Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr
zu erleben. Bereitet man sich auf ein Auslandssemester vor, hat man die Uni und die Sprache vor Augen, aber letztendlich sind es all die kleinen unerwarteten Erlebnisse, die die Zeit unvergesslich werden lassen.
Gisella wuchs in Esparza auf. Sie hat das gleiche Motto wie ich: Nur in Gesellschaft macht Kochen Spass.
Ihre Lieblingsspeisen bestehen deshalb aus Milchpulver, Marshmallows, Eiern mit Brot, Pringles mit Käsegeschmack und Keksen mit Kokosnusscreme. Da sie und ich am nächsten Tag etwas verloren und hungrig in ihrer kleinen Küche stehen, sind wir über Fulins Vorschlag sehr dankbar: Wir machen Sushi!
Schon morgens drückt die Luft, ob es in San José wohl gerade auch heiß ist? Ich habe vorher nicht verstanden, warum es in einer Stadt fast am Äquator ganzjährig angenehm kühl sein kann. Höhenmeter. Vielleicht sollte man Deutschland im hitzigen Hochsommer um einige hundert Meter erhöhen und im Winter weit unterhalb des Meeresspiegels platzieren. Dann hätte man immer eine angenehme Temperatur und man würde sich über das Wetter nicht beschweren müssen.
Auf dem Weg zum Supermarkt muss ein Motorradfahrer an einer roten Ampel warten, schiebt sein Visier nach oben und raunt uns ein Kompliment zu. Schleimer? Verehrer? Fassen wir es mal als Kompliment auf, denke ich.
„Bähhh, Machos!“, beschwert sich Fulin laut auf Englisch.
„Ziehst du jetzt zu meiner Freundin, von der ich erzählt hab’, bei der du wohnen kannst?“, fragte sie mich dann, als wir die Straße sicher überquert haben. Sie hatte mir die Wohnung empfohlen, da María auf Sauberkeit achtet, sie mich garantiert nicht betrügt und es einen Supermarkt in der Nähe gibt.
„Eigentlich möchte ich in einer Familie wohnen, um das Tico-Leben kennen zu lernen“, erklärte ich ihr, nun selbst etwas sicherer, was ich überhaupt hier wollte.
„Dann bist du da richtig, María hat sogar einen Pool!“, antwortete Fulin.
„Wow, ein Pool! Das wusste ich noch gar nicht! Ja, ich habe ihr zugesagt, bin gespannt wie es wird“, strahle ich. Oder hätte ich misstrauisch werden sollen?
Gisellas Küche ist nicht voll funktionsfähig und bereitet Fulin Kopfzerbrechen. Ihr Blick schweift auf den tropfenden Wasserhahn, unter dem eine große Schüssel steht, um das kostbare Gut aufzufangen. Sie verdreht kurz die Augen. Und wie soll man denn ohne Herd Rührei braten und Reis kochen? Da das Hauptnahrungsmittel in Zentralamerika nicht Brot ist, sondern zu jedem Gericht Reis und Bohnen serviert werden, verfügt Gisella aber über einen Reiskocher. Reis- und Bohnenkocher sind wichtiger als alles anderes und ein Muss in jeder Küche. Für das Rührei findet sich eine Art Herdplatte, die sich separat über Strom erhitzen lässt. Schnell hat unsere Chefköchin den japanischen Spezialklebreis in den Reiskocher gefüllt.
„Kannst du den Reis weiter bearbeiten?“, fragt Fulin mich. Reis weiter bearbeiten? Was meint sie damit? Zielstrebig wende ich mich der Maschine zu und suche den Stecker, um das Gerät einzuschalten.
„Was machst du da?“, die beiden schauen mich entsetzt an, „hast du etwa noch nie Reis gekocht?“
„Was denn?“, ich halte inne. Reis vor dem Kochen nicht in Wasser zu waschen ist ein Unding, zumindest für die asiatische und costa-ricanische Kultur.
„Doch, klar, habe ich. Aber in Deutschland wäscht man den Reis vor dem Kochen nicht.“ Ich ziehe mit der gefüllten Schüssel zum Waschbecken und lasse die weißen, rundlichen Körner im klaren Wasser der Schüssel hin- und herschwimmen, bis es sich milchig färbt. Vielleicht müsste man ihn auch in Europa waschen, aber man tut es nicht. Ticos sind sehr sauber, im Hostel und in der UCR wird fast täglich geputzt und in Restaurants gibt es Desinfektionsgelspender, bei denen man sich vor dem Essen mit einem schmatzenden Geräusch einen Klacks auf die Handfläche drückt und diesen verreibt. Ich muss an Hannah denken, die einmal bemerkt hatte, dass sie mit der Unreinlichkeit der Lateinamerikaner nicht zurechtkommen würde. Der Mangel an Hygiene würde ihren Vorstellungen widersprechen und sie würde sich unmöglich wohl fühlen können…
Jetzt werde ich plötzlich als unhygienisch angesehen. Insgesamt lasse ich die Schale zehn Mal halb mit Wasser volllaufen, rühre den Reis um und gieße das weißliche Wasser ab. Das soll übrigens sehr gut für die Haut sein, wie ich von Gisella erfahre, während sie beginnt, auf eine Gurke einzuhacken. Dann darf ich den Reis kochen. Leider funktioniert der Schalter am Reiskocher nicht mehr, aber Gisella kennt das und steck gekonnt den Griff eines Messers in einen Schlitz, um den Schalter unten zu halten.
Fulin hat das Ei mit braunem Zucker vermengt. Zuckerei, warum habe ich das eigentlich noch nie ausprobiert? Die Gurke ist zerstückelt und mit vereinten Kräften widmen wir uns nun den armen Möhren.
Der Reis ist fertig! Nun muss er zum Abkühlen und Trocknen noch umgerührt werden, was sich bei dieser klebrigen Masse als schwierig gestaltet.
Wir versammeln alle Ventilator der Wohnung in der Küche, setzen uns mitten in den Raum und beginnen fleißig die weiße Masse immer wieder zu wenden.
„Nicht kneten, sondern immer nur unterheben“, weist Fulin uns an, „sonst habt ihr Monchi, eine klebrige, feste Masse, aus der in Japan Süßigkeiten hergestellt werden.“
Sie bespritzt unseren Schüsselinhalt mit einem mit Zucker versetzten Spezialessig, bevor sie uns zum weiteren Rühren antreibt. Bei dieser sportlichen Betätigung wird mein Arm müde. Sushi produzieren ist Höchstleistungssport, aber jetzt werde ich jede Sushirolle mit größter Ehrfurcht essen. Bald erlaubt Fulin uns, den Reis in eine Schale zu füllen und das Gemüse darüber zu dekorieren. Das Ganze erinnert mich an Schichtsalat.
„Und wann rollen wir?“
„Gar nicht! In Japan wird Sushi in den Haushalten so gegessen. Gerollt wird nur für Restaurants oder Feiern“, erklärt Fulin der erschöpften Gisella und mir. Wieder etwas gelernt und geschmeckt hat es auch ohne Rolle köstlich!
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