Hau ab! Flüchtlingskind!. Birte Pröttel

Hau ab! Flüchtlingskind! - Birte Pröttel


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Großeltern kommen

       Der wilde Peter

       Dänische Möbel

       Wir leben uns ein

       Pilze und Beeren sammeln

       Enttäuschungen

       Fotoalben

       Sonntagmorgens dürfen wir zu Vater ins Bett. Mutter rollt sich zur Seite und will in Ruhe gelassen werden. Vater kann wunderbare Geschichten erzählen. Von Herkules, dem Starken, von Helena der Schönen, von Odysseus aber auch aus den nordischen Heldensagen berichtet er. Dass die Erzählungen nicht immer dem Originalen entsprechen, merken wir nicht. Am meisten beeindruckt mich die Geschichte von Medusa mit den Schlangenhaaren, die so hässlich war, dass jeder der sie sah, zu Stein erstarrte. Und ich stellte mir vor, wie ich mit dem abgeschlagenen Medusenhaupt, die Dorfbewohner erschrecken könnte und dass das ganze Dorf sich in einen Steinhaufen verwandelte. Ob die Hügel des Schwarzwaldes auch erstarrte Menschen waren?Anne ist noch zu klein, um die Geschichten zu verstehen, wenn es ihr langweilig wird, quengelt sie oder tobt auf Mutter rum, die dann fluchtartig das Ehebett verlässt. Auch Anne hat eine Lieblingsgeschichte, in der Vater vom Marsmenschen erzählt, der einen Reißverschluss im Bauch hatte und wenn ihm was nicht schmeckte, einfach aufmachte, den Teller in den Bauch leerte und fertig. Ein Traum für die Kleine, denn es gab fast nichts, was ihr schmeckte und sie verbrachte Stunden – wie ich damals vor der Erbsensuppe – vor ihrem Teller mit dem kalt gewordenen Mittagessen.

       Winterfreuden

       Vater findet endlich Arbeit

       Badetag

       Das Glück ist eine Nähmaschine

       Räuber und Gespenster

       Großvaters Garten

       Zwergschule

       Handarbeitsunterricht

       Fotobeweise

       Zwei Heiratsanträge

       Großmutter schlägt zu

       Angst und Schrecken

       Carepakete

       Freiherr von Knigge lässt grüßen

       Arbeitslos

       Großvaters Mantel

       Die Taschenuhr

       Ährensammeln, Ersatzkaffee und Co.

       Poesiealbum

       Tränen

       Es gibt neues Geld

       So ging’s weiter

      Vater erzählt Geschichten

       Impressum neobooks

      Vorwort

      Birte Pröttel

      Hau ab!

      Flüchtlingskind!

      Die Geschichte einer unbeschwerten Kindheit

      trotz Flucht, Verlust

      der Heimat, Verlust von Hab und Gut

      Für meine Familie und

      Alle Flüchtlingskinder der Erde

      Es muss wohl eine der letzten Liebesnächte meiner Eltern gewesen sein, in der ich gezeugt wurde. Ende August 1939 wird mein Vater eingezogen. Er muss als Fernmeldegefreiter in den Krieg, den es eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gibt. Und genau 9 Monate später erblicke ich das Licht der Welt, das nun schon vom Krieg überschattet ist. Vater bekommt Urlaub, um mich zu sehen.

      Urlaub vom Krieg – was für eine abstruse Idee? Entweder es ist Krieg oder kein Krieg. Und wenn Krieg ist, dann kann man sich doch nicht einfach davon beurlauben lassen. 1942 werden wir ausgebombt und finden Unterschlupf in Hinterpommern bei Verwandten. Dort wird im Januar 1945 unsere kleine Schwester geboren. Mit vier kleinen Kindern macht sich unsere Mutter auf die Flucht. Für mich ein großes Abenteuer, für sie Angst und Schrecken. Wir landen in Dänemark und später im Schwarzwald.

      In meinen dreizehn Schuljahren bin ich viermal mit meiner Familie umgezogen. Jeder Umzug ist wie das Häuten einer Schlange. Jedes Mal bin ich eine andere, fange von vorne an. Neue Wohnung, neue Schule, neue Lehrer, neue Mitschüler und ich bin immer wieder die Neue.

      Bei jedem Neubeginn bin ich ein bisschen weniger das „Flüchtlings­kind“, dem man die Armut an Kleidung und Sprache anmerkt. Jedes Mal ge­lingt mir die Mimikry besser und ich gehe in der neuen Umgebung auf. Ich lerne die feinen Unterschiede der Dialekte nachzuahmen, passe mich an. Lauf barfuß nicht, weil ich keine Schuhe habe, sondern, weil die anderen auch ohne Schuh und Strümpfe in Pfützen planschen. Und wenn ich nicht in den Klassenverband aufgenommen werde, dann versuche ich, die anderen zum Lachen zu bringen, den Klassenkasper zu geben.

      Der Grat zwischen Angeben und ehrlicher Leistung ist schmal. Wenn du ein Habenichts bist, kein Haus hast, kein Auto oder Telefon zu deinen Statussymbolen gehören, dann musst du dich durch anderes hervortun. Ent­weder besonders freundlich, besonders schlau sein, gute Zeugnisse haben, gut erzogen sein oder lustig, frech, aufmüpfig auf dich aufmerksam machen. Alles lenkt vom Manko des Andersseins ab. Ich sehnte mich nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, Liebe und Be­wunderung, die mir mein Status Flüchtlingskind nicht geben konnten

      Maikäfer flieg...

      Sonntagmorgen, das Haus liegt im tiefen Schlaf. Im Spalt der Gardine tanzen die Staubkörnchen auf dem Lichtstrahl. Leise schlüpft Marie zu mir ins Bett, Max folgt und kuschelt sich auf die andere Seite. Im Bett nebenan schnauft


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