Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt


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durch die Landschaft; zu beiden Seiten der Straße lag Wald. Trotz der frühen Morgenstunde ging bereits starker Verkehr zur Transitstrecke. F. steuerte den Wagen mit weit zurückgestelltem Sitz und ausgestreckten Annen – nach Art eines alten Herrenfahrers.

      Dass er kein Liedchen pfiff und seinen Schal durch das heruntergekurbelte Fenster wehen ließ, machte die Angelegenheit irgendwie unvollständig. Ich fragte mich, warum er ein derart auffälliges altes Automobil gewählt hatte …

      Wir fuhren an der Ausfahrt Nikolassee vorbei, als F. ins Handschuhfach griff, zwei BRD-Pässe herausnahm und mir einen davon reichte.

      »Ihr Name ist Horst«, sagte er, »Albert Horst. Wir waren zu den Zweitliga-Meisterschaften im Schwimmstadion Charlottenburg. Merken Sie sich die Daten. Hinten im Pass ist eine Hotelrechnung.«

      »Wer hat gewonnen?«, fragte ich.

      »Seien Sie nicht albern …«

      Wie fast immer, wenn ich als Beifahrer im Wagen saß, machte mich das Donnern der ausscherenden und überholenden Lastzüge nervös (F. fuhr ungewöhnlich langsam und äußerst rechts – der übliche Trick, um eventuelle Verfolger zu entlarven, die dann ebenfalls langsamer fahren mussten). Außerdem verspürte ich einen ziehenden Kopfschmerz, der vermutlich von den verschiedenen Sorten Weißwein herrührte, die ich am Vorabend getrunken hatte. Ich zuckte die Achseln und suchte in den Jackentaschen nach der Packung Ampheton-Kapseln. Ich drückte eine davon aus der Folie.

      »Nicht jetzt«, sagte F. und schlug mir die Packung aus der Hand. Sie fiel auf die Fußmatte zwischen Schalthebel und Gaspedal. Die einzelne Kapsel rollte unter den Sitz.

      Er bohrte ärgerlich seinen Absatz in die Schachtel.

      Ich sah schweigend aus dem Fenster. »Entschuldigen Sie«, meinte er nach einer Weile missmutig, »aber es ist genau das, was wir jetzt nicht brauchen können. Wir fahren über die Transitstrecke, und Sie sollten Ihre Sinne beieinander haben. Wir könnten in eine Kontrolle geraten. Lernen Sie die Daten auswendig. Das lenkt Sie ab.«

      Ich ließ die einzelne Kapsel, wo sie war, klaubte die Schachtel unter dem Gaspedal hervor und steckte sie in meine Jackentasche zurück. Er ließ es geschehen.

      Der Übergang verlief völlig ereignislos: Man kontrollierte lediglich unsere Pässe und Transitvisa.

      »Lieber Himmel, Cordes – Sie werden in mir doch keinen Teufel sehen wollen, der unschuldigen Zeitgenossen ans Leder geht«, sagte er, nachdem wir die Grenzposten passiert hatten. »Ich verabscheue die Gewalt wie jeder vernünftige Mensch. Es gibt wirklich nur ausnahmsweise eine Rechtfertigung dafür.

      Und die Sache wegen der Schachtel eben …«‚ er strich sich nervös mit der Hand über die Stirn. »Sie müssen das entschuldigen. Ich habe zur Zeit private Probleme. Ich bin etwas überreizt.«

      »Schon gut.«

      Er beugte sich übers Lenkrad und sah schräg nach oben durch die Windschutzscheibe zu den Autobahnschildern hinauf.

      »Unsere Aufgabe ist die Vorsorge. Wir schätzen Gefahren ab – realistisch, würde ich meinen. Aber natürlich: was bedeutet das Wort? Was ist Realismus? Darüber ließe sich endlos diskutieren. Statt dessen haben wir beschlossen zu handeln. Man hat schon einmal versäumt zu handeln! Mit tragischem Ausgang … Ich will die Fälle keineswegs gleichsetzen. Doch bei realistischer Einschätzung der Zukunft hätte Hitler bereits nach der Machtergreifung – im Januar / Februar 1933 – einem politischen Attentat zum Opfer fallen müssen.

      Nun fragen Sie mich nicht nach den Kriterien der Beurteilung – es gibt keine! Es wäre lächerlich, für solche Prognosen stringente Beweise zu verlangen. Alles, was wir haben, ist ein Leitfaden, eine vage Richtschnur im Dschungel der Möglichkeiten: dass nämlich die Frage nach der Moral oder Unmoral einer Handlung gegenstandslos wird, sobald ihre Unterlassung Elend und Leid in der Welt vermehren würde.

      Eine unabwendbare Konsequenz, nachdem das Rad des Bösen einmal in Gang gesetzt wurde … Im Übrigen helfe ich mir mit der Überzeugung, dass wir nicht wirklich verantwortlich sind: Wir reagieren nur. Für Außenstehende bleibt es natürlich leicht, von der hohen Warte einer angeblich autonomen moralischen Instanz aus zu verdammen und zu verurteilen. Vergessen Sie jedoch nicht: der Henkerberuf war nie angesehen, er ist eine Notwendigkeit, aber man darf keinen Beifall dafür erwarten.«

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