Malverde. Brigitte Brandl
Mann öffnete die Augen und sah den jungen Ausländer an mit müdem, aber freundlichem Blick. Er griff nach Piets Arm und sagte leise, aber deutlich: „Du bist ein guter Junge.“
Piet verzog sein Gesicht zu einem kläglichen Lächeln, und in diesem Moment war er sich nicht mehr sicher, wer hier wem dankbar war. „Sie werden wieder gesund, Señor,“ stammelte er.
Als sie wieder vor dem Haus standen, sagte Acacio:
„Das war nicht schlecht für den Anfang. Jetzt kommt es darauf an, ob der Wirkstoff anschlägt; ich hoffe, dass die Besserung diesmal nicht vorübergehend ist, ich hoffe es!“ Dann erklärte er hastig, er wolle jetzt bei Leonors Familie vorbeischauen; Piet könne ja schon beim Wagen warten. Und er ließ den Hamburger stehen.
Lober hatte nicht einmal Zeit gehabt zu antworten, wie gestern nach ihrer Ankunft, als Acacio sich auch mitten auf dem Marktplatz aus dem Staub gemacht hatte. Enttäuscht und wütend trottete er zurück zum Wagen. Er starrte auf den Boden, denn er wollte auf keinen Fall die Blicke der Dorfbewohner auffangen aus Angst, darin auch nur Ablehnung oder zumindest Gleichgültigkeit zu entdecken. Immer wieder rief er sich die Worte des kranken Mannes ins Gedächtnis: „Du bist ein guter Junge.“
Als er bei dem Buick angelangt war, trat Maria aus dem Haus und fragte nach den Kranken. Piet war erleichtert über die Ansprache der Frau, die ihm auch noch ein Glas Wasser reichte.
„Das Fieber ist nicht weiter gestiegen.“ Er zögerte und schob verlegen mit seinem Fuß eine Spur in den Staub. Dann raffte er sich auf und fragte die Frau des Dorfältesten: „Hat die Mutter der kleinen Leonor die Kranken bislang gepflegt?“
Maria nickte. „Sie hat sie gewaschen, die Betten frisch bezogen und den Leuten zu trinken gegeben. Essen konnten sie ja nicht! Und zwei der Ehefrauen sind schwanger. Sie können auf gar keinen Fall ihre Männer selbst versorgen.“ Die Frau seufzte laut.
„Und wer hat das hier gemacht?“ bohrte Piet weiter und zeigte Maria die Dokumentationen, „der Arzt der Krankenstation?“
Maria lächelte, als wüßte sie, worauf der Deutsche hinaus wollte, aber sie sprach weiter. „Leonor ist Acacio besonders ans Herz gewachsen! Die Kleine ist seine aufmerksamste Schülerin.“
Piet zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Schülerin? Hat Acacio nicht etwas mit Medizin gelernt?“
„Acacio ist Biologe,“ erklärte Maria, „aber er kam hierher, um die Kinder zu unterrichten. Keines von ihnen hat vorher eine Schule besucht; sie alle mussten so früh wie möglich zum Arbeiten in die Plantage. Glauben Sie bitte nicht, dóctor, dass hier im Hinterland irgendetwas ankommt von den Bildungsprogrammen, von denen die Regierung dem Ausland gegenüber so gerne prahlt! Hier leben die Menschen von dem, wovon sie schon immer gelebt haben: vom Coca-Anbau. Aber eines Tages ist ein mutiger, junger Mann gekommen und hat gesagt, er wolle den Kindern lesen und schreiben lernen und eine richtige Schule für sie bauen!“
„Biologe…!“ Piet zögerte wieder, „dann war er es wohl, der die bisherige Therapie dokumentiert hat?“
„Ja.“ Marias Antwort war kurz, und ihre Stimme klang plötzlich enttäuscht. Sie sie sah den Deutschen auch nicht an. Sie nickte nur mit dem Kopf und sah in Richtung von Leonors Haus.
„Wann kommen Sie morgen wieder?“ fragte die Frau ohne wirkliches Interesse an der Antwort.
Lober zuckte mit den Schultern. „Das hängt von Acacio ab.“
Maria ging mit einem leisen Gruß ins Haus zurück. Im gleichen Moment dämmerte Piet, dass er Maria mit irgendetwas verstimmt oder zumindest irritiert hatte. Aber nun war es zu spät, sie zu fragen. Vielleicht bildete er sich das ja aber auch nur ein! Die heutige Arbeit war neu und anstrengend gewesen!
Acacio kam zurück. Er sah zufrieden und entspannt aus, und Piet dachte an die Dokumentationen und daran, was Acacio über die Krankheitsfälle gesagt hatte. Obwohl der Kolumbianer befürchtete, die Lage könne sich verschlimmern, hatte er trotzdem so hoffnungsvoll und so eindringlich den Kranken ihre baldige Genesung prophezeit. Was phantasierte der sich da zusammen? Oder wusste er tatsächlich etwas, was Piet nicht wusste?
Acacio ging an Piet vorbei ins Haus des Dorfältesten, und Piet starrte ihm hinterher. Wie lange würde Acacio ihn hier noch neben dem Buick stehen lassen wie einen Trottel, um seelenruhig allen im Dorf seine Aufwartung zu machen? Kein Wort des Dankes, keine Bitte um Entschuldigung, dass er hier rumstehen musste! Nicht mal ein Blick als Zeichen dafür, dass er sich bewusst war, dass Piet überhaupt existierte und vielleicht Durst oder Hunger hatte oder endlich nach Hause wollte! Raus aus diesem schrecklichen Kaff mit Leuten, die ihn noch nicht einmal annähernd verstanden, es sei denn, sie lagen auf den Tod!
5
Schon früh am Morgen hatten sie angefangen, die Stände aufzubauen. Von überall her waren sie gekommen mit ihren zweirädrigen, blauen Karren, meist von eigener Hand, aber auch von Eseln, Maultieren oder mit dem Fahrrad gezogen. Einige Bauern hatten Mopeds, die aussahen, als wäre die heutige Fahrt zum Markt nach Casillas del Bosque ihre letzte.
Jetzt trugen stämmige Frauen in bunten Röcken und bestickten Blusen und mit schwarzen Hüten auf dem Kopf trugen zusammengeschnürte Pakete über der Schulter und die Kleinkinder im Tragetuch vor der Brust. Sie riefen sich mit schriller Stimme Neuigkeiten und Aufforderungen zu, lachten und entblößten dabei lückenhafte Reihen gelber Zähne. Die Männer bauten mit geübten Handgriffen den Marktstand: ein paar Bretter auf dem Boden und ein metallenes Stufengerüst, um die Kisten voll Kartoffeln, Limonen, Bananen, Knoblauch, Yuca und Zwiebeln, die kleinen Säckchen mit Gewürzen und die Schachteln voll Kautabak und Kaffeebohnen den ersehnten Käufern zu präsentieren. Bündel aus Kräutern und Gemüsepflanzen lagen auf dem Boden neben Säcken mit Reis und roten und schwarzen Bohnen. Zum Schutz vor der Sonne, die schon am Vormittag heftig brennen würde, nicht heiß zwar, aber gefährlich, spannten sie bunte Tücher auf, hinten mit Gewichten auf dem Boden gehalten und vorne von langen Holzstangen abgestützt.
Die Leute bewegten sich mit großer Sicherheit. In Windeseile stapelten sie die Kisten auf dem Metallgestell, das anfangs gefährlich zu ächzen begonnen hatte. Dabei platzierten sie die schweren Waren an den Rändern und die leichteren in der Mitte, um dem Gestell die Chance zu geben, auch den nächsten Markt noch mitzuerleben, denn ein neues Gestell würde den Gegenwert von mindestens drei Markttagen fordern. Der Nachbar hatte seine Ponchos und den Perlenschmuck ausgepackt und begann, die bunten Wollgewebe an den Rändern seines Standgerüsts zu befestigen, damit sie für die Käufer gut sichtbar waren, aber auch ihn selbst und seinen Stand vor Schmutz und Staub schützen konnten. Da hingen Ponchos in kräftigen Blautönen mit Bordüren in gelb, orange und weiß, andere mit dem typischen braunroten Zackenmuster oder mit Tier- oder Blumenbildern. Außerdem bot er Hosen aus grober Baumwolle an, am Bund mit einem Gummizug gehalten. Er klammerte sie an ein zwischen den Standstützen gespanntes Hanfseil in so geschmackvoller Folge, dass der Stand eine wahre Augenweide war. Die ersten Frauen blieben stehen, fühlten die Stoffe und bescheinigten dem Händler, dass sie von seiner Ware begeistert waren. Am nächsten Stand gab es Schachbretter und die dazugehörigen Figuren, geschnitzt aus Holz oder Stein. Die kleinen Gestalten mit ihren fröhlichen Gesichtern saßen auf den Brettern wie Zuschauer einer unterhaltsamen Vorstellung. Wie sollte man sich für den Kauf eines Brettes entscheiden, wenn daneben gleich ein noch viel Schöneres lockte, und vor Allem: wie mochte man sich beim Spiel auf den nächsten Zug konzentrieren, ohne abgelenkt zu werden von dem unermüdlichen Feixen und Grinsen der Figuren auf dem Brett? Neben den Schachbrettern stapelten sich bemalte Teller und anderes Steingutgeschirr, und über einen Korb hatte man kleine Teppiche gehängt, mit Fransen oder Bordüren geschmückt, passend zu den Farben des Steingutgeschirrs.
Im Schatten der Kirche bauten sie die Fleisch-Stände auf. Ferkel mit aufgeschlitzten Bäuchen und gerupfte und ungerupfte Hühner wurden aufgehängt, eine Frau wand