Yasmin liebt. Theresia Maria Wuttke
Puls beschleunigte sich zusehends, diese Stimme hatte es ihr angetan. Das Lachen klang so satt, es hatte eine Tiefe, die ihr Herz in neue Räume entführte, wie eine Musik, die uralt und doch ganz jung zum Tanzen einlud.
Das Du am anderen Ende der Leitung erzählte, jeder Satz fiel auf fruchtbare Erde in Yasmin, ihr Boden war bereitet, gepflügt und wartete schon von der Sonne gewärmt auf den goldenen Samen, der jenseits aller Worte lag.
Yasmin hörte: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne … “
Ein erstes Treffen wurde lachend ausgemacht und in ihr begannen die Knospen ihres Lebensbaumes weiter aufzuspringen.
Noch war das Grün der Blätter nicht geboren.
Erwachen in einer neuen Welt
Die Wächter auf den Zinnen meldeten: „Der König kommt.“
Yasmin ließ die Tore öffnen, Fanfaren erklangen.
„Seid mir willkommen im Land meines Herzens.“
Der König: „Seid auch Ihr mir willkommen im Land meiner Seele. Ich lade Euch ein in meine Welt, die auch die Eure ist. Da seid Ihr Gebieterin einer Herrschaft, die größer ist als alle Herrscher dieser Welt. Ihr Name ist Hingabe.“
Eins-Sein
„Neues Leben sprudelt in mir wie ein ungestümer Bach, der die Wiesen herunterrauscht. Der Schnee des Winters hat ihn anschwellen lassen. Kleine Zicklein und Lämmer springen ungelenk über die Wiesen. Das Gezwitscher der Vögel begleitet das Fliegen meiner Seele“, so malten sich Yasmins Seelenbilder.
Sie ließ Ihren Gedanken und Gefühlen freien Lauf: „Dein Bild breitet sich in mir aus. Ich trinke deinen Atem, schmecke deine Haut, tauche ein in deine Sternenaugen und betrete einen neuen Kontinent.
Wer bist du, dass mich dein Herz und deine Hände verzaubern können und meine Seele in Sphären eintaucht, die ich ahnte und ersehnte, ohne zu wissen, wie es ist von dir in all meinem Sein geborgen zu werden, meine Grenzen zu sprengen und weiter und weiter über mich selbst hinauszuwachsen? Wenn ich in dein Gesicht schaue, verwandelt es sich in ein Antlitz wo meine Worte schweigen, weil deine Liebe strömt.“
Vertrau
Yasmin schaute in die Augen des Mannes, den sie in ihr Leben gerufen hatte. Sehr achtsam las sie die Signatur seiner Seele und lauschte nicht nur seinen Worten: Er ist seine Antwort. Jedes seiner Worte ist mit Taten verbunden, die Spuren in der Welt hinterlassen, Raum schaffen, damit das Leben von Menschen gelingt, ein Mann mit großen Aufgaben, der mehr will, als den äußeren Erfolg. Ja, genau das war einer von Yasmins Herzenswünschen: „Ich wollte einen Mann treffen, der eine Vision von einer Welt hat, für die es sich lohnt, alle Kräfte einzusetzen.“
Enricos blaue Augen strahlten, sein Körper erzählte von unzähligen Erfahrungen, die Yasmin an Gravuren in einem alten Baum erinnerten. Als die Mädchen und Jungen mit ihren Messern ihre Worte in seine Haut einritzten, schmerzte es ihn. Der Baum schwieg und wuchs an der Verwundung, weiter und weiter. In seinem Stamm waren diese Narben deutlich sichtbar: Alte Bäume sind weise. Sie haben viel gesehen, viel erlebt, noch mehr aber haben sie das bewahrt, was sie hat wachsen lassen und teilen es mit der Welt. Alte Bäume sind einfach nur da, groß, stark, still, mächtig. Je größer ihre Krone desto tiefer die Verwurzelung. Unter der Krone solch eines alten Baumes lässt es sich gut ausruhen, sie gibt Schutz und beherbergt unzählige Vögel. Dort bauen sie Nester, so sind sie sicher vor Sturm und Regen, beschützt vor Zugriffen.
Enrico sagte: „Ich sehe, wie deine Augen strahlen und dein Körper spricht, wie deine Seele es genießt die zu sein, die du bist.“
Yasmin bewahrte seine Worte wie einen kostbaren Schatz in ihrem Innern und begann ein Lied von den Beatles zu summen: Let it be.
Nah, ganz nah kam Enrico mit seinem Mund an Yasmins Ohr und flüsterte: „Umarme die ganze Welt, dann bist du frei. Genieße einfach jeden Tag, jede Minute deines Lebens.“
2. Lasst Raum zwischen euch
Yasmin hatte das tiefe Bedürfnis, einen Text ihres Lieblingsdichters zu lesen. Sie griff zu einem Buch, das sie schon lange begleitete, und fand auf Anhieb den gesuchten Text. Nichts deutete darauf hin, dass diese Botschaft schon in wenigen Tagen die Hand auf ihr Herz legen würde, um in einem Augenblick das zu prüfen, was in ihr herangereift war, weit mehr noch: Eben gerade stieg die Lerche ihres Herzens in die Himmel und sang, nicht ahnend, dass Augenblicke später ihr Herzensgesang für einige Stunden verstummen würde. Jetzt aber gab es nur den einen Moment, sich dieser Botschaft tiefer und tiefer anzuvertrauen, um den Worten in ihrem Innern Gestalt zu geben:
Lasst Raum zwischen euch, und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen. Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel; lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen sein. Füllt einander den Becher, aber trinkt nicht aus einem Becher. Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht vom selben Laib. Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich, aber lasst jeden von euch allein sein, So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern. Gebt eure Herzen, aber nicht in des anderen Obhut, denn nur die Hand des Lebens kann eure Herzen umfassen. Und steht zusammen, doch nicht zu nah, denn die Säulen des Tempels stehen für sich, und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.
Khalil Gibran
Bewegt sandte Yasmin den Text dem Mann ihres Herzens. Mit dem Flügelschlag seiner Seele kam die Antwort:
„Liebe Yasmin, Du schickst mir ja einen wunderschönen Text: Khalil Gibran über das Wesen der Liebe. Dieser Dichter hat es verstanden … das Einander geben, das Einander achten … Ich freue mich auf Dich, Enrico“
Noch eben sang die Lerche ihr Lied
Im Postfach wartete eine Nachricht auf Yasmin:
„Liebe Yasmin,
ich möchte mich bei Dir bedanken für unsere gemeinsame Zeit. Es war sehr schön, Deine Welt kennenzulernen und vor allen Dingen Dich. Du bist eine großartige Frau, schön und hocherotisch. Du bist eine intelligente und mutige Frau: Ich achte zutiefst, wie du Dein Leben meisterst. Da kann ich mich nur ganz tief vor Dir verbeugen.
Meine Aufgaben in der weiten Welt erfordern meine ganze Präsenz. Von einem Flug zum anderen durcheile ich mit Siebenmeilenstiefeln die Kontinente und somit auch die Wochen im Kalender.
Ich will Dir nicht wehtun. Bitte habe dafür Verständnis.
Du bist eine großartige Frau.
Gott beschütze Dich und gebe Dir all die Kraft, die du brauchst.
Lass Dich umarmen.“
In Yasmin breitete sich eine tiefe Stille aus. Tränen rannen über ihr Gesicht und ein wilder Schmerz schien ihr das Herz zu zerreißen. Und ich glaubte zu wissen, was Liebe ist? Yasmin vermochte diese Frage nur aus der Tiefe ihrer Seele beantworten zu lassen. Ihr Verstand mit seinen Antworten irritierte sie, er suchte nach schnellen Lösungen.
Für sie war dieses Nacktsein im Fühlen der Weg zu den Wassern ihres Seelengrundes, aus dem sich eine Antwort weben würde. Dort hörte sie dem Gesang ihres Herzens zu, begleitet von einem Meer von Tränen.
Dem Großem Raum geben
Wollt ich verstehen von Dir,
so wüsst’ ich nicht,
was Liebe ist,
und nähm’ ich mir,