Steinige Zeiten. Helene Hammerer
Zimmer. Leise öffnete Amanda die Tür. Inga saß auf dem ungemachten Bett wie ein Häufchen Elend und hielt einen großen lila Stoffbären umklammert. Ihre Wange war gerötet und ihre Augen verweint. „Ich hasse ihn“, stieß sie trotzig hervor. „Mama hat immer gesagt, dass er ein Schuft ist und ich bin ihm ganz egal.“ Die Tränen begannen aufs Neue zu fließen und das Mädchen wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Amanda verkniff sich einen Kommentar und setzte sich zu dem armen verwirrten Kind aufs Bett. „Kennst du die Geschichte, wie deine Eltern sich kennengelernt haben?“, fragte sie leise. „Dein Papa war Assistent an der Universität und deine Mama war die Saison über Kellnerin am Stubaier Gletscher.“ Inga nickte, sie kannte die Geschichte.
„Rupert hat dort als Schilehrer gearbeitet, um sein mageres Gehalt aufzubessern. Er hat sich sofort in deine Mama verliebt. Ihr hellblondes Haar und ihre tolle Figur haben ihm sehr gut gefallen. Er fand sie lustig und sexy und als du dann unterwegs warst, haben sie sich riesig gefreut. Rupert hat in Bregenz eine Anstellung als kleiner Beamter bekommen. Dein Großvater hat ihm sein Erbe ausbezahlt und damit haben sie die Wohnung gekauft, in der ihr bis jetzt gewohnt habt, jedenfalls einen Teil davon.“ Inga nickte wieder. Sie wusste, dass man sich Geld von der Bank lieh, um Wohnungen oder Häuser zu kaufen. Amanda fuhr fort: „Weil sie wenig Geld hatten, hat deine Mama am Abend und am Wochenende als Kellnerin gearbeitet. Dann hat dein Papa auf dich geschaut oder du warst bei deinen Großeltern und bei uns.“ „Da war alles noch gut“, schniefte Inga.
Amanda streichelte ihr sacht übers Haar und das Mädchen schmiegte sich Trost suchend an sie. „Deine hübsche Mama hat den anderen Männern auch sehr gut gefallen und sie hatte immer wieder Verehrer. Dein Papa und sie haben sich mit der Zeit immer öfter gestritten und dann beschlossen, sich scheiden zu lassen. Das Problem dabei war nur, dass jeder der beiden dich bei sich haben wollte. Am Anfang hat es so ausgesehen, als ob dein Papa das Sorgerecht bekommen würde. Dann wärst du bei ihm geblieben, aber das wollte deine Mama natürlich nicht. Und weil sie wohl keine andere Möglichkeit sah, um das zu verhindern, hat sie zu einem schlimmen Trick gegriffen.“ Ingas Augen wurden groß. „Was hat sie getan?“, wollte sie wissen. „Sie hat behauptet, dass Rupert dich sexuell missbraucht hat“, sagte Amanda sachlich. „Aber das ist doch gar nicht wahr“, rief Inga entrüstet. „Nein, es ist nicht wahr“, seufzte Amanda, „aber die Richterin hat ihm trotzdem nicht geglaubt. Du warst durcheinander und hast viel geweint und zu deinem Schutz hat man ihm verboten, dich zu sehen.“ „Hat er mich darum nie besucht und mir nie geschrieben?“ Amanda nickte: „Es war schrecklich für Rupert. Er hat alles getan, was er konnte. Erinnerst du dich an seine Steine-Sammlung? Er hat sie verkauft, um einen Anwalt zu bezahlen, aber es war alles umsonst.“ „Und ich hab geglaubt, er hat sie nur mitgenommen, weil er mich nicht mehr mochte und ich die Steine so schön fand“, schluchzte Inga, die langsam verstand, wie alles zusammenhing. Amanda legte tröstend den Arm um die Schultern des Kindes und erzählte den Rest der traurigen Geschichte. „Rupert ist dann nach Australien gegangen. Dort hat er hart gearbeitet und viel Geld verdient. Zu deinem Geburtstag und zu Weihnachten schickte er immer Geld, damit ich dir etwas Schönes kaufen konnte.“ „Dann waren die Geschenke immer von Papa?“ „Die großen waren von ihm und die kleinen von Andreas und mir“, lächelte Amanda. „Und ich war so gemein zu ihm“, rief Inga entsetzt und stürmte aus dem Zimmer. Ihre Tante blieb noch dort, machte das Bett ordentlich und sammelte die Schmutzwäsche ein. Es war gut, dass Inga nun die Wahrheit kannte. Vielleicht schafften Rupert und seine Tochter es jetzt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Kapitel in ihrem gemeinsamen Leben aufzuschlagen, dachte sie zuversichtlich.
Am späten Abend, als Amanda gerade das Licht in der Stube löschen wollte, kam Rupert herein. Er umarmte seine Schwägerin. „Danke, dass du es ihr erzählt hast“, sagte er leise. „Ich dachte, es ist Zeit für die Wahrheit. Ihr habt beide genug gelitten“, meinte sie ernst und streichelte ihm über die Wange. Dann löste sie sich sanft aus seiner Umarmung und wünschte ihm eine gute Nacht. Es war nicht gut, wenn sie sich körperlich zu nahe kamen, fand Amanda. Sie waren beide schon zu lange allein, wobei sie nicht glaubte, dass Rupert in Australien wie ein Mönch gelebt hatte.
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