurück, mit der frischen Sectio von vorne anfangen. Haben wir die Zeit? Und wenn die Kollegin eine Pille oder ein Rezept raus nehmen will, kann sie das auch geschickt vor meinen Augen tun, ohne dass ich es merke!“ Nein, diese Kontrolle war überflüssiger „Sand im Getriebe“ des überlasteten Krankenhausalltags ohne sinnvolle Funktion. Nachdem ich weiter darüber nachgedacht hatte, brachte ich das Gespräch später noch einmal auf den Giftschrankschlüssel: „und was, wenn mal was fehlt – ein paar Euro aus der Stationskasse, ein paar Pillen oder Tropfen, ein Rezept – wie geht’s dann weiter? Mit der Installation einer Überwachungskamera? Die wir auch mit ein wenig Geschicklichkeit überlisten können...“ nein, sagte ich, bisher haben wir einander vertraut. Mit den Kontroll-Listen tun wir nicht mehr als den Vorgaben Vorgesetzter zu genügen. Wenn wir einan-der nicht mehr vertrauen, können wir unsere Zusammenarbeit vergessen, dann läuft hier gar nichts mehr!
Damals frage ich mich wieder: hat die