Das magische Armband. Janine Zachariae

Das magische Armband - Janine Zachariae


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war ständig einem gewissen Druck ausgesetzt. Wenn ich nicht die Leistung brachte, die erwartet wurde, gab es irgendeine Bestrafung. Als ich achtzehn war, löste ich mich langsam von ihm. Als er erfuhr, ich wolle ›nur‹ Lehrer werden und nicht Professor, war er sehr sauer. Danach brach der Kontakt ab und kurz darauf starb er.«

      »Was haben Sie empfunden, als Sie davon erfuhren?«

      »Es war seltsam, aber ich fühlte mich ...«, er zögerte und ich endete seinen Satz:

      »... befreit?« Er nickte. »Und deshalb haben Sie nun ein schlechtes Gewissen.« Erneut bestätigte er es. »Das ist okay. Sie haben getan, was Sie konnten. Irgendwann kommt man an einem Punkt, an dem es nicht mehr geht. Dieses Gefühl zu bekommen irgendwas muss sich ändern, denn so kann es nicht weitergehen. Wenn Sie sich nicht gelöst hätten, wären Sie vielleicht - heute - nicht der Mensch, der hier vor mir sitzt.«

      Er sah mich an, als wäre ich ein Alien. Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine und wischte den Tisch ab. Anschließend kochte ich Wasser und machte uns einen schönen Tee.

      »Kommen Sie, setzen wir uns auf das Sofa und sehen uns ›Bridget Jones 2‹ an.«

      »Woher weißt du, dass ich den Film sehen wollte?«, fragte er verblüfft.

      »Nur geraten«, sagte ich und zwinkerte kurz. Als er saß, ging ich noch mal in die Küche und machte ein Tablett zurecht. Schokolade, etwas Popcorn, geviertelte Äpfel und die Kanne Tee mit den zwei Tassen. Dazu ein Schälchen mit Zucker. Trug alles zum Couchtisch und ließ es dort. Anschließend legte ich die DVD ein und setzte mich zu ihm. Der Film lief eine halbe Stunde, da drückte er auf Pause und wandte sich zu mir: »Danke.«

      »Schon okay.« Er nickte und ich lächelte ihn an.

      »Du bist ein bemerkenswertes Mädchen«, stellte er fest.

      »Nein, das glaub ich nicht. Es ist nur so, weil ich so viel Zeit mit meiner Oma verbracht habe. Wer weiß, wie ich ohne sie wäre.«

      »Sie fehlt dir, oder?«

      »Mehr als ich mir eingestehen möchte«, gab ich zu.

      »Glaub ich dir.«

      »Es ist seltsam. Ich wusste ja, dass sie sterben wird und letztlich war es auch das Beste für sie. Es ging ihr wirklich nicht gut. Schon als man mir von ihrer Krankheit erzählte, wusste ich, was es bedeuten würde. Meine Eltern gaben sie auf. Und dafür hab ich sie sehr lange gehasst. Nein, eigentlich nur meinen Vater. Meiner Mutter war sie von Anfang an egal. Auch wenn ich es niemals vergessen kann, so war ich doch froh, bei ihr gewesen zu sein. Als sie ihre Augen schloss, hielt ich ihre Hand. Ich wollte nicht, dass sie alleine ist. Niemand sollte alleine sterben.«

      »Du bist sehr tapfer gewesen«, schlussfolgerte er.

      »Nein. Ich habe geflucht, geschrien, geweint. Als ich alleine war. Ich hab sogar ein paar Sachen zerbrochen. Als ich das Tagebuch fand, war es fast so, als wäre sie immer noch präsent. Wenigstens für den Moment.« Dann sah ich ihn an und flüsterte: »Das alles hab ich noch niemandem erzählt und es gibt noch etwas, was niemand weiß: Ich träumte eine Zeitlang von ihr und es war fast so, als würde sie zu mir sprechen. Als ob sie mir durch diese Zeit in meinen Träumen helfen würde. Als ob sie durch meine Träume Kontakt aufnehmen würde.«

      »Bemerkenswert.« In seiner Stimme schwang etwas mit, was ich nicht richtig deuten konnte. Als wäre es nichts Ungewöhnliches. Als hätte er mit so etwas gerechnet.

      »Es war erschreckend zu Beginn. Aber irgendwann ging ich, als ich träumte, bewusst auf sie ein und wir haben eine Unterhaltung geführt, die so Normal wirkte.«

      »Worüber habt ihr geredet?«

      »Das ich Ihnen trauen kann«, erzählte ich leicht verlegen und doch sehr offen.

      »Kannst du.«

      »Das weiß ich. Das wusste ich schon, noch bevor ich Sie im Klassenzimmer sah. Schon bei unserer ersten Begegnung, beim Bäcker, habe ich gewusst, Sie sind ein guter Mensch.«

      »Das ist nett«, er lächelte. Was für ein Lächeln!

      »Die Wahrheit. Meine Oma warnte mich auch. Irgendwas würde passieren. Aber ich wusste nicht, was sie meinte. Sie ging nie auf etwas direkt ein. Sie sagte nur: ›Du kannst ihm trauen.‹oder ›Du musst dich vorsehen, jemand will dir Böses.‹«

      »Woher weißt du dann, dass sie mich meinte?«

      »Ich fragte sie, ob ich Ihnen vertrauen kann und sie nickte. Aber da ich nicht wusste, wer mir Böses will, konnte ich sie nicht konkret fragen.«

      »Weißt du mittlerweile, was sie mit ›Hör auf dein Herz‹ meinte?«

      »Ja, das tue ich«, gestand ich.

      »Willst du es mir sagen?«

      »Nein, weil ich nicht darauf hören kann.«

      »Warum nicht?«, bohrte er nach.

      »Ich weiß, wem ich trauen kann und wem nicht. Ich weiß, ob mich jemand anlügt.« Jacob zuckte kurz zusammen, doch ging ich nicht darauf ein. »Aber bei gewissen Dingen kann ich nicht auf mein Herz hören.«

      »Du meinst, ob du jemanden dein Herz schenken willst?« Schulterzuckend sah ich ihn an. »Gibt es da jemanden?«

      »Das spielt keine Rolle. Derzeit hab ich zu viel Chaos um mich herum. Es wäre nicht fair, mich auf meine Gefühle einzulassen. Weder für mich, noch für jemand anderes. Wenn ich alt genug bin und mein Leben wieder Normal verläuft, dann kann ich darüber nachdenken. Aber derzeit geht mir zu viel im Kopf herum. Zudem wäre es unmöglich.« Erneut wollte er mehr erfahren. »Ja. Das möchte ich nicht. Ich will nicht noch mehr Kummer.«

      »Wer sagt, es würde mit Kummer enden?«

      »Weil es so sein wird.«

      Er nickte. »Muss aber nicht. Verrätst du mir, wer es ist?«

      »Es gibt da nichts zu verraten.«

      »Okay.« Wir schwiegen und wenige Sekunden später ließ er den Film weiterlaufen. Kurz darauf flüsterte ich: »Ich mag dieses Lied.«

      »Your love is King?«

      »Ja, weil ich den Sänger toll finde, der es in diesem Film singt.« Als er wieder zum Fernseher blickte, schaute ich ihn an und merkte, wie er lächelte.

      »Maja«, begann er, als der Abspann anfing, »du weißt eine ganze Menge. Du kannst anderen gute Ratschläge geben. Warum geht das nicht bei dir selbst?« Das stimmte.

      »Sie meinen, warum ich nicht meinem eigenen Rat folge?«

      »Genau.«

      »Es ist leichter, anderen zu helfen. Ich kann nur etwas sagen, was er oder sie bereits weiß. Tief im Inneren kennen sie immer die Antworten auf ihre Fragen. Nur ignorieren die meisten das. Es war das einzig richtig, als Sie sich damals von Ihrem Vater lösten, was Sie auch schon selbst gespürt haben. Sonst wären Sie womöglich nicht hier. Sie wussten es, noch bevor Sie ihn verließen.«

      »Mag sein.«

      »In meiner alten Schule gab es ein Mädchen, welches nicht nur gehänselt wurde. Sie wurde regelrecht schikaniert. Es war schlimm. Tag täglich hab ich das mitangehört und nichts dagegen unternommen. Ich bin nicht stolz darauf gewesen, aber es war so. Nein, ich machte nicht mit. Würde ich nie, hab ich nie. Aber auch nichts gesagt. Bis ich sie eines Tages fand. Sie wollte sich das Leben nehmen. Sie war unglücklich und wusste nicht mehr weiter. Als ich sie da sah und anfing, auf sie einzureden, wäre ich fast gescheitert. Doch sie hörte auf mich. Irgendwie. Ob es wegen meiner Beharrlichkeit war oder an meiner Wortwahl lag, weiß ich nicht. Ich hab sie nie gefragt. Und seitdem habe ich mir vorgenommen, auf meinen Instinkt zu hören. Wenn ich spüre, jemand leidet, versuche ich zu helfen«, erzählte ich. Niemals werde ich diesen Moment vergessen.

      »Unglaublich. Warst du mit dem Mädchen befreundet?«

      »Nein, ich kannte sie eigentlich nicht.«


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