KÖRPER-HAFT. Martin Romey

KÖRPER-HAFT - Martin Romey


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rufen. Routinemäßig kommen Sie immer freitags, da ist Waschtag! Während der Nachtwache stehen weitere Pfleger beziehungsweise Aufseher für Sie zur Verfügung, die allerdings in Ihren Schichten unregelmäßig rotieren und aus dem anderen Gefängnistrakt herüberkommen müssen. Machen Sie sich keine Gedanken um ihr körperliches Wohlergehen. Doktor Gregor wird sie turnusmäßig untersuchen. Darüber hinaus werden alle ihre Vitalfunktionen rund um die Uhr über ihre persönlichen Vitalometer gescannt. Alles andere was Sie für Ihren Aufenthalt hier wissen müssen, werden Sie sicherlich selbst herausfinden!«

      Freitag ist Waschtag – das erinnerte mich an meine Großmutter, die mir mal erzählt hatte, wie die gesamte fünfköpfige Familie immer freitags den Inhalt einer Badewanne kollektiv genutzt hatte. Ich schüttelte mich innerlich. Waschen und im speziellen Körperreinigung sah für mich anders aus.

      »Im Übrigen muss ich noch einmal in aller Deutlichkeit herausstellen, in welch privilegierter Lage Sie sich befinden. Sie liegen in der vermutlich am besten ausgestatteten Gefängniszelle der Welt, eigentlich eher ein Gefängniszimmer. Sie bekommen die neueste Technik zur Verfügung gestellt. Sie können den ganzen Tag lang lernen, wie Sie ein wichtiges Mitglied unserer Gesellschaft werden. Sie bleiben beim Freigang von Gefängnisschlägereien verschont. Übergriffe anderer Häftlinge, Drogenkonsum, Drogenhandel, die dazugehörige Beschaffungskriminalität – all das ist zu 100 % unterbunden. Sie können niemanden verletzen oder gar töten. Und« – das schien ihm besonders wichtig zu sein – »Sie sind nachhaltig geschützt vor der Verunreinigung des Geistes durch Selbstbefleckung!«

      Ausgerechnet dieser bigotte Bruder sprach vom Schutz des Geistes vor Selbstbefleckung!

      »Vielleicht haben Sie sich gefragt, wieso ich diese ganze Einleitung mache? Nun, Sie alle liegen mir am Herzen und da sich sonst niemand großartig um Sie kümmern wird, dachte ich, es wäre eine gute Idee, uns schon einmal kennenzulernen. Übrigens werde ich einmal pro Woche zu Ihnen kommen, um die Werkseinstellungen Ihres Holo-Flat-Pads wieder zurückzusetzen. Ich möchte Ihnen immer wieder die Chance geben, über die einzige und richtige Religion nachzudenken …«

      Als Bruder Martin schon an der Tür stand, drehte er sich nochmals um, kam zu mir ans Bett und meinte: »Ach Herr Schirmer, ich habe mit großem Bedauern in Ihrer Akte gelesen, dass Sie als Einziger keine Religionszugehörigkeit angegeben haben. Ich nehme an, dass Sie Atheist sind? Also ein armes, orientierungsloses Schäfchen, das nicht weiß, was es glauben soll! Ich versichere Ihnen meinen Beistand und werde Sie, metaphorisch gesprochen, mit der richtigen Beschilderung schon auf den richtigen Weg bringen …«

      Hirnwäsche

      Ich schluckte, als die Tür ins Schloss fiel. Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass dies ein Traum sein könnte. Ich war in meiner Realität angekommen.

       Einzelhaft im Mehrbettzimmer!

      Keine Kommunikation untereinander. Nur die Dauerberieselung mit diesen Holo-Flat-Pads, die uns gefügig machen sollten. Gefangen im eigenen Körper. Ich hatte dem BSS-Programm deshalb in Gedanken einen passenderen Namen gegeben:

       Körper-Haft.

      Selbst mein persönlicher Gott mit Rauschebart und Blaumann verkroch sich in meiner Phantasie schluchzend in einer Ecke. Nachdem auch er mir keinen weiteren Trost spenden konnte, wandte ich mich von ihm ab und versuchte mich auf andere Weise abzulenken.

      Aber das war alles andere als leicht. Zuerst Mosquito und sein Handlanger und jetzt auch noch Mr. Bean in einer Soutane und einem Missionierungseifer, der ihm schon förmlich den Geifer in die Mundwinkel trieb. Darüber hinaus kam ein Tagesprogramm auf mich zu, das so nicht abgesprochen war. Es schien, als hätte ich all meine Menschenrechte an der Eingangstür dieses Etablissements abgeben. Ich kam mir vor, wie in einem schlechten Film. Nur dass ich der Hauptdarsteller war, der keine Chance hatte aus dem Vertrag zu kommen. Also hieß es mitspielen so gut es ging. Denn wer möchte schon in einem schlechten Film auch noch ein schlechter Hauptdarsteller sein?

      Ursprünglich hatte ich geglaubt, während dieser auf zehn Jahre verkürzten Haft in aller Ruhe über mich und die Situation, die mich hierher gebracht hatte, nachdenken zu können. Ich hatte eine schon fast naiv verklärte Vorstellung des Ganzen gehabt: Endlich ausschlafen, an die Decke starren und den Gedanken einmal freien Lauf lassen. So etwas schafft Klarheit!

      Fehlanzeige, das Erziehungsprogramm forderte, zumindest in den ersten Wochen, meine volle Aufmerksamkeit. Nach dem ersten Erziehungsblock von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr war ich so erschöpft, dass ich sofort danach einschlief.

      Ich fiel in einen unruhigen Schlaf, in dem ständig irgendwelche Fetzen des ersten Erziehungsblocks auftauchten, an mir vorbeischwebten und mich manchmal mit sich rissen. Nach einer gefühlten Viertelstunde riss mich ein elektrisches Kribbeln wieder ins Bewusstsein. Eine ermahnende Frauenstimme über mir sagte: »Nr.5, es ist Zeit aufzuwachen, der Mittagsblock Ihres Unterrichtes fängt an. Sollten Sie die nächsten Tage nicht pünktlich zum Unterricht erscheinen, werde ich mich wie eben bemerkbar machen. Und das jeden Tag ein bisschen mehr. Sie werden schon sehen, das hilft der Konditionierung und Ihrem Zeitgefühl.«

      Das Mittagsprogramm startete … und ich merkte schon jetzt, dass mich dieses Sozialisierungsprogramm weichkochen, zermürben und mein Denken und meine Persönlichkeit auflösen würde …

      … wenn ich mich treiben ließ …

      Treiben … man konnte von jemandem getrieben werden, also wie von diesem Programm gehetzt oder man konnte passiv in einem Fluss treiben, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Es gibt jedoch in jedem Fluss auch Punkte, die einen nicht mitreißen und mit sich forttragen, die sogenannten Kehrwasser.

      Kehrwasser

      Keine Ahnung, wie ich darauf kam, jedenfalls assoziierte ich das Wort mit meiner jetzigen Situation. Typisch Werbefuzzi! Es war mein Job, scheinbar zusammenhangslose Dinge zu verknüpfen und etwas Neues daraus zu schaffen. Das war vermutlich das, was andere Menschen kreativ nennen. Dabei merkte ich mir nur irgendwelchen Blödsinn und knüpfte aus diesen zusammengestückelten Ideen eine Patchworkdecke, die ich anschließend teuer verkaufen konnte.

      Glücklicherweise hatte ich früh genug erkannt, dass ich aus diesem Talent Kapital schlagen konnte. Ansonsten wäre ich wahrscheinlich einer dieser armen Spinner, die mit dieser Gabe der Nichtigkeiten überhaupt nichts anfangen können oder ständig darauf hoffen, bei Wer wird Millionär zufälligerweise nach genau diesem Blödsinn gefragt zu werden, ohne sich jemals bei der Sendung anzumelden. Entweder das, eine erfolglose arme Sau, die Klapse oder eben … Werbefuzzi mit Kehrwasser-Assoziationen, der sich nicht willenlos treiben lassen wollte.

      Bei einem unserer kleinen Firmenevents hatten wir, um unsere Belegschaft bei Laune zu halten, einen Rafting-Trip im Wildwasser für ein Wochenende gebucht. Unser Rafting-Guide erklärte uns die einfache Strömungsdynamik im Wildwasser. Er sprach von Stromzungen, Rappids, Katarakten, Verblockungen, Walzen, Strudeln und auch von Kehrwassern: »Die sind ganz ganz wichtig, weil das neben kleinen Walzen die einzige Möglichkeit ist, im Fluss anzuhalten. Kehrwasser bilden sich direkt hinter Hindernissen wie Felsblöcken oder Brückenpfeilern, die in der Strömung liegen. Und auch nahe dem Ufer, speziell in Innenkurven, da die Hauptströmung immer schneller durch die Außenkurve mäandert und die Strömung in der Innenkurve so langsam ist, dass sie oft eine Sandbank bildet. Da das langsame Wasser jedoch flussaufwärts in Richtung Hauptströmung rotiert, spricht man vom Kehrwasser. Ich sag’s noch einmal, das Kehrwasser ist die einzige Stelle im Fluss, an der wir anhalten können! Rückwärtspaddeln hilft praktisch nichts. Der Fluss gewinnt immer!«

      Rückwärtspaddeln hilft nichts! Das Kehrwasser ist die einzige Stelle im Fluss, an der ich anhalten kann! Aber was bedeutete das für mich?! Nun, da ich komplett der multimedialen Gehirnwäsche des Gefängnisses ausgesetzt war, musste ich innerhalb des Datenstromes, der auf mich eindonnerte, ein solches Kehrwasser finden. Eine Stelle im Datenfluss, in der


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